Название: Der König und sein Spiel
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783895338465
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Ajax war gewissermaßen zweimal gegründet worden. Am 5. Oktober 1893 riefen Schüler der an der Weteringschans liegenden Hogere Burgerschool (Höhere Bürgerschule = Gymnasium) in einem Café am Amstelveenseweg einen Fußballverein ins Leben, den sie zunächst „Union“ tauften. 1894 wurde Union in Foot-Ball Club Ajax umbenannt, nach dem griechischen Heerführer der Troja-Sage.
Dem Klub, der auf einem kleinen Feld am Ende von Overtoom, außerhalb der Stadtgrenze, spielte, war jedoch nur eine kurze Existenz beschieden. 1896 führte ein interner Streit zum Austritt der meisten Mitglieder, und der Klub fiel auseinander.
Am 18. März 1900 wurde der Amsterdamsche Football Club Ajax im Kaffeehaus „Oost-Indie“ neu gegründet.
Bei Ajax beerbt Jack Reynolds nun den Iren John Kirwan, einen früheren Internationalen, der zunächst Gaelic Football gespielt und 1894 mit der Auswahl der Grafschaft Dublin die All-Ireland-Championship gewonnen hat. Anschließend wechselte Kirwan zum Fußball und holte mit den Tottenham Hotspurs 1901 den FA-Cup. 1910 zog der Ire in die Niederlande und wurde dort erster bezahlter Trainer von Ajax, das er bereits nach einer Saison in die 1. Liga führte. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte Kirwan zurück nach London, später trainierte er noch den A.S. Livorno in Italien.
Nachfolger Jack Reynolds bleibt von 1915 bis 1947 in Amsterdam, mit kurzen Unterbrechungen: 1919 trainiert er kurzzeitig die Elftal, 1925-28 Blauw-Wit Amsterdam, den „jüdischen“ Klub aus dem Süden der Hauptstadt. Unter Reynolds avanciert das zunächst unbedeutende Ajax zu einer der führenden Adressen des niederländischen Fußballs, gewinnt 1918 seinen ersten niederländischen Meistertitel und erlebt in den 1930ern seine erste goldene Ära. Das Team wird fünfmal Meister: 1931, 1932, 1934, 1937, 1939.
Den Zweiten Weltkrieg verbringt Reynolds u. a. in einem Gefangenenlager im oberschlesischen Örtchen Tost, danach kehrt er zurück zu Ajax, wo er mit seinen Ideen u. a. den Spieler Rinus Michels beeinflusst. 1947 führt Reynolds Ajax ein letztes Mal zur Meisterschaft, es ist seine achte mit dem Klub. Der Engländer dient Ajax insgesamt 27 Jahre und bleibt auch nach dem Ende seiner Trainerkarriere in Amsterdam, wo er 1962 im Alter von 81 Jahren stirbt.
Reynolds gilt als der eigentliche Erfinder des Ajax-Stils bzw. des „Fußball total“, den Rinus Michels dann ab Mitte der 1960er weiterentwickelt. Denn Reynolds ist der Erste, der Ajax eine auf guter Technik basierende offensive Spielphilosophie einimpft: „Für mich ist und bleibt der Angriff die beste Verteidigung.“
Die Übereinstimmungen zwischen Reynolds und Michels sind frappierend. Beide waren Disziplinfanatiker und legten allergrößten Wert auf das Trainieren der Technik. Bereits Reynolds lässt extrem viel mit dem Ball arbeiten. Außerdem erkennt er die Bedeutung einer systematischen Nachwuchsarbeit. Jugend und 1. Mannschaft werden in Hinblick auf Taktik und Technik miteinander verzahnt, sämtliche Ajax-Teams verfolgen dieselbe Philosophie und kicken im selben System. Damit dies garantiert ist, verbringt Reynolds gewöhnlich täglich 14 Stunden auf der Ajax-Anlage.
In seiner Heimat hätte Reynolds kaum reüssieren können. In England, wo bereits 1888 mit der Football League die erste nationale Fußballliga der Welt angepfiffen wurde, stand die Arbeit des Trainers schon viel zu stark unter kurzfristigem Erfolgsdruck. „Den Sieg organisieren“, hatte Herbert Chapman, der Erfinder des W-M-Systems, die Vorgabe formuliert.
Derartige Ligastrukturen existierten in den Niederlanden noch nicht. Jonathan Wilson, Taktik-Experte und „Guardian“-Kolumnist: „Insbesondere britische Trainer wagten hier Experimente, die man in ihrer Heimat als hoffnungslos idealistisch verworfen hätte.“
Vic Buckingham
Dies gilt auch für Reynolds Nachfolger bei Ajax, den 1959 verpflichteten Engländer Vic Buckingham. Das von Reynolds geprägte Ajax ist die richtige Adresse für den technikorientierten Buckingham, der nun die Vorstellungen seines Landsmannes um weitere Elemente in Richtung des „Fußball total“ weiterentwickelt: kollektiven Ballbesitz, Kurzpass, schnelle Weitergabe des Balles. Mit kurzen und nach der Ballannahme sofort gespielten Pässen soll das Mittelfeld schnell überbrückt und am Gegner vorbeigespielt werden. Nach der Ballabgabe hat der Spieler in einen neuen Raum hineinzulaufen, um erneut anspielbar zu sein.
Von den langen Bällen, die in seiner Heimat üblicherweise gespielt werden, hält Buckingham nichts. Denn lange Bälle landen häufig beim Gegner und kommen somit zurück. Buckingham 1993 in einem Interview mit David Winner: „Lange Bälle sind zu riskant. Meistens zahlt sich intelligente Technik aus. Wenn man den Ball hat, soll man ihn behalten. Dann kann der Gegner kein Tor erzielen…“ (Für Johan Cruyff wird das später – zumal als Trainer – zur Maxime. Und eines der bekanntesten Cruyff-Zitate lautet: „Wenn wir den Ball haben, können die anderen kein Tor schießen.“)
Auch Vic Buckingham profitiert davon, dass den Niederländern das „Gewinnen um jeden Preis“ eher fremd ist: „Der holländische Fußball war gut, nicht diese grobe Gewinnen-müssen-Mentalität. Sie hatten eine andere Technik, einen anderen Intellekt, sie spielten richtig Fußball. Das hatten sie nicht von mir, es war schon vorhanden und wartete nur darauf, geweckt zu werden. (…) Es ging lediglich darum, ihnen zu erklären, dass sie den Ball mehr in den eigenen Reihen halten sollten. Ich war schon immer der Ansicht, dass Ballbesitz neun Zehntel des Spiels ausmacht, und Ajax’ Spiel war auf Ballbesitz angelegt. (…) Ich habe sie beeinflusst, aber dann sind sie weitergegangen und haben von sich aus Sachen gemacht, die mich entzückt haben. So bewegten sie sich etwa als Pärchen auf der linken Außenbahn vorwärts, passten den Ball hin und her – einfach peng-peng (gemeint ist wohl, was man heute „one touch“-Fußball nennt, Anm. d. Autors) – über 30 Meter, spielten zu zweit drei Verteidiger aus und schufen einen riesigen freien Raum.“
Auf Buckingham folgt 1961 mit Keith Spurgeon ein weiterer Engländer. Bei Ajax wechseln nun die Trainer jährlich. Spurgeon wird vom Österreicher Joseph Gruber beerbt, der wiederum vom Engländer Jack Rowley abgelöst wird, bevor noch einmal Buckingham die Verantwortung übernimmt. Dieser hat nach seinem ersten Ajax-Engagement u. a. Sheffield Wednesday trainiert, kehrt aber der Heimat frustriert den Rücken, nachdem drei seiner Spieler der Spielmanipulation überführt wurden.
Buckinghams zweite Amtszeit bei Ajax endet im Januar 1965, dann wird er vom Niederländer Rinus Michels abgelöst. Buckingham findet sofort eine neue Beschäftigung beim FC Fulham.
Buckingham, der als eigentlicher Entdecker von Johan Cruyff gelten kann, ist heute in England weitgehend vergessen. Auf dem Kontinent coachte der Engländer nicht nur Ajax, sondern in der Saison 1970/71 auch den FC Barcelona, wo sein Nachfolger erneut Rinus Michels heißt.
Karel Lotsy und seine Amateure
Wer in den Niederlanden mit dem Fußball seinen Lebensunterhalt bestreiten wollte, musste bis in die 1950er ins Ausland wechseln. Ähnlich wie das Nachbarland Deutschland frönten die Niederlande einem ideologisch hoffnungslos überladenen Amateurismus.
Was in Deutschland Felix Linnemann war, der dem DFB von 1925 bis 1945 vorstand und in diesen Jahren eine heftige Jagd auf tatsächliche und vermeintliche Profis betrieb, war in den Niederlanden Karel Lotsy. 1942, zwei Jahre nach dem deutschen Überfall auf das Nachbarland, wird Lotsy Vorsitzender des KNVB. Zuvor hat er dem Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete als Berater der Hauptabteilung Erziehung, Wissenschaft und Kulturpflege gedient. Lotsy steht der Nazi-Ideologie nahe und sorgt nun dafür, dass die Juden aus dem niederländischen Fußball entfernt werden. So ist von ihm der Satz überliefert: „Die Chance ist zum Greifen nahe, dass der neue Geist sich durchsetzen wird.“
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