1984. George Orwell
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Название: 1984

Автор: George Orwell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Reclam Taschenbuch

isbn: 9783159618609

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СКАЧАТЬ umschrieb, setzte die Zahl auf 57 Millionen herab, um auf diese Weise die übliche Behauptung zu ermöglichen, die Quote sei übererfüllt worden. 62 Millionen kamen der Wahrheit jedenfalls nicht näher als 57 oder 145 Millionen. Sehr wahrscheinlich waren überhaupt keine Stiefel hergestellt worden. Noch wahrscheinlicher war, dass niemand wusste, wie viele hergestellt worden waren, und dass es kaum einen interessierte. Man wusste lediglich, dass in jedem Quartal auf dem Papier astronomische Zahlen von Stiefeln hergestellt wurden, während vielleicht die Hälfte der Bevölkerung von Ozeanien barfuß ging. Und so verhielt es sich mit jeder Kategorie aufgezeichneter Tatsachen, seien sie bedeutend oder unbedeutend. Alles verblasste in einer Schattenwelt, in der letzten Endes sogar die Jahreszahl ungewiss geworden war.

      Winston warf einen Blick durch den Saal. In der gleich gestalteten Nische auf der anderen Seite arbeitete Tillotson, ein kleiner, akribisch wirkender Mann mit bärtigem Kinn, emsig vor sich hin, eine gefaltete Zeitung auf den Knien, den Mund ganz dicht an der Muschel des Sprechschreibers. Es sah so aus, als sollte das, was er sagte, ein Geheimnis zwischen ihm und dem Telemonitor bleiben. Er schaute auf, und seine Brillengläser warfen ein feindseliges Aufblitzen in Winstons Richtung.

      Winston kannte Tillotson kaum und wusste nicht, für welche Arbeit er eingeteilt war. Die Leute in der Dokumentationsabteilung sprachen nicht gern über ihre Aufgaben. In dem langen, fensterlosen Saal mit der Doppelreihe der Nischen, dem endlosen Rascheln von Papier und dem Gemurmel der Stimmen, die in den Sprechschreiber sprachen, gab es ein gutes Dutzend Leute, die Winston nicht einmal dem Namen nach kannte, auch wenn er sie täglich durch die Gänge hasten oder während des Zwei-Minuten-Hasses gestikulieren sah. Er wusste, dass sich die kleine Frau mit dem hellblonden Haar in der Nische unmittelbar neben seiner tagein, tagaus damit abmühte, aus der Presse die Namen der Leute herauszusuchen und zu löschen, die vaporisiert worden waren und fortan so betrachtet wurden, als hätte es sie nie gegeben. In gewisser Weise passte das, da ihr eigener Mann ein paar Jahre zuvor vaporisiert worden war. Und ein paar Nischen weiter war ein freundlicher, ungeschickter, verträumter Mensch namens Ampleforth, der sehr haarige Ohren hatte und die erstaunliche Gabe besaß, mit Reimen und Versmaßen zu jonglieren, damit beschäftigt, verstümmelte Versionen von Gedichten herzustellen – »endgültige Texte«, wie sie genannt wurden –, die ideologisch anstößig geworden waren, aber aus diesem oder jenem Grund in den Anthologien bleiben sollten. Und dieser Saal mit seinen etwa fünfzig Angestellten war nur eine Unterabteilung, eine einzelne Zelle sozusagen, in der riesigen Struktur der Dokumentationsabteilung. Neben, über und unter ihnen waren andere Scharen von Arbeitern mit einer unvorstellbaren Vielfalt von Aufgaben beschäftigt. Es gab die riesigen Druckereien mit ihren Redakteuren, ihren Experten für Typografie und ihren üppig ausgestatteten Studios für das Fälschen von Fotografien. Da gab es die Teleprogrammabteilung mit ihren Technikern, ihren Produzenten und ihren Teams von Schauspielern, die aufgrund ihrer Fähigkeit, Stimmen zu imitieren, ausgewählt worden waren. Da gab es die Heerscharen von Referenzschreibern, deren Aufgabe einfach nur darin bestand, Listen von Büchern und Zeitschriften zu erstellen, die zurückgerufen werden sollten. Da gab es die weitläufigen Magazine, in denen die korrigierten Dokumente gelagert wurden, und die verborgenen Brennöfen, in denen die ursprünglichen Ausgaben vernichtet wurden. Und irgendwo saßen, vollkommen anonym, die leitenden Denker, die die ganzen Tätigkeiten koordinierten und die Richtlinien der Politik festlegten, die es überhaupt erst erforderlich machten, dass dieses Bruchstück der Vergangenheit aufbewahrt, jenes verfälscht und wiederum ein anderes gänzlich ausgelöscht wurde.

      Und schließlich war die Dokumentationsabteilung nur ein einzelner Zweig des Ministeriums für Wahrheit, dessen Hauptaufgabe nicht darin bestand, die Vergangenheit zu rekonstruieren, sondern darin, die Bürger Ozeaniens mit Zeitungen, Filmen, Fachbüchern, Telemonitorprogrammen, Theaterstücken und Romanen zu versorgen – also mit jeder nur erdenklichen Art von Informationen, Anweisungen und Unterhaltung, vom Denkmal bis zur Parole, vom lyrischen Gedicht bis zur biologischen Abhandlung, von der Fibel bis zum Neusprechwörterbuch. Und das Ministerium musste nicht nur die facettenreichen Bedürfnisse der Partei befriedigen, sondern die ganzen Maßnahmen auch noch einmal auf einem niedrigeren Niveau zugunsten des Proletariats wiederholen. Es gab eine ganze Reihe von Sonderabteilungen, die sich mit proletarischer Literatur, Musik, Theater und generell mit Unterhaltung beschäftigten. Hier wurden wertlose Zeitungen produziert, die fast nichts anderes enthielten als Sportberichte, Verbrechen und Horoskope, reißerische Schundhefte für fünf Cent, vor Sex triefende Filme und kitschige, rührselige Lieder, die ausnahmslos mit technischen Mitteln in einer speziellen Art Kaleidoskop komponiert wurden, dem so genannten Versifikator. Es gab sogar eine ganze Unterabteilung – Pornoab in Neusprech –, die damit befasst war, die niedrigste Art von Pornografie herzustellen, die dann in versiegelten Päckchen versandt wurde und die kein Parteimitglied je zu Gesicht bekommen durfte, abgesehen von denjenigen, die mit der Herstellung betraut waren.

      Drei weitere Mitteilungen waren aus der mit Druckluft betriebenen Röhre geglitten, während Winston seiner Arbeit nachkam; aber es handelte sich um simple Angelegenheiten, die er erledigt hatte, noch bevor er vom Zwei-Minuten-Hass unterbrochen wurde. Als das Ritual zu Ende war, kehrte er in seine Nische zurück, nahm das Neusprechwörterbuch aus dem Regal, schob den Sprechschreiber zur Seite, putzte seine Brillengläser und widmete sich der Hauptaufgabe dieses Morgens.

      Winstons größte Freude im Leben war seine Arbeit. Vieles davon war ermüdende Routine, aber mitunter gab es Aufgaben, die so schwierig und verzwickt waren, dass man sich darin wie in den Tiefen eines mathematischen Problems verlieren konnte – delikate Fälschungen, bei denen man sich an nichts anderem orientieren konnte als an seinen Kenntnissen der Prinzipien des Engsoz und seiner Einschätzung dessen, was die Partei von einem verlangte. Mit diesen Dingen kannte Winston sich aus. Gelegentlich war er sogar mit der Richtigstellung von Leitartikeln aus der Times betraut worden, die ausnahmslos auf Neusprech verfasst waren. Nun entrollte er die Mitteilung, die er zuvor zur Seite gelegt hatte. Sie lautete:

      times 3.12.83 bericht gb tagesbefehl doppelplusungut nennt unpersonen vollkommen umschreiben obenvor präarchiv.

      Auf Altsprech (oder standardisiertem Englisch) bedeutete das so viel wie:

      Der Bericht über den Tagesbefehl des Großen Bruders in der Times vom 3. Dezember 1983 ist zutiefst unbefriedigend und nimmt Bezug auf nicht existierende Personen. Schreiben Sie ihn vollständig um und reichen Sie Ihren Entwurf an höherer Stelle ein, ehe er im Archiv aufbewahrt wird.

      Winston las den beanstandeten Artikel durch. Der Tagesbefehl des Großen Bruders hatte sich offenbar hauptsächlich dem Lob der Arbeit einer Organisation gewidmet, die unter der Bezeichnung SFZZ bekannt war und die die Matrosen auf den Schwimmenden Festungen mit Zigaretten und anderen Zuwendungen versorgte. Ein gewisser Genosse Withers, ein prominentes Mitglied der Inneren Partei, war lobend erwähnt worden und hatte einen Orden erhalten, den Orden für besondere Verdienste Zweiter Klasse.

      Drei Monate später war die SFZZ plötzlich ohne Angabe von Gründen aufgelöst worden. Man konnte vermuten, Withers und seine Kollegen seien inzwischen in Ungnade gefallen, aber weder in der Presse noch im Telemonitor hatte es zu dieser Angelegenheit Berichte gegeben. Das war zu erwarten gewesen, da politische Straftäter für gewöhnlich nicht vor Gericht gestellt, geschweige denn öffentlich angeprangert wurden. Die großen Säuberungen, die Tausende von Menschen betrafen, und die öffentlich abgehaltenen Verhandlungen gegen Verräter und Gedankenverbrecher, die für ihre Verbrechen unterwürfig Geständnisse ablegten und danach hingerichtet wurden, waren spezielle Schauprozesse, die nur einmal alle paar Jahre stattfanden. Gewöhnlich lief es so ab, dass Leute, die das Missfallen der Partei erregt hatten, einfach verschwanden und man nie wieder etwas von ihnen hörte. Man hatte nicht den kleinsten Anhaltspunkt, was mit ihnen geschehen war. In manchen Fällen waren sie womöglich nicht einmal tot. Etwa dreißig Leute, die Winston persönlich gekannt hatte, seine Eltern nicht mitgezählt, waren im Laufe der Zeit verschwunden.

      Winston strich sich mit einer Büroklammer sanft über den Nasenrücken. In der Nische auf der anderen Seite des Gangs kauerte Genosse Tillotson noch immer heimlichtuerisch über seinem Sprechschreiber. Einen kurzen Moment СКАЧАТЬ