Fettnäpfchenführer Japan. Kerstin und Andreas Fels
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Название: Fettnäpfchenführer Japan

Автор: Kerstin und Andreas Fels

Издательство: Bookwire

Жанр: Книги о Путешествиях

Серия: Fettnäpfchenführer

isbn: 9783958892279

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СКАЧАТЬ WO IST EIGENTLICH DIE WASSERRUTSCHE?

      Herr Hoffmann ist nackt – splitterfasernackt. Unauffällig schaut er sich im Raum um und atmet erleichtert auf. Die anderen Männer haben ihre Kleidung ebenfalls abgelegt. Frau Watanabe ihm zwar versichert, dass in Japan traditionellerweise nackt gebadet wird, so ganz wohl war Herrn Hoffmann aber nicht dabei. Trotzdem ist er Frau Watanabes Rat gefolgt und hat sich im onsen, dem öffentlichen Bad, an den blauen Vorhängen orientiert, um nicht aus Versehen in der Damenumkleide zu landen. Dann hat er sich im Umkleidezimmer ausgezogen, seine Sachen in einem der bereitstehenden Körbe verstaut und den Schritt in den Baderaum gewagt. So weit so gut.

      Betont lässig schlendert Herr Hoffmann nun auf eines der tiefen, rechteckigen Wasserbecken zu. Fünf Männer sitzen – bis zum Hals im Wasser – darin, einer davon hat ein kleines, weißes Handtuch auf der Stirn liegen. Keiner schwimmt, taucht oder macht sonst etwas. Herr Hoffmann ist fest entschlossen, sich dieses Mal nicht zu blamieren. Daher beobachtet er erst einmal, wie einer der anderen Männer sich langsam und geräuschvoll einatmend in das Wasser gleiten lässt. »Atsui, atsui«, murmelt er und lässt, als er schließlich ganz in das Wasser eingetaucht ist, ein wohliges »Aaaaaah, kimochiiii!« ertönen.

      Könnte Herr Hoffmann japanisch verstehen, wäre er gewarnt gewesen ... So aber schwingt er seine Beine forsch ins Becken und erstarrt. Das Wasser ist brühend heiß! Die anderen Japaner im Becken sehen zu ihm hin und erstarren ebenfalls. Herr Hoffmann lächelt gequält, während ihm Schweißperlen auf die Stirn treten und seine Beine rot anlaufen. Hätte er mal geahnt, dass atsui heiß bedeutet ... Aber so leicht lässt Herr Hoffmann sich nicht unterkriegen. Tapfer ignoriert er die Hitze und schiebt seinen Körper zentimeterweise weiter ins Wasser hinein. Aaah, jetzt ist es angenehm. Triumphierend schaut er sich um – und stellt fest, dass er mittlerweile ganz allein im Becken ist. Die anderen Männer sind allesamt ins Nachbarbecken gewechselt.

      ›Hmmm, komisch diese Japaner‹, denkt Herr Hoffmann, doch dann sieht er, dass nicht alle Männer im anderen Becken sind. Zwei von ihnen sitzen auf kleinen Plastikhockern vor einen Wasserhahn gekauert, seifen sich gründlich ein und rubbeln sich dabei mit einem Schwamm ab, bis ihre Haut gerötet ist. Der etwas Ältere, der näher an Herrn Hoffmann sitzt, füllt nun eine Schüssel mit Wasser und gießt sich das Wasser immer wieder über den Körper, bis der Seifenschaum abgespült ist. Danach seift er sich erneut ein. Überall. Gründlich und ausgiebig. Nun dämmert es ihm. Hatte Frau Watanabe nicht irgendwas davon gesagt, dass er sich auf gar keinen Fall ungewaschen in das Wasserbecken setzen soll?

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Ja, hat sie. Frau Watanabe hatte ihn beim Mittagessen sogar zweimal daran erinnert, dass er sich vor dem Bad gründlich waschen soll, aber Herr Hoffmann war zu sehr durch das laute Schlürfen abgelenkt, mit dem sein Tischnachbar die Nudelsuppe genossen hat. Hätte er besser zugehört, hätte er auch Frau Watanabes spannende Ausführungen zur Badekultur in Japan mitbekommen.

      Und da gibt es einiges zu berichten. Denn im Gegensatz zum in dieser Hinsicht recht zurückhaltenden Deutschland geht es in Japan tektonisch gesehen heiß her. In dieser vulkanischen Umgebung entspringen jede Menge heiße Quellen, bei denen das oft schwefelhaltige Wasser im Erdinneren erwärmt wird, bevor es an die Oberfläche sprudelt. Kein Wunder, dass sich um diese Thermalquellen eine regelrechte Badekultur gebildet hat. Hinzu kommt, dass traditionelle japanische Häuser keine Badezimmer haben. Zum Waschen ging man also in ein öffentliches Bad. In einem onsen stammt das Wasser tatsächlich aus einer vulkanischen Quelle, die anderen öffentlichen Bäder heißen sentô. Allein in Tôkyô gibt es über 1.000 öffentliche Bäder, in ganz Japan etwa 13.000 onsen. Besonders viele heiße Quellen gibt es auf der südlichsten Hauptinsel Kyûshû und auf der nördlichsten Insel Hokkaidô.

      Wer schon einmal hier in Deutschland in einem Thermalbad war und milde lächelnd abwinkt, sollte vorsichtig sein. Das wäre in etwa so, wie Fischfrikadellen mit Sushi zu vergleichen (nichts gegen Fischfrikadellen, aber – nun ja ...). Die heißen Quellen in Japan sollte man nicht unterschätzen, denn sie sind wirklich heiß. Anders als in unseren mit etwa 30 bis 40 Grad eher lauwarm temperierten europäischen Quellen, kommt das Wasser in den onsen mit einer Temperatur von bis zu 80 und 100 Grad an die Oberfläche. In den Badebecken wird es allerdings auf eine badetaugliche Temperatur von in der Regel etwa 42 Grad herunter gekühlt. Herr Hoffmann hat sich also auch ein bisschen angestellt ...

      Onsen haben wenig mit unseren Schwimmbädern gemein, es gibt keine Wasserrutschen oder Sprungbretter. Eigentlich handelt es sich mehr um eine große Badewanne, in der man beisammensitzt, sich vielleicht etwas erzählt und ansonsten Entspannung nach einem langen Tag findet. Und nicht nur das: Einem Bad im onsen werden wahre Wunderkräfte zugeschrieben. Das Wasser, das je nach Quelle eine andere Mischung an Mineralien enthält, soll je nach Zusammensetzung gegen Rheuma, Rückenschmerzen, Erkältungen, sogar Potenzprobleme und vieles mehr helfen. Für ein echtes onsen ist sogar ein Mindestwert an Mineralien vorgeschrieben und oft riechen sie nach Schwefel. Nach einem japanischen Volkslied kann eine heiße Quelle alles heilen, nur die Liebe nicht. Kein Wunder also, dass in Japan erwartet wird, dass sich die Besucher gründlich waschen, bevor sie sich in das heilsame Wasser setzen.

      Dasselbe gilt übrigens für ein Bad zu Hause. Auch hier sind Waschen und Baden zwei völlig unterschiedliche Dinge. Da oft die ganze Familie abends badet – und zwar im selben Wasser – wäscht sich auch hier jeder gründlich, bevor er sich in die warme Wanne setzt. Diese ist kürzer und höher als bei uns. Anstatt in der Wanne zu liegen, sitzt man also darin, wird aber dennoch bis zum Hals mit Wasser umspült. Dieses wärmende Bad vorm Schlafengehen ist gerade im Winter eine großartige Sache. Vor allem, wenn man bedenkt, dass viele japanische Häuser bis heute keine Zentralheizung haben und auch nicht wärmegedämmt sind, sodass man nach dem Aufwachen schon mal seinen eigenen Atem sehen kann.

      Apropos den eigenen Atem sehen: So richtig spaßig ist ein Bad im onsen erst unter freiem Himmel, am besten in einer Schneelandschaft. Oft wird so eine natürliche heiße Quelle, die in einer Höhle oder an einer Klippe entspringt, flugs um einen Zaun und einen Waschraum ergänzt und fertig ist das Badehaus. Der Besucher bekommt hier zum Badevergnügen oft einen spektakulären Blick auf die umgebende Landschaft dazu.

      Und damit Blickrichtung und Aufmerksamkeit auch ja nicht von der Landschaft abgelenkt werden, sind die Bereiche für Männer und Frauen in der Regel getrennt. Zumindest heute. Bis zu der einsetzenden Verwestlichung Japans während der Regentschaft von Kaiser Meiji (1868–1912) badeten Männer und Frauen ganz selbstverständlich zusammen. Und gebadet wurde und wird natürlich unbekleidet – da lag Herr Hoffmann also schon mal richtig. Die zunehmende Orientierung an westlichen Wertvorstellungen und der Einfluss der USA (die dem Nacktbaden nicht wirklich aufgeschlossen begegneten) nach dem Zweiten Weltkrieg führten dann mehr und mehr zu einer strikten Geschlechtertrennung. Wobei es natürlich auch heute noch gemischtgeschlechtliche onsen gibt, allerdings bei Weitem nicht mehr so häufig wie früher.

      Das wohltuende Bad in den heißen Quellen haben übrigens nicht nur die Menschen zu schätzen gelernt. In den 1960er Jahren beobachtete ein Schneeaffe im sogenannten Höllental an der Südseite von Hokkaidô die Menschen beim Baden. Und hat es dann selber einmal ausprobiert. Gut, vielleicht war es auch ein Unfall und er ist aus Versehen in das Wasser gefallen, aber jedenfalls hat es ihm ge-fallen. Kein Wunder, denn auf Japans nördlichster Insel kann es im Winter schon mal empfindlich kalt werden. Seitdem wird die Tradition des heißen Badens im onsen von einer Affengeneration zur nächsten weitergegeben. Längst haben die badenden Schneeaffen sich zur beliebten Touristenattraktion gemausert und sogar einen eigenen Pool bekommen. Die Affen baden dann übrigens doch noch ganz traditionell ohne Geschlechtertrennung.

       Was können Sie besser machen?

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