Meerjungfrau sucht Mann fürs Leben. Hanne-Vibeke Holst
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Название: Meerjungfrau sucht Mann fürs Leben

Автор: Hanne-Vibeke Holst

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Therese-Trilogie

isbn: 9788726569575

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СКАЧАТЬ zucke mit den Schultern. Wie er will. Eigentlich ist es ja gleich. Er kann bleiben oder gehen. Ich bin sowieso allein. Das weiß ich jetzt schon.

      Mitten in der dritten Wehe kommt die Hebamme, um nach mir zu schauen. Sie bugsiert mich wieder auf die Liege, schaut, tastet und horcht mit ihrem altmodischen Holzstethoskop.

      »Jetzt ist es losgegangen, was?« sagt sie anerkennend. »Schon fünf Zentimeter! Besser, wir bringen Sie in den Kreißsaal!«

      »Können wir den grünen haben?« fragt Paul, als wäre es von allergrößter Bedeutung, daß Vorhänge vor den Instrumenten hängen.

      »Ich werde mal schauen!« meint die Hebamme entgegenkommend und verschwindet, um bald wieder zurückzukommen und zu melden, daß der Raum frei ist.

      Paul will mich über den Flur stützen, aber ich bestehe darauf, allein zu gehen. Ich ziehe mich auch selbst um, nehme mit Erleichterung das Krankenhaushemd und die lockeren Unterhosen und rolle mich auf dem Geburtsstuhl zusammen, dem einzigen Aktivposten im Kreißsaal. Es ist hart für ihn, daß ich so abweisend bin. So hat er sich das in seinen softigen Tagträumen nicht vorgestellt. Aber ich habe keine Kraft, um mich ihm gegenüber noch zu verhalten. Keine Kräfte zur Versöhnung. Wenn ich das hier schaffen soll, muß ich mich konzentrieren, abschotten und nach innen wenden. Den Körper übernehmen lassen.

      Die Hebamme hingegen möchte ich möglichst die ganze Zeit bei mir haben. Sie bringt Ruhe und Sicherheit mit, hilft mir beim Atmen, zeigt mir, wie ich die Maske vor den Mund halten kann, damit ich den zunehmenden Wehen mit einer lindernden Mischung aus Lachgas und Sauerstoff begegnen kann. Sie instruiert Paul, zeigt ihm, wo er mich massieren kann, und dirigiert auch seinen Atemrhythmus, damit er mir damit helfen kann.

      Als meine Wut ihm gegenüber mich aus dem Rhythmus bringt und würgen läßt, und Paul sie wie ein Kind, das kurz vorm Heulen ist, ansieht, werde ich sanft zurechtgewiesen.

      »Jetzt hören Sie mal, meine Liebe! Sie verschwenden viel zuviel Energie darauf, sauer zu sein! Nun entspannen Sie sich und lassen sich von ihm helfen! Irgendwann einmal müssen Sie ihn ja jedenfalls gemocht haben!«

      »Es tut so weh«, jammere ich und reiße die Maske an mich.

      »Das muß weh tun!« sagt sie bestimmt, während ich verzweifelt Lachgas inhaliere. »Aber es tut noch mehr weh, wenn Sie sich verkrampfen! Nun komm schon!« sagt sie und führt Pauls Hand über mein Kreuz. »Entspann dich und spür, wie gut das tut!«

      Zuerst wehre ich mich so sehr dagegen, daß ich fast weine. Aber als Paul nicht nachläßt, und seine warme Hand dort liegen läßt, gebe ich langsam nach, und bei der nächsten Wehe hole ich sie mir selbst.

      Die Hebamme nickt zufrieden und verläßt uns. Sie muß in das andere Zimmer.

      »Zu Heidi?« bringe ich heraus.

      »Ja, kennen Sie sie?«

      »Ein wenig. Ist René gekommen?«

      »Nein, aber eine Schwesternhelferin ist bei ihr.«

      Ich verdöse den Abend. Die Stunden verstreichen monoton wie auf einer Autobahn. Ich habe aufgehört, sie zu zählen, eingesperrt in den Dunst des alles beherrschenden Schmerzes. Das Lachgas macht mich high, so daß meine Gedanken wie zufällig angeschwemmtes Strandgut in einer trüben Flut hin- und herdümpeln. Diese vielen vergessenen Bilder und Erinnerungen, die plötzlich auftauchen: Vater und Mutter, die lachend Jitterbug auf dem Wohnzimmerparkett tanzen. Die Kuh mit dem sanften Blick, die ich an einem Sommertag auf Læsø zwischen den Hörnern kraulte, bis der Ortsschlachter in Kittel und schwarzen Gummistiefeln über den Zaun kletterte und ihr eine Kugel in die Stirn schoß. Kiki, meine Schwester, schrie was von »Mörder« und »Tierquälerei« und mußte mit Gewalt entfernt werden, während ich nur mit großen Augen dastand und nicht begriff, daß das Tier nicht mehr lebte. Und ich sehe eine Schlange im Heidekraut, Blaubeeren im Glas, mich selbst auf Tante Mos viel zu großem Fahrrad und begreife, daß ich zeitweise eine glückliche Kindheit hatte.

      Und auf einem Floß segelnd taucht auch der Pirat auf – der um Polynesien herumfahren will –, er hat eine Klappe vor dem Auge und einen Papagei auf der Schulter, und ich muß kichern, als ich das Sausen in den Palmen höre und sehe, wie eine Kokosnuß herunterfällt.

      Ich denke an ganz konkrete Dinge, wende mich Paul zu, nehme die Maske vom Mund und erinnere ihn daran, daß ich morgens eine Maschine Wäsche angestellt habe und daß keine Kaffeefilter mehr im Haus sind. Er lächelt, froh, daß ich plötzlich so neutral und alltäglich bin, und sagt, daß er schon dran denken wird. Dann fällt mir die Arbeit ein, die trockene Luft im Schneideraum. Ich denke an den Zuckerbäckerstil der Wasilij-Kathedrale, an Gorbis Muttermal, und ich schreie laut auf, als das Gefühl des Hundebisses durch meinen Stiefel mich wieder ereilt.

      »Mein kleiner Schatz!« sagt Paul mitleidig.

      »Es zerreißt mich!« klage ich.

      »Du bist so tüchtig! Und jetzt haben wir bald unser kleines Kind! Denk doch nur daran, Therese!«

      Ich schaue ihn über die Maske hinweg verwundert an. Ja, es stimmt. Das Kind! Deshalb liege ich hier. Weil ich ein Kind zur Welt bringe. Ich schließe die Augen wieder. Drücke Pauls Hand, um zu spüren, daß er da ist. Denke an ihn ganz in Weiß bei unserer ersten Begegnung. Begreife nicht, daß das erst ein Jahr her ist. Blende dann über zu dem goldenen Weihnachtsabend, an dem unser Kind gezeugt wurde.

      »Ich sollte die Rubine umhaben«, sage ich träge und bitte um Wasser.

      »Hier!« sagt er und führt den Becher an meine Lippen, aber ich schaffe es kaum, wieder zurückzusinken, bevor mir ohne jede Vorwarnung schlecht wird. Ich mache verzweifelte Zeichen, daß er mir die Spuckschale reichen soll, und er schafft es gerade noch, bevor ich mich übergebe.

      Die Hebamme, nach der er sofort geklingelt hat, tupft mich mit einem angefeuchteten Tuch sauber und sagt, daß das prima ist. »Dann kommt bald die Preßphase!«

      Ich friere und klappere mit den Zähnen, mir ist plötzlich auf eine ganz neue Art und Weise elend.

      »Ich kann bald nicht mehr!« piepse ich und sinke auf den Gebärstuhl zurück.

      »Das brauchst du auch nicht! Aber weißt du was, mein Dienst endet leider um elf. Doch bevor ich gehe, schicke ich meine Ablösung zu dir herein. Keine Sorge!« sagt sie und streichelt mir die Wange. »Sie ist genau die Richtige für euch.«

      Das glaube ich ja nun nicht, und so verlassen zu werden, raubt mir fast den letzten Mut. Aber Else Jakobsen hat recht, die neue Hebamme ist ganz anders. Es durchzuckt Paul, als sie durch die Tür tritt. Natürlich in weißem Kittel, wie die anderen, aber dennoch von ganz anderem Wesen. Groß und blond, mit scharfen Zügen, das lange Haar von einem bunten Kopftuch zurückgehalten. Schwere Goldringe in den Ohren, knallroter Lippenstift, ebensolcher Nagellack und irisblaue Augen.

      »Hallo!« sagt sie und gibt mir einen festen Händedruck, den ich nur matt erwidere. »Ich heiße Randi, und mit mir sollst du dein Kind kriegen!«

      Ich nicke, fast gehorsam, und sehe Pauls Verwirrung, als sie auch ihn begrüßt. Sie redet so energisch über die bevorstehende Geburt, daß ich das erste Mal in dem ganzen Verlauf anfange zu verstehen, daß es wirklich eine Tatsache ist, daß das Kind bald herauskommen wird. Aufmunternd. Aber gleichzeitig deutlich, daß diese Hebamme, die aussieht, als wäre sie auf dem Weg zu einer Zigeunerhochzeit, etwas von mir erwartet. Sie will, daß ich etwas leiste, aktiv an der Geburt teilnehme, als wenn es nicht ausreichen würde, СКАЧАТЬ