Der Mann, der gerne Frauen küsste. William Boyd
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Название: Der Mann, der gerne Frauen küsste

Автор: William Boyd

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783311701699

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СКАЧАТЬ Garrett starrte die Wand an. Die Tapete zeigte Ritter auf Streitrössern, Wimpel flatterten an ihren hochgereckten Lanzen. Das Bier hinterließ einen schalen Geschmack in seinem Mund. Vielleicht konnten sie ins Ausland fahren, sich für ein paar Tage wegstehlen – sich etwas ausdenken, um länger zu bleiben, sich gemeinsam durchschlagen. Kurze Momente waren jedenfalls besser als gar nichts, und der Gedanke, sie nicht wiederzusehen, war schlimmer als der Tod. Er spürte, dass ihre Hand nach ihm tastete, und er ergriff sie.

      »Wir müssen etwas tun«, sagte sie.

      »Das werden wir«, sagte er. »Versprochen.«

      »Was denn?«

      Es hob seine Stimmung, dass sie nun offenbar bereit war, es mit ihm zu versuchen, dieses Leben der kurzen Momente – der Momente im Glück.

      »Ich denke mir was aus.«

      »Und was?«

      »Ich weiß es nicht«, sagte er und starrte auf die Ritter mit den Lanzen. »Ich weiß es nicht.«

      Notizbuch Nr. 9

       [Im Lauf der Jahre hatte er sich angewöhnt, zu einsamen Restaurantbesuchen ein Notizbuch mitzunehmen, in das er seine Gedanken und Beobachtungen eintrug, weil er sein Alleinsein lieber mit Schreiben als mit Lesen kaschierte.]

      Heute keine Crab-Cakes, also bestellte ich verärgert einen Pseudo-Niçoise (ohne Kartoffeln). Dieses Lokal ist berühmt für seine Crab-Cakes, und das ist der Grund, weshalb ich hierherkomme – wie die meisten anderen Gäste. Warum gibt es die Crab-Cakes dann nicht täglich? Habe gerade Slang gesehen, interessanter Thriller, weil sich alles in einer Nacht abspielt. Eine eindeutige Hommage an Raupps Death Valley – man kann es auch Plagiat nennen –, aber ohne die Feinheiten, die liebevolle Figurenzeichnung. Schwächen: abrupte Wechsel von harmlos zu Hardcore; alberne Drehbuchideen (die Lapdance-Szenen, die Sprachschule); unglaubliche Zufälle – immer ein Zeichen versiegender Inspiration. Raupp macht es auch so, aber bei ihm funktioniert es irgendwie. Insgesamt ist der Film einfach nicht stimmig und, wie Pierre-Henri Duprez, glaube ich, mal irgendwo gesagt hat: Vor dem Publikum kannst du nichts verstecken. (Was aber so nicht stimmt: Man schaue sich den Schrott in unseren Kinos an, der gierig, hirnlos und gutgläubig konsumiert wird.)

      Tanja würde Slang hassen, glaube ich. Regelrecht hassen.

      Ich habe mich über die verpfuschten Loops geärgert, die Schatten des Galgenmikros, einen plump montierten Repeat-Shot. Diese Kritikermacke haben wohl alle Regisseure – einfach nur Cineasten sein, das können wir nicht.

      Die Hauptrolle, Michaela Wall, ist umwerfend (eine blondere, langbeinigere Tanja). Letzten Endes ist jeder Genrefilm nur so gut wie seine Besetzung.

      Mir gegenüber sitzt eine Frau, die ihre Zigarette in knapp neunzig Sekunden geraucht hat: immer drei kurze Züge hintereinander, dann eine Pause und wieder drei kurze Züge. Ohne zu inhalieren, wie es scheint. Man fragt sich, was sie davon hat.

      Hinter ihr eine Mutter mit erwachsener Tochter und zwei schreienden Gören. Dieser Lärm! Dazu ziemlich middle-class, dem Akzent nach. Lassen ihre Kinder einfach quäken und quengeln – die anderen Gäste sind sauer, aber keiner sagt was, typisch englisch.

      Tanja ist jetzt dreiundvierzig Minuten zu spät.

      Eine atemberaubende Schönheit bedient heute im Verband. Russisch? Jedenfalls osteuropäisch. Der lange Rücken einer Ballerina. Leberflecken auf der Wange, am Hals. Hochgewachsen, schmales Patriziergesicht, Haar straff zum Knoten gebunden. Was macht sie hier? Was ist ihre Story, ihr parcours? Ihr Blick zeigt ein wenig Verachtung, während sie ihren Job macht, Drinks serviert, Geschirr abräumt.

      Gerade zurück vom Lunch mit Leo Winteringham im Garrick. Keiner dort schien unter fünfzig, männlich natürlich, übergewichtig, schon ziemlich verlebt. Zigarren und Suff: die etwas anrüchige Fraktion der British Society. Leo W. hat mir angeboten, jeden Film zu finanzieren, bei dem ich Regie führe – und das jetzt schon zum dutzendsten Mal. Seltsame Figur, Leo: unverbesserlicher Amerikaner, trotz all seiner Jahre in England. Mager, echsenartig, schroffer Umgangston – ein merkwürdiger Player in dieser privilegierten englischen Szene (er wurde von allen freundlich begrüßt, zugegeben, nur weil er Geld hat).

      Als wir Neuigkeiten austauschten (wer in ist, wer out), erwähnte er, dass Tanja Baiocchi ihren Mann verlassen hat. Nur mit Mühe verbarg ich meinen massiven Schock und sagte, ich hätte gar nicht gewusst, dass sie verheiratet sei. War sie nicht in deinem letzten Film?, fragte er. Ja, sagte ich, aber von einem Ehemann sei nie die Rede gewesen. Na ja, vielleicht kein Ehemann, sagte er, dann eben Freund, dieser französische Regisseur, Duprez. Oh, sagte ich, dann weiß ich Bescheid, na klar – und konnte bestätigen, dass die Trennung, entre nous, echt war, absolut und endgültig.

      15.30. In der Verbandsbar ist es still, aber die Leute trinken stur weiter, als wollten sie sich vor dem Nachmittag und dem Nachmittagsfrust drücken. Ich müsste Janet anrufen, wie die Einladungen zum Cast- und Crew-Screening laufen und ob sie mir das Hotelzimmer in New York gebucht hat.

      Getrunken: Einen Champagner, bevor ich ins Garrick ging, ein Glas Weißwein in der Bar, zwei Glas Weißen zum Lunch und ein Port (Leo trinkt nicht), und bin nun beim zweiten Glas Weißwein im Verband. Unterm Strich eine Flasche. Mehr als eine Flasche: Ich muss aufhören. Wenn ich mit Tanja zusammen bin, trinke ich nicht annähernd so viel.

      New York. Carlyle Hotel. Sitze hier bei meinem Vor-Vor-Aperitif (Bloody Mary) – eine neue Angewohnheit, bedingt durch die Tatsache, dass es nur noch ein paar Stunden bis zum Screening von The Sleep Thief sind. Mir ist ungewohnt flau zumute (das ist mein neunter Film, mein Gott!), und ich weiß, warum: Ich erwarte zu viel. Weil ich den Wert und das Potenzial des Films kenne, setze ich darauf, dass er keine Probleme macht – Cannes, ein US-Verleih, der eine oder andere Preis: Schon bin ich zufrieden. Eigentlich brauche ich nur zu warten, auf die langsam wachsende Aufmerksamkeit, die schon zum Erfolg von Escapade führte. Der Film ist fertig, eine gute Arbeit, wir hatten unseren Spaß, was will man mehr? (Und natürlich: die Begegnung mit Tanja.) Lassen wir es also auf uns zukommen. Dieses Screening bringt gar nichts – kann sein, dass wir auf Cannes warten müssen oder sogar die UK-Premiere; kann sein, dass wir noch länger warten müssen, auf Venedig oder Berlin.

      Wäre toll, wenn Tanja heute schon käme und beim Screening dabei sein könnte. Warum kommt sie erst morgen?

      Vage Zweifel, ob es mit der Qualität der Kopie klappt, dem Projektor, der Lautstärke. Aber was soll man machen?

      Sitze im F.O.O.D. auf der Lexington. Tanja hat ihren Besuch verschoben – noch drei Tage warten. Wäre schön gewesen, wenn sie es zum Screening geschafft hätte (schlecht besucht, enttäuschend, aber der Film kam offenbar gut an. Noch keine Angebote. Die Kopie war grässlich).

      Zwei sehr gepflegte Frauen sitzen neben mir, unterhalten sich, mit hinreichender Lautstärke und Klarheit. Sie kennen sich kaum, wie es scheint.

      »Wo leben Sie?«, fragt die eine.

      »Mexiko.«

      »Noch weiter weg als ich – Vermont.«

      Pause.

      »Wo in Mexiko?«

      »San Miguel. Eine schöne Stadt.«

      »Oh, da gibt es viele Expatriates, oder?«

      »Wir sind eine СКАЧАТЬ