Название: Der Mann, der gerne Frauen küsste
Автор: William Boyd
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783311701699
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Ich ging hinunter zum Strand. Es war ein Sonntag, aber der größte Andrang war schon vorbei, nur vereinzelte Rollerblader oder Radfahrer flitzten über die Betonwege, und einige Venezianer waren noch auf den Beinen: die Huren, die Bodybuilder, die Bettler, die Kartenleser, die Monologisierer und etliche andere verlorene Seelen, die murmelnd auf und ab flanierten. Ich kam an einem Gitarristen vorbei (beide Beine amputiert, wie sich zeigte), der in einem Friseurstuhl saß und verhalten ein paar Akkorde spielte, und die Kombination aus der Musik, meinen Seas of Tranquility, dem nahen Ozean mit seiner Brandung und der warmen Brise löste in mir ein tiefes, epiphanisches Glücksempfinden aus. Ich spürte, dass ich an einem wichtigen Punkt in meinem Leben angekommen war – keine radikale Wende oder ein großer Einschnitt, nur an einem dieser Wegzeichen, einem Meilenstein. Ein harmloses Signal des Älterwerdens vielleicht, der inneren Uhr, die mir die Stunde schlägt.
»Ich seh dir an, dass du ein Glückspilz bist«, sagte eine Stimme. »Ein Erfolgstyp.«
Einer dieser Wahrsager mit seinem Standardspruch, dachte ich, drehte mich um und sah einen großen, schlanken Mann mit schwarzem Filzhut und Schärpe, überall Fransen und Perlen, als würde er sich um die entsprechende Rolle in einem Laienspiel bewerben. Er streckte mir ein Büschel Heidekraut entgegen.
»Siehst du«, sagte er. »Du bist ein Schotte, und ich habe Heidekraut. Ich wusste, dass ich heute einen Schotten treffe.«
Kein Wahrsager, dachte ich, nur einer von den üblichen Irren in Venice. »Ich bin Engländer«, sagte ich. »Das ist ein großer Unterschied.«
»O nein, du bist ein Schotte. Kauf mir mein Heidekraut ab. Fünfzig Dollar. Es bringt dir Glück.«
»Nein, danke«, sagte ich und ging weiter. Sein Glück brauchte ich nicht.
»Schenk es doch Sarah.«
Ich stockte.
»Schenk es deinem Mädchen, Sarah. Sarah, deiner Geliebten.«
»Ich fürchte, da liegst du falsch. Hör zu, das wird jetzt peinlich.«
»Dann deiner Tochter Sarah.«
»Ich habe zwei Söhne. Gute Nacht.«
Ich ließ ihn stehen, ging mit großen Schritten davon, verfiel dann wieder ins Schlendern und versuchte das Glücksgefühl heraufzubeschwören, das mich für so kurze Zeit erfüllt hatte, aber es kam nicht zurück. Die absurden Gewissheiten des Wahrsagers hatten mir die Stimmung verdorben, seine Worte nagten an mir, während ich nach Hause ging. Heidekraut als Glücksbringer – wieso? Wer behauptete so was? Aber der Gedanke, dass ich es hätte kaufen sollen, ließ mich nicht mehr los.
Odell Demarco erwartete mich auf der Baustelle: cremefarbenes Hemd mit rehbrauner Hose und cremefarben abgesetzten rehbraunen Schuhen. In das neue Fundament des Hauses, das John-Jo für ihn entworfen hatte, wurde gerade Beton gegossen. Dahinter, dem Ozean zugewandt, lag ein sanft abfallendes Stück Ödland von drei Hektar Größe, das ich in einen Paradiesgarten verwandeln sollte. Sein Lächeln, als wir uns die Hand schüttelten, wirkte ein wenig gezwungen.
»Hey, Alex«, sagte er zur Begrüßung. »Der Schnurrbart – toll. Passt zu dir.«
»Danke, Odell«, sagte ich. Er hatte mir nicht angeboten, ihn zu duzen, aber es war bewährte Praxis bei Harrigan-Rief, nicht vor Klienten zu buckeln, egal wie reich sie waren. Wenn er mit Mr Demarco angesprochen werden wollte, musste er mich mit Mr Rief ansprechen.
»Wo ist Yolanda?«, erkundigte ich mich, es musste sich um die zweite oder dritte Mrs Demarco handeln.
»Yolanda ist ziemlich besorgt, wenn ich ehrlich sein darf«, sagte Demarco, und die Ehrlichkeit glänzte besorgt in seinen Augen. »Sie wollte, dass ich allein mit dir spreche. Aber sie bat mich, auf dem Dreißig-Meter-Pool zu bestehen.«
»Wäre sie doch nur gekommen«, sagte ich. »Der Pool ist jetzt fast sechzig Meter lang.« Ich legte meinen Skizzenblock auf die breite, glänzende Motorhaube seines Wagens. »Können wir anfangen?«
Am selben Abend bestellte ich im Moon eine Flasche Vintage Krug bei Leandra und bestand darauf, dass sie mit mir trank. Ich hörte das Pling ihres Lippensteckers, als das Glas ihren Mund berührte.
»Oh, ich hätte einen Toast ausbringen müssen«, sagte sie. »Was feiern wir?«
Ich erhob mein Glas. »Nieder mit allen Philistern«, sagte ich. Demarco war bemerkenswert ruhig und bestimmt gewesen, als er mich am Vormittag feuerte, und ich sah urplötzlich den Milliardär in ihm, die kalte Überheblichkeit des Magnaten. Er befahl mir, sofort zum Originalentwurf zurückzukehren, was ich höflich verweigerte. Darauf befahl er mir, ihm den Originalentwurf auszuhändigen – mit seinen geraden Terrassen und exakten Symmetrien –, was ich ebenfalls verweigerte. Er drohte mir mit Klage; ich verwies auf verschiedene Klauseln unseres Vertrags. Er verkündete, er werde den Bau des Hauses stoppen und ein anderes entwerfen lassen; also drohte ich ihm mit einer Klage von Harrigan-Rief.
»Sie haben die Möglichkeit, den Entwurf zu akzeptieren oder abzulehnen«, sagte ich. »Mehr nicht.«
»Aber das ist Irrsinn! Wo ist der Pool? Was soll dieser Hügel, den Sie dort hingesetzt haben? Und was ist das?«
»Ein Bambushain.«
»Sind Sie verrückt geworden? Ich mache mich zum Gespött!«
»Sie haben die Chance, sich einen Ruf als Mann von besonderem Geschmack und Weitblick zu erwerben.«
Wir tauschten noch ein paar weitere indirekte Beleidigungen, bis er mich des Grundstücks verwies und John-Jos Nummer wählte.
Im Rückblick glaube ich, dass ihn die Veränderung des Swimmingpools am meisten ärgerte – und der Gedanke an Yolandas Reaktion auf meinen Entwurf. Tatsächlich hatte ich die Aufschüttung eines ungleichmäßigen konischen Hügels vorgeschlagen (anstelle sanft abfallender breiter Terrassen) und um den Fuß des Hügels einen bogenförmigen Wasserlauf, der, in der Mitte verengt, auf der meeresseitigen Flanke des Hügels in ein breites Becken (mit Überlauf) mündet. Es gab keine einzige gerade Linie, und die Wege, die ich vorgesehen hatte, schlängelten sich durch das unebene Gelände und bohrten sich durch künstliche Schluchten, bis sie sich im grünen Dunkel des Bambushains verloren.
Meine Entwürfe überließen nichts der Phantasie. Ich hatte zwei Ansichten gezeichnet: Die eine zeigte die Anlage direkt nach der Fertigstellung, die andere so, wie ich sie mir zehn Jahre danach vorstellte. Alles war bis aufs i-Tüpfelchen geplant. Die Gärten des Hauses Demarco in Pacific Palisades wären die Krönung meines Schaffens geworden.
»23. Mai. Seit drei Tagen habe ich mein Zimmer nicht verlassen. Leandra bringt mir zu essen, zu trinken und Zigaretten, wenn sie aus der Bar kommt. Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, am Morgen miteinander zu schlafen – sie sagt, dass sie nach ihrer Nachtschicht zu müde ist. Ich fand es enttäuschend, dass sie nur dieses eine Tattoo hat und dass sie ihren Lippenstecker zum Schlafen herausnimmt. Ihr Körper ist auffallend blass. Wenn ich nicht zu verkatert bin, vögeln wir vor dem Frühstück, und sie freut sich über die hundert Dollar, die ich ihr aufdränge. Heute Nacht, sagt sie, bringt sie mir ein paar Pillen, um mich ›ein bisschen СКАЧАТЬ