Der Mann, der gerne Frauen küsste. William Boyd
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Название: Der Mann, der gerne Frauen küsste

Автор: William Boyd

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783311701699

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СКАЧАТЬ Facelifts, billiges Hauspersonal. Es hat seine Vorteile.«

      Männergespräche sind langweiliger als Frauengespräche, finde ich, und das sage ich als professioneller Lauscher. Tanja war mal zu einem Dreh in Mexiko. Dort hat sie Duprez kennengelernt, glaube ich.

      »Du hast vielleicht kein Alkoholproblem, aber ich habe ein Problem mit deinem Alkoholkonsum.« Belauscht im Bemelmans.

      Bizarrer Anblick im Going Loco (East Village). Eine junge Mutter (einundzwanzig?, zweiundzwanzig?), die ihr Baby in einer Ecke des Cafés stillt, bekommt einen Anruf. Sie steht auf, geht ans Fenster des Cafés und telefoniert, das Baby noch an ihrer Brust. Diese Ungezwungenheit, die völlige Abwesenheit von pudeur war absolut bewundernswert. Ich fühlte mich sofort alt und griesgrämig, verklemmt aufgrund meiner Erziehung mit ihren überkommenen Werten und Maßstäben – so schwer zu beseitigen wie ein Tattoo. Ich mag die Atmosphäre in dem Lokal, lebhaft und entspannt; an der Bar esse ich eine scharfe Gazpacho mit viel Knoblauch. Sehr rauchig. Morgen Ankunft Tanja.

      16 Uhr. Bemelmans. Trinke Bier und esse Cashewnüsse. Im Lokal lauter alte Leute: die Generation New Yorker, die nachmittags einen Cocktail brauchen. Der Mann neben mir hat gerade einen zweiten Martini Dry bestellt.

      Ich war essen bei Tanja. Besuchte sie in ihrer Suite im Plaza, und zu meiner Überraschung traf ich dort auf einen kleinen Jungen, etwa sechs oder sieben. »Das ist Pascal«, sagte sie, als wäre seine Anwesenheit die natürlichste Sache der Welt. Dann sprach Pascal Französisch und sagte Maman zu ihr. Warum zum Teufel nennt er dich so?, fragte ich. Er ist mein Sohn, sagte sie, deshalb. Und sah mich an, als wäre ich der letzte Trottel. Eine Nanny kam ihn abholen, aber ich hatte den Appetit verloren. Beim Essen raffte ich mich zu der Frage auf, ob Duprez der Vater sei, und zu meiner Beruhigung sagte sie Nein. Während unserer acht Wochen beim Dreh von The Sleep Thief hat sie Pascal mit keinem Wort erwähnt. Ist das normal für eine Mutter? Hat sie ihn mir verschwiegen, um unsere Affäre nicht zu stören? Vielleicht dachte sie, ich wisse Bescheid, und weil ich es nie erwähnte, kam es ihr diskreter vor, ebenfalls zu schweigen? Sie kommt heute Abend ins Hotel, sobald das Kind im Bett ist.

      Seltsam: Bier trinke ich anscheinend nur in Frankreich und den Staaten. Nie einen Tropfen in England.

      Im Pub, The Duke of Kent, Montagmittag. Nichts Essbares in der Wohnung, deshalb bin ich hier. Ein leerer Kühlschrank in einer leeren Wohnung – absolut deprimierend. Ich wollte Janet anrufen und sie etwas beim Take-away bestellen lassen, als mir einfiel, dass sie zu einem Dreh auf Malta ist. Janet und meine zwei Assistentinnen, weg. Ein Filmregisseur muss sich, wenn der Film endlich abgedreht ist, erst wieder daran gewöhnen, den Alltagskram allein zu bewältigen: zur Bank gehen, Sachen von der Reinigung holen, Essen und Vorräte kaufen. Seltsam, wieder auf sich gestellt zu sein, seltsam, nach New York wieder in London zu sein. Vermisse Tanja fürchterlich, es tut richtig weh – sie musste nach L.A., zu ihrem Agenten. Sie hat versprochen, nach Cannes zu kommen … Ich bin besessen von ihrer nervösen, agilen Schönheit. Sie ist immer in Bewegung – agitée, würde man in Frankreich sagen.

      Mir gegenüber drei Dicke: riesige, massige Kerle, bei Schweinswurst mit Püree, Schwarzbrot und Butter. Zwei mit großen Gläsern Lagerbier, außerdem steht eine Flasche Rotwein auf dem Tisch, die sie sich teilen. Ich muss langsam an meinen neuen Film denken, aber The Sleep Thief lässt mich nicht los. Während ich noch die ganze Zeit von Tanja träume, läuft der Film, unser Film, weiter, als würden wir die verlorene letzte Filmrolle abspielen. Sie haben gerade Nachspeise und noch mehr Bier bestellt. Ich versuche, mich in der Rolle von Pascals Stiefvater zu sehen: Mit der Tatsache, dass wir künftig bei allen Treffen zu dritt wären, habe ich mich abgefunden. Vielleicht könnten wir ihm einen Internatsplatz besorgen. Benji und Max sind in seinem Alter von zu Hause weggekommen und haben sich all die Jahre in Farnham Hall absolut wohlgefühlt, wie es scheint – wobei mir einfällt: Wo stecken sie jetzt eigentlich? Was machen sie? Mein Caesar-Salat mit Lachs ist gekommen: von Lachs kaum eine Spur.

      Café Méridien, Cannes. Hier habe ich gegessen, als ich zum ersten Mal in Cannes war, mit Two-and-a-Half Grand. Ich erinnere mich genau an dieses kleine Bistro, an das Gefühl unbändiger Zuversicht damals – mein erster Film, und ausgewählt für »Un Certain Regard« –, nichts konnte mich aufhalten. Ich weiß noch, wie ich einmal am frühen Morgen an dem Lokal vorbeikam und stehen blieb, um dem Patron zuzusehen, der den Bürgersteig spritzte und dann die Tische eindeckte. Heute früh sah ich einen Mann mit finsterem Blick genau bei der gleichen Arbeit, und mir wurde plötzlich auf merkwürdige Weise bewusst, dass ich vor all den Jahren auf demselben Fleck gestanden und das gleiche Ritual verfolgt hatte, dass sich hier zufällig ein Lebenskreis geschlossen hat, und das punktgenau. Rückblende: Ich war neunundzwanzig Jahre alt. Benji war zwei, Max war unterwegs … Zu denken, dass Annie und ich damals glücklich waren …

      Tanja hat aus Prag angerufen, wo sie dreht. Es dauert länger, und sie schafft es wahrscheinlich nicht zum Screening. Herrgott noch mal! Es steht in ihrem Scheißvertrag, dass sie für PR beurlaubt werden muss! Ich muss beim Studio anrufen: The Sleep Thief beim Filmfestival von Cannes ohne Tanja Baiocchi – wie sieht das aus? Welche Botschaft ist das denn?

      Das kleine Hotel, in dem ich immer absteige, heißt jetzt Hotel Carlone. In einem Videoverleih fand ich ein altes Video von Dix-Mille Balles (Two-and-a-Half Grand). Ich hätte fast geheult.

      Welche Farbe hat Tanjas Haar? Karamell. Butterscotch. Fudge. Toffee … Alles essbar, alles Süßigkeiten.

      Idee für den nächsten Film, der Blue on Blue heißen soll – ein Ausdruck bei der British Army, wenn man aus Versehen auf die eigenen Leute schießt.

      Betrachtungen über den Nabel: eine Narbe, mit der jedes menschliche Wesen herumläuft … Der Schrei eines Babys braucht keine Übersetzung … Ein Schrei hat keinen Akzent … Ein Gähnen wird überall auf der Welt verstanden … Die banalen Tatsachen des Lebens sind einfach nur wahr, trotz ihrer Banalität.

      Habe Terry Mulveheys neuen Film gesehen, The Last Rebel (warum hatte er es in die Director’s Fortnight geschafft – und ich nicht?). Ein absolut lachhafter und doch irgendwie schöner Film. Die Story von Wings of a Dove auf den Amerikanischen Bürgerkrieg übertragen. Es wurde nicht einmal versucht, die Frisuren der Männer an das neunzehnte Jahrhundert anzupassen. Für einen schönen Shot verzichtet Mulvehey auf alles: narrative Glaubwürdigkeit, Figurenentwicklung, Tempo, Spannung. Alles wird dem schönen Shot geopfert. Kompositorisch ist der Film ohne Makel, aber als reale Story über reale Menschen – rien. Eitelkeit und Nichtigkeit. Tanja hat die ganze Woche nicht zurückgerufen. Habe ihr eine SMS geschickt, mit der Frage, wer Pascals Vater sei. Ich fürchte, das war ein kapitaler Fehler.

      The Duke of Kent wurde in meiner Abwesenheit in The Flaming Terrapin umgetauft. Seltsamer Name für ein Pub, aber was weiß ich? Wir haben jetzt Musik (fast übertönt vom kollektiven Gebrüll der Gäste), wir haben jetzt stumme Fernseher, die ein regengepeitschtes Golfturnier zeigen, mit Golfern, von denen nur die bunten Regenschirme sichtbar sind. Ich schiebe mein Thai-Hühnchen vom Holzkohlengrill auf dem Teller hin und her und bestelle noch ein Glas goldenen, sonnengesättigten australischen Chardonnay (mein drittes).

      Es ist Freitag, Lunchtime, und man spürt das wilde Aufkeimen der Wochenend-Fressgelüste. Diese jungen Leute in ihren besten Jahren fressen und saufen und qualmen, als ginge es um ihr Leben. Und natürlich geht es um ihr Leben, wenn sie nicht aufhören, in dieser Weise zu fressen, zu saufen und zu qualmen. Statt Rule Britannia Fool Britannia. Was ist bloß mit uns los? Wenn ich mir die Leute hier ansehe, sind wir eine Nation von maßlosen Gierhälsen geworden. Dralle Girls trinken literweise Stout und extrastarkes Lagerbier, junge Kerle mit Ziegenbart und geschorenen Köpfen beugen sich über vollgeladene Teller, schaufeln sich die Pasteten und Burger, Spareribs und Bratwürste rein, stopfen sich die Backen und Wänste СКАЧАТЬ