1984. George Orwell
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Читать онлайн книгу 1984 - George Orwell страница 10

Название: 1984

Автор: George Orwell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Reclam Taschenbuch

isbn: 9783159618609

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СКАЧАТЬ Wir haben nicht alle das Privileg, an vorderster Front kämpfen zu dürfen, dafür können wir uns zumindest alle fit halten. Denkt an unsere Jungs an der Malabar-Front! Und an die Seeleute auf den Schwimmenden Festungen! Überlegt mal, was die aushalten müssen. Jetzt probiert es noch einmal. Schon besser, Genosse, das sieht schon viel besser aus«, fügte sie aufmunternd hinzu, als es Winston mit einer gewaltigen Abwärtsbewegung zum ersten Mal seit Jahren gelang, die Zehen zu berühren, die Knie durchgedrückt.

      4

      Mit einem tiefen, unbewussten Seufzer, der ihm zu Beginn der Arbeit trotz der Nähe des Telemonitors entfuhr, zog Winston den Sprechschreiber zu sich heran, pustete den Staub von dem Mundstück und setzte die Brille auf. Dann entrollte er vier kleine Papierzylinder, die bereits auf der rechten Seite seines Schreibtischs aus der mit Druckluft betriebenen Rohrpost gepurzelt waren, und klemmte sie aneinander.

      In den Wänden der Arbeitsnische gab es drei Öffnungen. Rechts von dem Sprechschreiber eine kleine Rohrpost für schriftliche Nachrichten; links eine größere Röhre für Zeitungen; und in der Seitenwand, in Reichweite von Winstons Arm, einen breiten länglichen Schlitz, geschützt von einem Drahtgitter. Dieser Schlitz diente dazu, Papierabfälle zu entsorgen. Schlitze dieser Art gab es zu Tausenden und Zehntausenden im gesamten Gebäude, nicht nur in jedem Raum, sondern auch in kurzen Abständen auf den Fluren. Aus irgendeinem Grund hatte man ihnen den Spitznamen »Gedächtnislöcher« gegeben. Sobald man wusste, dass irgendein Dokument vernichtet werden sollte, oder wenn man nur einen Fitzel Papier herumliegen sah, hob man unweigerlich die Drahtklappe des nächstbesten Gedächtnisloches an und warf das Papier hinein, woraufhin es in einem Strudel warmer Luft zu den riesigen Brennöfen fortgewirbelt wurde, die irgendwo in den Tiefen des Gebäudes verborgen standen.

      Winston betrachtete die vier Papierstreifen, die er entrollt hatte. Jeder enthielt eine Mitteilung von nur einer bis zwei Zeilen, und zwar in dem verkürzten Jargon – kein wirkliches Neusprech, aber weitestgehend aus Neusprechwörtern bestehend –, der im Ministerium für interne Zwecke benutzt wurde. Sie lauteten:

      times 17. 3. 84 gb rede missberichtet afrika richtigstellen

      times 19. 12. 83 vorschau 3 jp 4. quartal 83 druckfehler laufende ausgabe verifizieren

      times 14. 2. 84 minifülle misszitiert schokolade richtigstellen

      times 3. 12. 83 bericht gb tagesbefehl doppelplusungut nennt unpersonen vollkommen umschreiben obenvor präarchiv

      Mit einem leisen Gefühl der Befriedigung legte Winston die vierte Mitteilung beiseite. Es handelte sich um eine delikate und verantwortungsvolle Aufgabe, die man am besten zum Schluss erledigte. Die anderen drei waren Routineangelegenheiten, auch wenn die zweite Mitteilung wahrscheinlich ein mühsames Durchforsten von Zahlenauflistungen bedeutete.

      Winston wählte auf dem Telemonitor »Frühere Nummern« an und bestellte die entsprechenden Ausgaben der Times, die kurz darauf aus der Öffnung der Rohrpost glitten. Die Mitteilungen, die er erhalten hatte, bezogen sich auf Artikel oder Meldungen, bei denen es aus diesem oder jenem Grund für nötig befunden wurde, den Wortlaut zu ändern oder, wie die offizielle Wendung lautete, richtigzustellen. So ging zum Beispiel aus der Times vom 17. März hervor, der Große Bruder habe in seiner Rede vom Vortag vorausgesagt, an der Südindien-Front werde es ruhig bleiben, in Nordafrika werde hingegen bald eine eurasische Offensive eingeleitet. Wie sich dann herausstellte, hatte die eurasische Höhere Kommandoebene ihre Offensive in Südindien eingeleitet und Nordafrika in Ruhe gelassen. Daher war es notwendig, einen Absatz aus der Rede des Großen Bruders so umzuschreiben, dass er das Ereignis voraussagte, das tatsächlich eingetreten war. Die Times vom 19. Dezember wiederum hatte die offiziellen Prognosen für die Produktion von unterschiedlichen Konsumgütern im vierten Quartal von 1983 veröffentlicht, das gleichzeitig das sechste Quartal des Neunten Dreijahresplans ausmachte. Die heutige Ausgabe enthielt eine Angabe zur tatsächlichen Produktion, der zu entnehmen war, dass die Prognosen in allen Belangen in erheblichem Maße falsch waren. Winstons Aufgabe bestand darin, die ursprünglichen Zahlen richtigzustellen, damit sie mit den späteren übereinstimmten. Was die dritte Mitteilung anbelangte, so bezog sie sich auf einen kleineren Fehler, der sich in ein paar Minuten beheben ließ. Kurz zuvor, im Februar, hatte das Ministerium für Fülle ein Versprechen verlautbaren lassen (eine »kategorische Zusicherung«, so der offizielle Wortlaut), es werde im Laufe des Jahres 1984 zu keiner Kürzung der Schokoladenration kommen. Tatsächlich sollte aber die Schokoladenration, wie Winston wusste, gegen Ende der laufenden Woche von dreißig auf zwanzig Gramm herabgesetzt werden. Man brauchte aber lediglich das ursprüngliche Versprechen durch den Warnhinweis zu ersetzen, es werde womöglich nötig sein, die Ration irgendwann im April herabzusetzen.

      Sowie Winston jede der Mitteilungen bearbeitet hatte, heftete er seine sprechgeschriebenen Korrekturen an die jeweilige Ausgabe der Times und steckte sie in die Rohrpost. Dann, mit einer Bewegung, die nahezu unbewusst ablief, knüllte er die ursprüngliche Mitteilung und alle Notizen, die er selbst gemacht hatte, zusammen und warf sie in das Gedächtnisloch, damit sie von den Flammen verzehrt wurden.

      Was in dem unsichtbaren Labyrinth geschah, in das die mit Druckluft betriebenen Röhren führten, wusste er nicht im Detail, aber in groben Zügen. Sobald alle in einer bestimmten Nummer der Times als notwendig erachteten Korrekturen zusammengetragen und kritisch verglichen worden waren, würde diese Nummer neu gedruckt, die ursprüngliche Ausgabe vernichtet und an ihrer Stelle die korrigierte Ausgabe ins Archiv übernommen werden. Dieser Prozess fortlaufender Änderungen wurde nicht nur auf Zeitungen angewendet, sondern auch auf Bücher, Zeitschriften, Prospekte, Plakate, Flugblätter, Filme, Tondokumente, Cartoons, Fotografien – auf jede Art von Literatur oder Dokumentation, die in jeder nur denkbaren Weise von politischer oder ideologischer Bedeutung sein konnte. Tag für Tag und fast von einer Minute zur anderen wurde die Vergangenheit auf den aktuellen Stand gebracht. Auf diese Weise konnte man bei jeder von der Partei gemachten Voraussage anhand des dokumentierten Nachweises belegen, dass sie korrekt gewesen war; ebenso durfte keine Nachricht oder Meinungsäußerung je aktenkundig bleiben, die zu den Anforderungen des Augenblicks in Widerspruch standen. Die Geschichte an sich war ein Palimpsest, das genauso oft, wie es nötig war, saubergeschabt und neu beschrieben wurde. Sobald die Tat vollbracht war, wäre es in keinem einzelnen Fall möglich gewesen, nachzuweisen, dass eine Fälschung stattgefunden hatte. Der größte Bereich der Dokumentationsabteilung, weitaus größer als der Bereich, in dem Winston arbeitete, setzte sich aus Leuten zusammen, deren Aufgabe darin bestand, sämtliche Ausgaben von Büchern, Zeitungen und anderen Dokumenten aufzuspüren und zu sammeln, die für ungültig erklärt worden waren und vernichtet werden mussten. Selbst wenn eine Nummer der Times aufgrund von Veränderungen der politischen Ausrichtung oder aufgrund der vom Großen Bruder irrtümlich gemachten Voraussagen womöglich bereits ein Dutzend Mal neu geschrieben worden war, wurde sie immer noch unter dem ursprünglichen Datum im Archiv aufbewahrt, und es gab kein Exemplar, das dieser hätte widersprechen können. Auch Bücher wurden zurückgerufen, immer wieder umgeschrieben und ausnahmslos neu aufgelegt, ohne ein Eingeständnis, dass Veränderungen vorgenommen worden waren. Selbst die geschriebenen Anweisungen, die Winston erhielt und immer entsorgte, sobald er sie bearbeitet hatte, besagten nie oder deuteten nie auch nur an, dass ein Akt der Verfälschung vorgenommen werden sollte: Verwiesen wurde immer nur auf Versehen, Irrtümer, Druckfehler oder falsche Zitate, die im Interesse der Genauigkeit unbedingt richtiggestellt werden mussten.

      Tatsächlich, dachte er, als er die Zahlen des Ministeriums für Fülle anglich, war es ja auch gar keine Fälschung. Ein Unsinn wurde bloß durch einen anderen ersetzt. Der Großteil des Materials, mit dem man zu tun hatte, stand in keinem Zusammenhang zur realen Welt, nicht einmal in der Art von Zusammenhang, den eine offenkundige Lüge aufweist. Statistiken waren in ihrer ursprünglichen Version ebenso eine Ausgeburt der Fantasie wie die richtiggestellten Versionen. Sehr häufig wurde erwartet, dass man sie sich einfach ausdachte. So hatte zum Beispiel das Ministerium für Fülle in seinen Voraussagen die Produktion von Stiefeln für das Quartal auf 145 СКАЧАТЬ