Giganten. Ernst Hofacker
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Название: Giganten

Автор: Ernst Hofacker

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783854453642

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СКАЧАТЬ Vorrat an musikalischen Markenzeichen, er definierte mit seinem Spiel sogar – einzigartig in der Popgeschichte – das kleine Einmaleins für jeden, der nach ihm die Gitarre in die Hand nahm, um damit zu rocken. All die großen, stilprägenden Bands der Rock-Ära wären ohne Chuck Berry nicht denkbar. Fast im Alleingang etablierte er die Gitarre als führendes Instrument der weißen Popmusik. Auch wenn Männer wie Hank Williams oder Elvis gerne mit Gitarre vor ihr Publikum traten, sie benutzten das Instrument ausschließlich zur rhythmischen Begleitung. Berry indes setzte sie gleichermaßen als Rhythmus- und Soloinstrument ein, was bis dahin nur in den Bluesclubs von Chicago üblich war. Wie ein Klavier benutzte er die sechs Saiten, begleitete seinen Gesang mit rhythmischen Figuren auf den tiefen und setzte zwischen die Zeilen Fills, die er auf den hohen spielte – bis heute das grundlegende Prinzip der Rockgitarre. Der entscheidende Trick: Berry spielte kaum je Single Notes, er doppelte sie immer, spielte grundsätzlich mindestens zwei Saiten gleichzeitig an, wodurch sein voller, dynamischer Ton zustande kam. Keith Richards von den Rolling Stones, wohl Berrys gelehrigster Schüler, hat dafür eine so simple wie einleuchtende Erklärung: »Dieser Typ ist einfach riesengroß und hat riesige Hände – an ihm sehen diese dicken Gibsons aus wie eine Ukulele.« Trotzdem verfügte Berry durchaus über technische Fertigkeiten und eine große spielerische Eleganz. Sein Spiel speiste sich zu gleichen Teilen aus der Kunst der frühen Jazzvirtuosen wie Charlie Christian, aber auch aus dem rauen, zupackenden und effektvollen Stil eines Muddy Waters und, ganz besonders, T-Bone Walker. Dazu finden sich Spuren der Hillbilly-Musik von Gene Autry und Kitty Wells, die Chuck in seinen Kindertagen im Radio hörte. Nicht zuletzt borgte er sich jede Menge Zutaten beim Ende der Vierzigerjahre höchst erfolgreichen Combo-Swing von Louis Jordan, einem seiner frühen Idole.

      All die musikalische Kultiviertheit allerdings verbarg er gerne hinter seinen Bühnenkaspereien. Überhaupt, er war von Anfang an ein begnadeter Entertainer, sein »Duckwalk« ist dabei nur der berühmteste von vielen weiteren Späßen, mit denen er sein Publikum seit je in den Bann zieht.

      Dabei fängt der junge Chuck erst spät an, sich für die sechs Saiten zu interessieren. Zunächst reichen ihm vier – erst als 16-Jähriger sattelt er von der Tenorgitarre um auf eine richtige Sechssaitige. Viel lernt er von seinem frühen Mentor Ira Harris, einem Schüler Charlie Christians. Über die Jahre formt sich sein Stil in den Clubs von St. Louis, der entscheidende Schritt dürfte aber das Zusammentreffen mit Johnnie Johnson und dessen Trio sein, dem sich der bereits 27-jährige Berry Silvester 1953 anschließt. Hier trifft ein mit allen Wassern gewaschener Bluespianist auf einen geborenen Spaßvogel mit überdurchschnittlichen Fähigkeiten als Gitarrist und jeder Menge musikalischer Phantasie.

      Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Berry schloss sich dem Johnny Johnson Trio nicht als bescheidenes neues Mitglied an, vielmehr muss man den Vorgang eine freundliche Übernahme nennen, gegen die sich Johnson aus guten Gründen nicht wehrte. Einen besseren Frontmann hätte die Truppe nicht finden können. Das war gut fürs Geschäft, und das wusste der Profi Johnson sehr genau. Berry und Johnson werden mit ihrer Truppe schnell zur Hauptattraktion auf den Bühnen der Stadt, vor allem im Cosmo Club in East St. Louis. Die einzige Konkurrenz stellte die Band von Ike Turner dar.

      Im Mai 1955 kommt es in Chicagos Chess Studios zu Berrys erster, durch Vermittlung von Muddy Waters zustande gekommenen Aufnahmesession. Der Titel zeigt exemplarisch, wie Chuck aus dem Pre-Rock’n’Roll-Pop jener Tage seinen ureigenen Stil zimmert: Ursprünglich hieß die Nummer Ida Red und war 1938 ein Country-Hit von Bob Wills. Der Song gehört schon eine Weile zu Berrys Bühnenrepertoire, wie auch einige andere Country-Songs, denn das gemischtrassige Publikum im Cosmo hört diese Musik gerne. Ida Red hat sich unter Berrys Händen allerdings in einigen entscheidenden Punkten verändert. Chuck hat den Text umgeschrieben – er handelt jetzt von einem untreuen Mädchen – und ihn mit jeder Menge Cadillacs, Coupé de Villes und sonstigen Symbolen des Nachkriegslebensstils aufgemotzt. Dazu hat er die Nummer gleichsam tiefer gelegt, ihr einen strammen Backbeat sowie ein Intro von ebenso großer Spannung wie rhythmischer Finesse verpasst. Zwischendrin hat er noch schnell das erste wirklich große Gitarrensolo der Rockgeschichte aus der Hüfte geschossen. Nach 2:18 Minuten ist Maybellene, wie der Song nun heißt, vorbei – und der Rock’n’Roll hat, ein Jahr bevor Elvis der nationale Durchbruch gelingt, seine musikalische Visitenkarte. Was sich übrigens auch an den Verkaufslisten ablesen lässt: Platz 1 in den R’n’B-Charts, immerhin Platz 5 in den landesweiten Pop-Charts. Aufschlussreiche Fußnote zum gelungenen Einstand: Berrys ureigene Mischung aus Country und Rhythm’n’Blues, damals völlig neu, löst Irritationen über seine Hautfarbe aus. Außerhalb von Memphis ist er schließlich noch völlig unbekannt, kaum jemand hat ein Bild von ihm gesehen, und so vermuten nicht wenige, dass es sich da wohl um einen Weißen handeln müsse. Chess Records trägt bewusst nichts zur Aufklärung bei und verschickt stattdessen absichtlich überbelichtete Promotion-Fotos.

      Das Kleingedruckte auf der Single jedoch hat es in sich und beschert Berry eine seiner wichtigsten Lektionen im Plattenbusiness. Als Autoren nennt das Plattenlabel zur größten Verwunderung des Künstlers neben dessen Namen auch die von Russ Fratto und Alan Freed. Tiny Moore und Bob Wills hingegen, die Komponisten von Ida Red, das für Maybellene immerhin Modell stand, verschweigt man. Mit Freed hat Berry bereits zu tun gehabt, er ist eine nationale Berühmtheit und gilt mit seiner wöchentlichen Show beim New Yorker Radiosender WINS als einflussreichster R’n’B-Discjockey des Landes. Freed hat Maybellene als Erster gespielt und ist so durchaus mitverantwortlich für den Erfolg der Platte. Von Fratto aber hat Berry nie gehört. Wie sich herausstellt, ist der Mann der Vermieter der Räumlichkeiten, in denen Chess Records sich niedergelassen hat. Aus Gefälligkeit hat Leonard Chess die beiden Männer am Erfolg von Maybellene beteiligt. Eine Hand wäscht die andere, in den Fünfzigerjahren im Musikbusiness wie auch woanders gängige Praxis – allerdings auf Kosten der Künstler. In seiner Autobiografie sagt Berry dazu: »Bei meiner ersten Tantiemenabrechnung stellte ich erstaunt fest, dass jemand namens Russ Fratto und dieser Alan Freed, mit dem ich telefoniert hatte, Mitautoren des Songs waren. Als ich später mit Leonard Chess darüber sprach, behauptete er, dass der Song mehr Aufmerksamkeit erhalten würde, wenn bekannte Namen darunter stünden. Da ich unbekannt war, schien mir seine Argumentation einleuchtend – zumal er vergaß zu erwähnen, dass auch die Tantiemen aufgeteilt wurden.«

      Im Anschluss an Maybellene gelingt Chuck Berry eine lupenreine Serie, jeder Song ein Treffer, ach was, allesamt werden sie Instant-Klassiker: Neben den schon genannten sind dies Carol, Back In The USA, Too Much Monkey Business, Reelin’ And Rockin’, You Never Can Tell, Let It Rock und andere mehr. Wer sich mit diesen Berry-Stücken auseinandersetzt, entdeckt schnell die typischen, von Gitarristen-Generationen nachgebeteten Merkmale seines Spiels. Das klassische Chuck-Berry-Intro etwa, exemplarisch zu hören in Johnny B. Goode, mit seiner von der Terz zum Grundton aufsteigenden Melodielinie, die dann in einem Stakkato von Grundton und Quinte ihren Gipfel findet. Der Trick funktioniert bis heute – noch immer lässt sich jedes Kneipenpublikum zwischen St. Louis und St. Petersburg mit diesem Intro anstandslos von null auf Hundert bringen. Geklaut hat Berry die Idee zu diesem Intro, wie er einmal verriet, bei Louis Jordans Band. Interessante Variationen lässt Chuck auf Carol, Sweet Little Sixteen und Brown Eyed Handsome Man hören, wo er das Ganze mit einer leicht karibischen Note anreichert.

      Double Notes, gerne auch als Bendings, sowie die immer wieder auftauchenden Boogie-Muster sind aber nicht das ganze Geheimnis von Chucks einzigartigem Stil. Und auch die berühmte kirschrote Gibson ES 355 mit ihrem charakteristisch warmen und aggressiv-kräftigen Ton macht allein noch keinen Berry. Zu all dem kommt zusätzlich ein Phänomen, das sich musikalisch kaum definieren lässt: Chucks Musik swingt. In seinem Fall bedeutet Rock’n’Roll mehr Roll als Rock. Dieser eigenartige, irgendwo zwischen gerade gespieltem Viervierteltakt und Shuffle schwebende Swing ist das eigentliche Geheimnis von Chucks so ungeheuer ansteckenden Grooves. Besonders deutlich zu spüren ist das in den Originalaufnahmen von Sweet Little Sixteen, Sweet Little Rock’n’Roller oder auch Down The Road A Piece (aus der Feder von Don Raye und 1946 ein Hit für Amos Milburn). Der amerikanische Journalist Clive Anderson umschrieb das mal mit den kaum übersetzbaren Worten »…nothing is forced but everything swings«. Diesen nicht stampfenden, eher sachte schaukelnden Rhythmus hat Berry von seinen großen СКАЧАТЬ