Название: Fettnäpfchenführer Japan
Автор: Kerstin und Andreas Fels
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги о Путешествиях
Серия: Fettnäpfchenführer
isbn: 9783958892279
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Öffentliches Baden
Auch im onsen gilt: Schuhe aus und zwar schon im Vorraum. Manchmal gibt es spezielle Plastikschlappen für die Umkleide, aber auch diese werden spätestens beim Verlassen der Umkleide ausgezogen. Betreten Sie den Badebereich auf jeden Fall barfuß. Und egal wie schick Sie Ihre Speedo-Badehose oder den Blümchen-Bikini beim letzten Ibiza-Urlaub fanden – lassen Sie die Badeklamotten im Schrank oder gleich zu Hause.
Im Waschraum (keine Sorge, den können Sie gar nicht verfehlen) finden Sie entlang der Wand oder an niedrigen Mäuerchen diverse Waschplätze. In der Nähe des Eingangs stehen meist Plastikhocker und Schüsseln. Damit, sowie mit Seife und Shampoo bewaffnet, machen Sie es sich dann an auf einem Höckerchen vor einem der Wasserhähne bequem – so gut es eben geht. Nun waschen Sie sich – inklusive der Haare – lange und gründlich. Vor allem Füße und Genitalien werden dabei – auch aus symbolischen Gründen – ausgiebig gereinigt. Wenn es einen Duschkopf gibt, können Sie den Schaum damit abspülen, ansonsten schüttet man immer wieder Wasser aus der Schüssel über den Körper. Damit werden Sie eine Weile beschäftigt sein, denn die Schüsseln sind in der Regel so klein, dass sie das Spülen ungefähr so häufig wiederholen müssen, wie den Versuch, mit den Essstäbchen ein einzelnes Reiskorn zu greifen.
Damit nicht genug, viele Japaner wiederholen dieses Ritual auch so mehrere Male. Ein kompletter Waschgang kann da gut und gerne schon mal 20 bis 30 Minuten dauern. Also lieber einmal zu viel als zu wenig einseifen. Sie können die Zeit gut timen, indem Sie im Kopf alle Primzahlen bis 13.457 aufsagen. Danach wird Ihnen garantiert niemand ein oberflächliches Waschverhalten nachsagen. Der Seifenschaum sollte natürlich auch komplett abgespült sein, bevor Sie das Becken betreten – und möglichst im Sitzen abgespült werden. Mit dem Duschkopf geht es allerdings auch kaum im Stehen, denn die Dinger sind oft nur eine Handbreit über dem Boden angebracht.
Widerstehen Sie dem Drang, sich nach einem kleinen Anlauf und mit einem markerschütternden Jauchzer garniert, das Becken mit einer wohlplatzierten ›Arschbombe‹ zu erobern. Dadurch wäre Ihnen zwar die Aufmerksamkeit sämtlicher Badegäste sicher, wir können aber nicht garantieren, dass Sie dieses Erlebnis ohne Handgreiflichkeiten hinter sich bringen.
Im heißen Wasser kann man es gut eine Weile aushalten, aber als Europäer werden die Japaner Sie wahrscheinlich leicht in Sachen Verweildauer übertrumpfen. Als ideale Badedauer gelten übrigens 10 bis 20 Minuten. Keine Sorge, Sie können das Becken auch früher verlassen, sich im Waschbereich kalt abspülen und dann noch einmal ins Wasser gehen.
Übrigens kann es passieren, dass Sie alles richtig machen und trotzdem nach einer Minute allein im Becken sitzen. Keine Sorge, das liegt dann nur daran, dass Sie ein gaijin, ein Ausländer, sind. Und bei denen kann man ja nie wissen ...
Privates Baden
Wenn Sie einmal bei Freunden zu Hause sind und ein Bad angeboten bekommen, haben Sie als Gast die Ehre, zuerst in die tiefe Sitzwanne zu steigen. Klar, auch hier waschen Sie sich vorher. Schmutz und Schaum im Wasser sind ebenso tabu wie im onsen. Und kommen Sie nach dem Baden bloß nicht auf die Idee, das Wasser aus der Wanne abzulassen. Die anderen Familienmitglieder möchten schließlich dasselbe Wasser benutzen und nicht noch einmal 30 Minuten warten, bis die Wanne wieder vollgelaufen ist.
8
HERR HOFFMANN GIBT DIE HAND
VON UNANGENEHMEN GRÜSSEN UND HANDGREIFLICHKEITEN
Als Egon Hoffmann das Foyer des Nakagawa Chemiekonzerns betritt, ahnt er noch nicht, dass ihm diese verdammt unangenehme Sache passieren wird. Nichts, was ihn oder andere irgendwie nachhaltig körperlich verletzten würde. Nichts, was den Medien eine Erwähnung wert wäre, nein. Nicht einmal die Mitarbeiterzeitschrift mit dem pragmatischen Namen ›Nakagawa kagakuhôjin‹ (Nakagawa Chemiekonzern) würde das Thema als so wichtig erachten, ihm auch nur eine kleine Randnotiz zu widmen. Und das, obwohl sich die Zeitschrift sogar schon einmal in einem 16-seitigen Special über Haarmoden der Landbevölkerung des 16. Jahrhunderts ausgelassen hatte.
HAARMODEN DES 16 JAHRHUNDERTS
Tatsächlich tat sich in der als Edo-Zeit bekannten Periode etwas Gewaltiges in Hinblick auf Haarmoden. Während Frauen in der Azuchi Momoyama-Zeit (1573–1603) noch die Haare zu einer einfachen zentralen Palme auf dem Kopf zusammenbanden, erfreute sich die Damenwelt anschließend komplexer, hochgesteckter Haargepränge. Dieser prachtvolle shimada-mage-Haarputz, der nicht mit Ornamenten geizte, ging auf Dirnen zurück, die sich unter anderem dadurch aufmerksamkeitsstark ausstaffierten. Später wurden diese Frisuren von männlichen kabuki-Theaterspielern aufgegriffen und der breiten Öffentlichkeit präsentiert. Da kabuki-Schauspieler seinerzeit so populär waren wie heutzutage Justin Bieber bei Teenies, ahmten viele Frauen die abgerundete und in Terrassen erhöhte Künstlermähne nach. Die Haartracht wurde zum Massenphänomen und wird heutzutage auch als nihon-gami (wörtlich: ›Japanhaar‹) bezeichnet. Was das mit Herrn Hoffmann zu tun hat? Nichts. Aber wenn schon die Mitarbeiterzeitschrift so episch breit darüber berichtet, wollten wir dem nicht nachstehen.
Als es dann geschieht, hat das Ereignis für Herrn Hoffmann und seinen japanischen Chemikerkollegen die Tragweite eines zweiten Titanic-Unglücks. Doch eins nach dem anderen. Lassen wir als unsinkbar geltende Luxusliner auf Eisschollen prallen und schauen uns genau an, welchen Fehltritt Herr Hoffmann sich nun wieder geleistet hat.
Drei Minuten und 23 Sekunden vor der Katastrophe. Der Japanreisende erreicht mit Frau Watanabe die Glas- und Betonzentrale von Nakagawa. Ihren Hinweis, dass Herr Yamaguchi, den es zu treffen gilt, bisher sehr wenig Kontakt mit Westlern gehabt habe und ihr dies leid täte, erwidert der Weitgereiste mit einem Abwinken und Lachen: »Das ist nicht so schlimm.«
45 Sekunden vor dem Aufprall. Als Herr Hoffmann im pompösen Foyer steht und Nakagawas Forschungsleiter Yamaguchi sieht, ist der Hinweis bereits vergessen. Mit festem Griff und ebensolchem Blick begrüßt er den Chemiker etwa gleichen Alters. Ein kurzes, joviales Schulterklopfen bei der Bemerkung, dass der augenscheinlich Schüchterne und er mehr oder weniger denselben Job in unterschiedlichen Ländern hätten, rundet Herr Hoffmanns herzliches Begrüßungsritual ab.
Herr Yamaguchi erwidert die Begrüßung mit angedeuteter Verbeugung und sichtlichem Unbehagen. Mit dem Blick schnell zwischen Herrn Hoffmanns Hals und der Tür wechselnd, schaut der japanische Forscher plötzlich als Übersprunghandlung auf seine Armbanduhr und grinst unbeholfen wie ein Teenager bei seinem ersten, bemühten Date.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Während Herr Hoffmann wegen des Treffens mit seinem Kollegen zunächst nur seliges Wohlbehagen verspürt, kann er bereits nach wenigen Sekunden am Gesicht des anderen ablesen, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Der Weitgereiste hat schlicht Frau Watanabes gut gemeinten Hinweis ignoriert, dass Herr Yamaguchi bislang wenig Kontakt zu Westlern und ihren Ritualen pflegte. Und dazu gehört auch der Händedruck, dieses intime Aneinanderdrücken der äußerst berührungsempfindlichen Handinnenflächen. Japanern sind СКАЧАТЬ