Название: Der Mann, der gerne Frauen küsste
Автор: William Boyd
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783311701699
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»Ich glaube, es hat mit Sex zu tun«, sagte ich ein wenig verschämt. »Etwas, was in meiner Psyche steckt – und auf einen gewissen Typ Frauen anspricht.«
»Aber im Flugzeug, als das alles losging, war doch kein Sex im Spiel, oder?«
Das konnte ich ihr bestätigen. Dann fiel mir der Kopfschmerz ein.
»5. August. Kopfschmerzen. Lang gezogene X-Figuren. Schnurrbart. Zigaretten. Denken an Sex. An Prostitution. An ärmliche Frauen. Desintegration. Vernachlässigung der Hygiene. Asoziales Verhalten. Der Demarco-Garten. Die Deponie. Feindseligkeiten gegenüber der Familie. Alkoholismus … Ist der Kopfschmerz die Ursache dafür? Brauche ich einen Gehirnscan? Ich habe drei Tage Normalität erlebt – Fast-Normalität. Stella hat mir gestern Abend den Schnurrbart abrasiert. Ich habe nichts empfunden. Wir haben miteinander geschlafen. Warum spüre ich, dass das ein trügerischer Frieden ist, eine falsche Hoffnung?«
Meine Sorgen waren begründet. Ich schwankte offenbar zwischen einer angespannten, ängstlichen Normalität – Neu- start des Familienlebens, ich ging sogar ins Büro – und Stimmungen, die ich erst im Nachhinein als abwegig und gefährlich erkannte.
Eines Tages, nach dem Verlassen der Praxis in Notting Hill, blieb ich stehen, um eine Zeitung zu kaufen, und sah eine Frau, die in einem Fleischerladen arbeitete (warum tragen Frauen, die in Fisch- oder Fleischerläden arbeiten, so viel Make-up?). Ein dunkler Typ mit etwas vorspringendem Gebiss und sehr viel dichtem Haar, das aus ihrem markanten Gesicht zurückgekämmt und zu einem riesigen Dutt geknotet war. Ihre Lippen waren kirschrot, und ihre Augen mit stark getuschten Wimpern musterten mich unter himmelblauen Lidern, als ich Fleischberge verlangte, mit denen ich eine ganze Kompanie Soldaten hätte satt machen können. Während sie Rumpsteaks schnitt und Dutzende Würste eintütete, starrte ich sie unverwandt an – bemerkte den dunklen Flaum auf ihren Unterarmen, ihre strammen Waden, als sie sich nach dem Beil umdrehte, auch den Bürstengriff, der aus der Tasche ihres Nylon-Overalls ragte. Ich lehnte mich an das Glas der Fleischertheke, spürte, wie meine Erektion gegen die Scheibe drückte, und fragte mich, ob dieses Prachtweib die Tochter des kleinen, glatzköpfigen Fleischers war, der ein paar Schritte entfernt den Fleischwolf bediente, und was sie oder er sagen würde, wenn ich sie zu einem Drink einlud. Ich zahlte – immensen Reichtum suggerierend – mit zwei Fünfzigpfundnoten für das Fleisch und sagte: »Verzeihen Sie die Frage, aber ich bin gerade in diese Gegend gezogen und hätte gern gewusst, ob es hier einen guten Pub gibt, Sie wissen schon, einen, den Sie empfehlen können …«
Sie kratzte sich am Arm und überlegte. »Was meinst du, Frank?«, fragte sie den Mann am Fleischwolf. Es folgte eine kurze Diskussion über die Vorzüge der umliegenden Pubs, bis eines mit dem Namen The Duke of Clarence als das geeignetste auserkoren war. Ich dankte ihnen, bedachte die Fleischerin mit einem vielsagenden Blick und verließ den Laden.
Als ich die schwere Tüte mit Fleisch in den nächsten Mülleimer warf, wurde ich von einer deprimierenden Woge der Selbsterkenntnis überrollt, und ich sah meine sexuelle Obsession in all ihrer beschämenden Niedrigkeit. Doch im Fleischerladen hatte ich nur einen Gedanken im Sinn gehabt und meine ganze sabbernde Begierde auf dieses dralle Mädchen mit ihren rosigen, blutbefleckten Händen gerichtet. Mir brannten salzige Tränen in den Augen, als ich zu meiner leidgeprüften Frau zurückfuhr.
»9. August. Gestern früh habe ich John-Jo im Büro offenbar körperlich angegriffen, ihm mehrere Schwinger versetzt und mir den Ringfinger der linken Hand gebrochen, als ich seine Kinnlade traf. Ich erinnere mich an nichts, war wohl zu betrunken. Den dritten Abend in Folge hatte ich im Duke of Clarence auf meine Fleischerin gewartet – vergebens. Daher hatte ich mir eine Flasche Wodka gekauft, als der Pub zumachte, und mich in mein Auto gesetzt, um sie zu trinken. Irgendwie muss ich es am nächsten Morgen ins Büro geschafft haben. Stella sagt, ich hätte John-Jo Betrug vorgeworfen, dass er über all die Jahre hinweg systematisch meine Ideen gestohlen und Urheberschaft beansprucht habe, die ihm nicht zustand … und dann hätte ich mich auf ihn gestürzt. Arme Stella.«
»Es scheint sich etwas zu verändern«, sagte ich zu Petra Fairbrother. »Es ist nicht mehr wie in Kalifornien, wo der Zustand konstant war, jetzt kommt und geht er, als ob etwas ein- und ausgeschaltet wird.«
»Darf ich eine Zigarette von dir schnorren?«, fragte Petra. Sie nahm eine aus meiner Packung und zündete sie so umständlich an, als wäre es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie so etwas versuchte. Dann inhalierte sie den Rauch tief in ihre Lunge. »Herrlich«, sagte sie. »So, du glaubst also, dass der Griff sich lockert?«
»Welcher Griff?«
»Der dich in der Gewalt hat.«
»Du klingst ja wie eine Schamanin.«
»Alex, mein Guter, ich spreche metaphorisch. Dennoch kann man uns durchaus als moderne Schamanen bezeichnen« – sie lächelte und blies geräuschvoll eine Rauchwolke aus dem Mundwinkel hervor –, »die versuchen, dir die Dämonen auszutreiben.«
»Dämonen«, wiederholte ich langsam. »Ein Dämon.«
»Das ist eine Metapher. Aber mach dir nichts vor, Alex, du kämpfst mit Dämonen.«
Ich überlegte angestrengt. »All diese Mädchen waren dunkelhaarig, alle hatten sie Jobs. Und ich will nicht einfach nur bezahlten Sex, da bin ich mir sicher.« Ich erzählte ihr, dass ich in einer Londoner Telefonzelle stand, deren Scheiben mit Dutzenden Visitenkarten von Prostituierten zugeklebt waren, mit den verlockendsten Fotos von Schönheiten aller Färbungen, die um Kundschaft warben. »Ich empfand nichts. Ich hätte jede von ihnen anrufen können. Es kommt auf die Sorte Mädchen an, es geht darum, dass sie arbeiten …« Ich schaute sie ratlos an. »Vielleicht hilft eine Hypnose?«
»Was ist denn mit deiner Hand passiert?«
»Ich wollte meinen besten Freund zusammenschlagen.«
»Mein Gott. Höchste Zeit, dass wir anfangen.« Sie spitzte die Lippen, trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. »Hast du was dagegen, wenn ich mit jemandem über deinen Fall spreche? Ich hätte da eine Vermutung.«
»14. August. Ranking Hotel, Bloomsbury. Ich bin zu Hause ausgezogen, und Stella hat um die Scheidung gebeten. Dummerweise, verrückterweise habe ich ein Mädchen mit nach Hause genommen, eine Serviererin namens Katerina, Russin, glaube ich, oder Ukrainerin. Ich sagte ihr, sie könne bei uns wohnen, zur Untermiete, wir hätten jede Menge freie Zimmer. Als sie gerade das Gästezimmer im Keller besichtigte, kam Stella zurück. Ich hatte das Mädchen nicht angerührt (obwohl ich es natürlich vorhatte). Im nachfolgenden Streit stellte sich heraus, dass John-Jo ihr von Encarnación und mir erzählt hatte. Stella war der Ansicht gewesen, dass ich mich in eine altersbedingte Satyriasis verrannt hatte, und bereit, darüber hinwegzusehen, aber damit war es nun vorbei. Sie sei angeekelt von mir, schrie sie. So ein Mädchen ins Haus zu holen! Was ich denn von ihr erwarten würde? Immerhin habe sie sich noch einen Rest Würde bewahrt. Sie verwies mich des Hauses, und ich fügte mich kleinlaut. Morgen fahre ich nach Edinburgh, vielleicht ist es am besten, das mit mir selbst zu klären.«
III Edinburgh
Edinburgh im Hochsommer wurde von stürmischen Winden und heftigen Regenschauern aus dem Norden gebeutelt, die immer mal wieder von strahlendem Sonnenschein und milden Lüftchen unterbrochen wurden. Im Handumdrehen trockneten die nassen Straßen, Schirme wurden zusammengeklappt, Regenmäntel abgeworfen, und in den Terrassengärten unter der düster dräuenden Burg wimmelte es plötzlich von halb nackten Sonnenanbetern, bis sich – unvermeidlich – die schieferblauen Wolken über Fife und über der Nordsee zusammenballten und die Stadt von Neuem mit kräftigen, ergiebigen Schauern überzogen.
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