»Du ekelst mich an«, waren ihre letzten Worte. »Schau mal in den Spiegel. Nimm ein Bad. Du stinkst.«
Die nachfolgenden Tage vergingen in einer Art Nebel. Ich ließ das Tagebuchschreiben sein und fing an, hemmungslos zu trinken. Es gab ein Mädchen, das mir aufgefallen war, in einem Spätimbiss, wo ich mir, vom Hunger hinausgetrieben, etwas zu essen besorgte. Eine Mexikanerin, glaube ich, sie hieß Encarnación. Sie war mollig, hatte ein freundliches Lächeln, weißblonde Strähnchen im Haar und viele dünne Goldketten um den Hals. Ich putzte mich heraus und lud sie zum Dinner ein. Wir aßen chinesisch in Santa Monica und gingen zu Fuß zurück – in mein Apartment. Dort küssten wir uns mitten auf dem Fußboden, als es klingelte.
Vor der Tür stand John-Jo Harrigan. Ich sah, wie er einen Blick an mir vorbei auf Encarnación warf, die unbekümmert ihre zerknautschte Bluse glatt strich.
»Komm, Alex. Es geht nach Hause«, sagte John-Jo sanft.
II London
»21. Juli. London schmort in sommerlicher Hitze und Trägheit, und ich liebe meine Frau nicht mehr. Ich sehe, wie attraktiv sie ist, erinnere mich daran, wie sehr wir uns einmal geliebt haben, aber ich merke, dass ich nicht in der Vergangenheit leben kann. Ich teile das Haus mit einer besorgten und altvertrauten Bekannten, die sich zwar über mein Rauchen, mein Trinken und meine Passivität beschwert, aber meine Anwesenheit toleriert – ja, mehr als das: Sie tut, was sie kann, damit ich mich so wohl wie möglich fühle.«
Aber trotz meiner Selbstbezogenheit, meines absoluten Egozentrismus spürte ich, dass ihre Geduld und Anteilnahme Grenzen hatten. Meine Söhne Ben und Conor waren aus dem Haus – Ben studierte und verbrachte gerade den Sommer mit irgendeinem Mädchen in Cornwall, Conor war für die UNESCO in Simbabwe –, und wir beide blieben mehr oder weniger uns selbst überlassen. Freunde hielten sich bedeckt: Es hieß, ich sei krank geworden und bräuchte Zeit, mich zu erholen. Nur John-Jo kam regelmäßig zu Besuch. An diesen stickigen Sommerabenden saß ich meist im Garten, einen kalten Wodka in der Hand, und sah Stellas schlanke Gestalt im schwindenden Tageslicht mit der Gartenschere hantieren, wobei mein Blick völlig sachlich blieb, nur die Geste registrierte, mit der sie eine Strähne ihres aschblonden Haars zurückstrich, oder die Form ihres Körpers, wenn sie sich bückte, um Unkraut zu zupfen, oder das langbeinige Stelzen, mit dem sie auf mich zuging, und ich merkte, dass ich sie nicht mit anderen Augen sah als jede beliebige andere Frau – sei es Leandra oder selbst Encarnación. Und dann, mit einer plötzlichen Aufwallung von Wut und Bedauern, fiel mir ein, dass ich mit Encarnación nicht weitergekommen war als bis zu dem einen hechelnden Zungenkuss, und gab – mit eiserner Unlogik – Stella die Schuld an dieser riesigen, fortwirkenden Enttäuschung.
»25. Juli. Ich sorge mich um meine künftige Beziehung zu John-Jo. Gestern fuhr ich zu dem Deponiegelände in Slough, und der Manager verwehrte mir den Zutritt. Also rief ich John-Jo an, und er sagte, mein Besuch in der letzten Woche (als ich angeordnet hatte, dass die Hauptsenke, die wir geplant hatten, vertieft werden sollte) habe die Firma wahrscheinlich Zehntausende Pfund gekostet, weil wir den Termin nicht mehr halten könnten und Vertragsstrafen fällig würden. Ich sagte, der Entwurf sei falsch gewesen. Er antwortete, und ich zitiere: ›Es ist nur eine beschissene Deponie, Alex.‹ Darauf erwiderte ich: ›Aber mein Name hängt daran.‹ ›Unser Name‹, sagte er. ›Wir sind Partner. Vergiss das nicht.‹«
Langsam fragte ich mich, ob die Medikamente, die ich erhielt, meine Stimmung beeinflussten – ich fühlte mich entweder lethargisch und übellaunig oder gereizt und aufgedreht. Nachdem mich John-Jo nach London zurückgeholt hatte, ging ich für eine Woche in die Klinik – ich war offenbar dehydriert und fehlernährt, meine Verdauung völlig aus dem Takt geraten. Ich wurde sediert und schlief zweiundsiebzig Stunden durch. Als ich aufwachte, benebelt, aber clean und relativ ruhig, stellte ich fest, dass ich im Schlaf gebadet und rasiert worden war. Auf Stellas Anweisung war auch mein Schnurrbart abrasiert worden. Er fehlte mir, meine Oberlippe fühlte sich schutzlos und bleich an: Mir war klar, dass ich ihn sofort wieder wachsen lassen musste. Ich bat um Zigaretten. Zwanzig Jahre hatte ich nicht geraucht, aber aus irgendeinem Grund war das Verlangen danach in Kalifornien – diesem Frischluftparadies – wieder erwacht, sodass ich bald bei zwei Schachteln pro Tag angelangt war.
Manchmal spürte ich Stellas verstohlenen Blick auf mir und die Traurigkeit, die sie aussandte, um mich einzuwickeln. Selbst in meinen seltenen Momenten der Klarheit hasste ich ihr Mitleid, ihr Nichtverstehen, ihre Rücksichtnahme. Von Zeit zu Zeit wollte sie mit mir darüber sprechen: was mit mir los sei, ob ich unglücklich sei, oder – in heiklen Momenten – warum ich alles daransetzte, unser Leben zu zerstören. Sie rief Ben für ein Wochenende aus Cornwall zurück, und wir verbrachten ein paar angespannte Tage. Ben kam mir plötzlich linkisch und humorlos vor, seine kindischen Witze (mit Vorliebe über meinen Schnurrbart) wurden immer verletzender. Ich sah, dass meine Kälte ihn so verstörte, dass er vorzeitig abreiste. Ich raffte mich nicht dazu auf, ihn zu verabschieden, obwohl ich merkte, dass Stella den ganzen Tag mit roten verweinten Augen herumlief – und später am Abend hörte ich sie eindringlich auf Conor in Afrika einreden.
»2. August. Gestern Vormittag war ich in einem Optikerladen in der Kensington High Street und erwarb die dritte Sonnenbrille in drei Tagen von einer verschlagen dreinblickenden dunkelhaarigen Verkäuferin mit Knutschfleck am Hals, die, wie ich gerade erfahren hatte, Megan hieß, als in mir eine Verwandlung stattfand. Es war, als hätte ich etwas abgeworfen oder als hätte mich etwas verlassen. Einen Moment lang fühlte ich mich ganz schwach und zittrig, sodass sich Megan zu einer besorgten Frage veranlasst sah. Ich atmete tief durch und sah mich um – plötzlich wieder mit klarem Blick. Mir fiel ein, dass ich den Laden betreten hatte, weil ich von dieser Verkäuferin besessen war, so wie zuvor von Leandra und Encarnación. Ich entschuldigte mich bei ihr und ging.
Zu Hause entschuldigte ich mich bei Stella. Die Erleichterung, mit der sie mich ansah, war herzzerreißend. Wir redeten bis tief in die Nacht, kamen zu dem Schluss, dass ich eine Art Zusammenbruch hatte und dass die Medikamente vielleicht zu helfen begannen und endlich so etwas wie eine Balance in unser Leben zurückkehrte (ich rief Ben an und entschuldigte mich für mein grobes Verhalten – armer Kerl). Dennoch: Als ich heute früh mein Gesicht mit Rasiercreme einschäumte, um mir den Schnurrbart abzurasieren, wurden meine Arme wieder von Starre befallen. Eins nach dem anderen, sagte Stella. Immer schön langsam. Wenigstens kannst du schon wieder einen klaren Gedanken fassen.«
Es war Petra Fairbrother, meine Psychiaterin, die mich ermutigte, die Symptome systematisch anzugehen und zu entschlüsseln. Sie war eine kräftige Frau mit fleischigen Lippen und großen, weichen Händen, mit denen sie viel herumwedelte. Sie war auch hochintelligent, aber wie viele intelligente Engländerinnen (und Engländer, was das betrifft) tat sie alles, um ihren Intellekt in einer Wolke aus wohlmeinendem Dilettantismus zu verstecken. Von unscharfen Diagnosen wie Nervenzusammenbruch, Midlife-Crisis, Schizophrenie wollte sie nichts wissen. »Was ich da von Ihnen höre, klingt viel interessanter als das. Und sehr scharf umrissen, nicht wahr?«, sagte sie und zeigte mit dem Bleistift auf mich. Besonders faszinierten sie die Seiten in dem Notizheft, das ich mit den lang gezogenen X-Figuren vollgemalt hatte, und hier interessierte sie vor allem die Tatsache, dass dieser Malzwang nie wiedergekehrt war. Sie bat mich, das Zeichen vor ihren Augen zu Papier zu bringen, was ich ohne Zögern tat.
»Es löst nichts aus?«, fragte sie mit einer gewissen Enttäuschung in der Stimme. »Keinen Tremor, kein Schaudern?«
»Nichts«, sagte ich und zeichnete noch ein halbes Dutzend mehr davon.
»Mir СКАЧАТЬ