Название: Fettnäpfchenführer Japan
Автор: Kerstin und Andreas Fels
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги о Путешествиях
Серия: Fettnäpfchenführer
isbn: 9783958892279
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Das aufmunternd gemeinte Schulterklopfen ist hier ebenso kontraproduktiv beim Versuch, eine freundschaftliche Gesprächsbasis aufzubauen, wie der direkte Blick in die Augen: Was in der einen Kultur als aufgeschlossen und ehrlich gewertet wird, fühlt sich in der anderen aufdringlich, unverschämt und einschüchternd an. Japaner blicken zur Vermeidung solch peinlicher Momente eher auf Kinn oder Hals des Gegenübers – und nicht nur, wenn dieser wie bei der Begegnung mit Herrn Hoffmann einen halben Kopf größer ist.
Was können Sie besser machen?
Wem begrüßungskulturelle Aussetzer unangenehm sind, wartet erst einmal, was der andere mit seinen Händen anstellt. Bleiben diese seitlich an die Schenkel gepresst (Männer) oder vor den Oberschenkeln aufeinander gelegt (Frauen), starten Sie lieber das Verbeugungsmanöver. Ist Ihr Gegenüber bereit, sich an Ihre Begrüßungsriten anzupassen, werden Sie unter Umständen bemerken, dass Ihr Händedruck mit beinahe schon unangenehm schlaffer Sanftheit erwidert wird.
Auch wenn es verführerisch sein mag zu demonstrieren, wie ›ein richtiger Händedruck‹ funktioniert, widerstehen Sie lieber dem Drang, mit unerbittlicher Härte die gerade im handwerklichen Mittelstand geschätzte ›teutonische Prankenzwinge‹ vorzuführen. Und wer weiß: Vielleicht hat der Handreicher auch ein japanisches Gegenstück zu diesem Werk gelesen und bringt schon von sich aus beim Händedruck Ihre Knöchel zum Knirschen.
9
HERR HOFFMANN EKELT SICH
WENN MAN BEIM ESSEN VON SCHULDGEFÜHLEN GEPLAGT WIRD
Er hätte es wissen müssen! Frau Watanabe hatte schon so verschmitzt gelächelt, als er vorgeschlagen hatte, sie solle doch eine echte japanische Spezialität bestellen. Während Frau Watanabe mit dem Kellner spricht und dabei auf ein großes Aquarium deutet, das hinter der Theke des Restaurants steht, bezweifelt Herr Hoffmann, dass das eine gute Idee war. Schnell nimmt er einen großen Schluck von dem eiskalten Sapporo-Bier.
Frau Watanabe fragt ihn, ob ihm das Sushi neulich geschmeckt habe. Herr Hoffmann atmet auf. Ah, es soll also wieder Sushi geben – ein Glück!
»Ja, danke. Ich dachte immer, dass roher Fisch nichts für mich ist, aber das Sushi fand ich lecker.«
Frau Watanabe lächelt.
Auf einmal kommt Bewegung in das Aquarium. Einer der Küchenchefs angelt mit einem Netz einen Fisch heraus. Der Fisch zappelt, wird aber durch einen Schlag mit dem Griff des Küchenmessers betäubt. Die noch im Aquarium verbliebenen Fische starren fassungslos dem Küchenchef nach, der nun ihren Freund in die Küche trägt. Kurz darauf – ein bisschen ZU kurz vielleicht – serviert der Kellner eine Platte mit dem Fisch. Frau Watanabes Augen leuchten und sie nimmt ihre Stäbchen in die Hand. Der Fisch sieht noch aus wie im Aquarium, Kopf und Schwanz sind noch vorhanden, nur in der Mitte ist der Körper zu kunstvollen sashimi-Filets verarbeitet.
Herr Hoffmann greift nun auch zu seinen Stäbchen und führt diese zögerlich an den Fisch heran. »Der lebt ja noch!« Gerade hat der Fisch den Kopf bewegt. Nun zuckt auch noch der Schwanz.
Frau Watanabe nickt und angelt mit ihren Stäbchen geschickt ein Stückchen sashimi aus dem offenen Körper des lebenden Fischs: »Ja, sehr frisch!«
Herr Hoffmann schaut zum Aquarium. Die Fische starren ihn anklagend an. ›Seht mal, der Typ da frisst Robert bei lebendigem Leibe!‹, scheinen sie zu sagen. Heißen japanische Fische überhaupt Robert? Oder eher Hiroto? Schuldbewusst schaut er wieder auf die Platte. Robert (oder Hiroto) zuckt noch immer mit dem Schwanz. Herr Hoffmann nimmt seine Stäbchen und greift damit ein Stück von dem dünn geschnittenen Rettich, der neben dem Fisch drapiert liegt. Lange kaut er auf dem Rettich herum und überlegt, ob es wohl sehr unhöflich ist, in Japan ein Essen abzulehnen.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Um diese Frage zu klären, reisen wir zunächst einmal in die Vergangenheit. Genauer gesagt, zum 8. Juli 1853. An diesem Tag tauchen vier schwarze Schiffe vor der Küste der Stadt Edo (des späteren Tôkyô) auf – dies ist der Anfang vom Ende des alten Japan. An Bord: der amerikanische Kommodore Matthew Calbraith Perry mit der Mission, Japan zu einem Ultimatum zu zwingen.
Der Grund: Seit über 200 Jahren verfolgt der Inselstaat nun eine Politik des ›geschlossenen Landes‹. Handel ist nur den Chinesen und Niederländern unter strengen Beschränkungen erlaubt. Das soll sich nun ändern. Dank der überlegenen Waffentechnik der Amerikaner bleibt der Militärregierung, dem Shôgunat, nichts anderes übrig, als die Forderungen zu akzeptieren. Es kommt zu ungleichen Verträgen, die für die Amerikaner sehr viel günstiger sind als für die Japaner. Weitere Abkommen mit Großbritannien und Russland folgen – ebenfalls nicht zugunsten Japans.
Die Militärregierung verliert zunehmend an Autorität. Schließlich befreien am 3. Januar 1868 verbündete Streitkräfte den 16-jährigen Kaiser Mutsuhito (1852–1912, später Meiji, erleuchteter Herrscher) aus seinem Palast in Kyôto. Seit über 600 Jahren regiert nun erstmals wieder der Kaiser das Land.
Die neue Regierung setzt auf einen radikalen Modernisierungskurs. Zu spät hat man während der jahrhundertelangen Isolation gemerkt, dass das Ausland sich rasend entwickelt. Moderne Waffen, Telegrafenleitungen oder die Eisenbahn – all diese Erfindungen kennt man in Japan noch nicht. Höchste Zeit, das Vergangene aufzuholen: Während der Meiji-Restauration (1868) wird das Land komplett umgekrempelt.
Das alte Ständesystem, bestehend aus Samurai, Bauern, Kaufleuten und Handwerkern, wird abgeschafft. Damit beginnt der Niedergang der Samurai, die bis vor Kurzem noch alle öffentlichen Ämter besetzt haben, nun aber ohne richtige Aufgabe sind. Endgültig bedeutungslos werden sie mit dem Einführen der allgemeinen Wehrpflicht. Die stolzen Krieger, die bislang ihren hohen gesellschaftlichen Stand durch edle Seidengewänder zum Ausdruck gebracht haben und das Privileg hatten, einen einfachen Bürger, der sie nicht respektvoll mit einer Verbeugung begrüßt, einfach köpfen zu dürfen, bekommen einen weiteren herben Schlag versetzt. Ein neues Gesetz verbietet ihnen das öffentliche Tragen der beiden Schwerter, das sichtbare Zeichen ihrer Sonderstellung. Kein Wunder, dass es einige Zeit später zu einem Aufstand enttäuschter Samurai gegen die Regierung kommt. Aber der Fortschritt ist nicht aufzuhalten.
Um so viel fremdes Wissen wie möglich aufzusaugen, begibt sich 1871 ein großer Teil des Regierungskabinetts auf eine 20-monatige Reise um die Welt. Und sie bringen einiges mit. Bald fährt die erste Eisenbahn zwischen Tôkyô und Yokohama, auch die Zeitrechnung wird eine andere: 1873 wird der Gregorianische Kalender eingeführt.
Der Austausch geht weiter. Zahlreiche Japaner studieren im Ausland, im Gegenzug arbeiten bis zum Ende des Jahrhunderts über 3.000 ausländische Berater im aufstrebenden Japan. Die Japaner übernehmen so für sich jeweils das Beste aus allen anderen Ländern. Das Post- und Eisenbahnsystem sowie die Marine orientierten sich am Vorbild Englands, die Präfekturen werden nach französischem Ideal eingeführt, das Heer, das Universitätssystem und die medizinische Ausbildung aus Preußen übernommen. Das deutsche Gesundheitswesen galt Anfang des 20. Jahrhunderts als das fortschrittlichste System weltweit. Bis heute wird den fleißigen japanischen Studenten innerhalb ihres Medizinstudiums Deutsch als Fremdsprache gelehrt. Innerhalb weniger Jahrzehnte wird die Industrie aufgebaut, die allgemeine Schulpflicht eingeführt und eine Armee installiert. Gebäude im französischen Stil werden errichtet, statt traditionellen Gewändern bevorzugen die Menschen СКАЧАТЬ