Название: Chronik eines Weltläufers
Автор: Hans Imgram
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Karl May Sonderband
isbn: 9783780216243
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Sonntag, 18. Juni 1865:
Turnerstick bestand darauf, dass ich mir kein neues Quartier suche, sondern die Zeit, bis ich ein Schiff nach Europa fände, auf seiner Bark bliebe. Natürlich nahm ich sein Angebot dankend an.
Buenos Aires war Hauptstadt der Provinz gleichen Namens, die zur Argentinischen Konföderation gehörte, und lag am rechten Ufer des hier über 75 Kilometer breiten, aber seichten La-Plata-Flusses. Die Stadt war recht hübsch gebaut, in regelmäßige Vierecke eingeteilt, hatte breite, sich rechtwinklig schneidende Straßen mit einstöckigen Häusern und wurde durch eine Zitadelle und mehrere Forts verteidigt. Sie war 1535 von Pedro de Mendoza gegründet, doch schon 1539 von Indios zerstört und dann 1580 neu aufgebaut worden. Ab 1630 war sie Bischofssitz, von 1776 bis 1816 Hauptstadt des Vizekönigreichs La Plata, dann der Vereinigten Staaten des Rio de la Plata und seit 1862 die der Argentinischen Konföderation.
Ich hatte mich laufend erkundigt, wann ein Schiff nach Europa in See stechen würde, doch es bestand vorerst keine Aussicht. Turnerstick hatte inzwischen einen Teil seiner Ladung gelöscht und eine kleinere aufgenommen, die für Kapstadt in Südafrika bestimmt war. Seine Restladung musste er um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien bringen. Er fragte mich, ob ich mit ihm fahren wolle, doch ich lehnte ab, da es mich nach Hause zog.
Mittwoch, 21. Juni 1865:
Am Sonntagabend verließ ich die mir inzwischen so vertraute Bark und bezog ein Quartier in der Nähe der Reede. Der Abschied von dem lieben Frick Turnerstick, den ich ins Herz geschlossen hatte, und seiner Mannschaft fiel mir nicht leicht, aber irgendwann musste es ja so weit sein. Als ich am Montagmorgen zur Boca de Riachuelo y Ensenada blickte, war der Platz leer, an dem ‚The Wind‘ geankert hatte. Irgendwie fühlte ich mich jetzt ein bisschen einsam. Meine tägliche Nachfrage nach einem Schiff gen Europa schien vergebens zu sein, obwohl laufend welche hier ein- und ausliefen, doch ihre Ziele lagen alle woanders. In der letzten Nacht, als ich einmal wach wurde und nicht gleich wieder einschlafen konnte, kam mir der Gedanke: Warum eigentlich nach Hause fahren, wo ich doch schon einmal hier in Südamerika war? Ich könnte ja quer durch den Kontinent reisen, die Pampa und die Kordilleren kennenlernen, um dann von Chile aus die Heimat zu erreichen. Im Grunde brauchte ich nur ein gutes Pferd und eine einigermaßen brauchbare Landkarte.
Montag, 25. September 1865:
Es war schon Frühjahr auf dieser südlichen Erdhalbkugel, als ich endlich die Hafenstadt Valparaiso in Chile erreichte. Über dreizehn anstrengende Wochen lagen hinter mir. Am 27. Juni war ich in Buenos Aires aufgebrochen. Es war schon gegen Ende des südamerikanischen Herbstes und ein gewagtes Unterfangen, in den bevorstehenden Winter hineinzureiten, zumal mir das Land vollkommen fremd war. Ein robustes, ausdauerndes Pferd brachte mich hinaus in das weite Hinterland der Hauptstadt, in die Pampa, was in der Indiosprache ungefähr mit ‚baumlose Ebene‘ zu übersetzen ist. Es ist ein fruchtbares Land, meist Weiden, auf denen es riesige Viehherden, Rinder, Pferde und Schafe, gibt. Ich sah oft Gauchos, berittene Hirten, die große Herden durch die Weidegebiete trieben. Sie gehörten meistens zu einer ‚Estanzia‘, einem Herrensitz der Großgrundbesitzer. Die wenigen Kleinstädte, durch die ich kam, zeigten in ihrer Anlage oft ein Viereckmuster mit einer baumumsäumten ‚Plaza‘, mit Kirchen und Verwaltungsgebäuden. Nahe dem Rio Salado wurde die Gegend hügeliger und die ersten Ausläufer der Kordilleren tauchten schon mit weißen Spitzen im Norden auf. Bei Mendoza begannen die sogenannten Trocken-Anden, ein Gebiet, das ursprünglich von Chile her erschlossen worden war und erst 1776 zum Vizekönigreich La Plata kam. Beim Übergang über die Kordilleren war man in der Nähe der höchsten Gipfel, die teilweise bis an die siebentausend Meter reichten. Es war ein anstrengender Ritt mitten im Winter, doch glücklicherweise mussten keine hohen Pässe überwunden werden, denn die Anden sind so von Tälern durchzogen, dass manche Flüsse, die nach Osten fließen, im Westteil des Gebirges entspringen und umgekehrt. Im Großen und Ganzen war es doch eine recht strapaziöse Reise für mich. Ich war zwar ermüdet, aber innerlich sehr zufrieden, als ich mich der Hafenstadt Valparaiso näherte, die an der Valparaiso-Bai des Stillen Ozeans und am Fuß und auf den Abhängen einer kahlen Hügelkette liegt. Gerne hätte ich bei meiner Reise noch einen Abstecher zur Hauptstadt Santiago gemacht, aber das wäre doch ein zu bedeutender Umweg gewesen. Mein treues Pferd, das mich redlich quer durch den Kontinent getragen hatte, konnte ich natürlich auf meinem weiteren Weg nicht mitnehmen. Deshalb suchte ich einen Pferdehändler auf, der mir wesentlich mehr für das Tier bezahlte, als es mich in Argentinien gekostet hatte. Hier in Valparaiso, dem bedeutendsten See- und Handelsplatz an der südamerikanischen Westküste, hoffte ich, eine Fahrgelegenheit nach Europa zu finden, egal ob um Kap Hoorn oder quer durch den Stillen Ozean. Die Hauptsache war, meine finanziellen Mittel reichten aus, die Schiffspassage zu bezahlen.
7. ZWEITE OSTASIEN-REISE (1865-1866)
Freitag, 10. November 1865:1
Wir hatten mit unserem guten Dreimaster ‚Poseidon‘ vor nunmehr sechs Wochen Valparaiso verlassen, um nach Hongkong zu segeln. Ungefähr auf der Höhe von Ducir und Elisabeth schlug der Passat in einen Orkan um, wie ich ihn von solcher Stärke und Unwiderstehlichkeit während meiner vielen Fahrten noch niemals erlebt hatte. Jetzt lag unser Dreimaster gestrandet draußen zwischen den verräterischen Korallenklippen. Ich war auf dem Schiff der einzige Fahrgast gewesen, mit dem sich der sonst sehr schweigsame Kapitän Roberts unterhalten hatte. Er nahm mich auch mit, als ihm unser Wächter von der Anhöhe zurief, dass ein Segel in Sicht sei. Durch das Fernrohr sah ich eine malaiische Praue auf unsere Insel zukommen, die von weiteren fünfzehn Booten verfolgt wurde. Wir eilten hinunter, teilten unsere Mannschaft in zwei Abteilungen, denn wir wussten nicht, wie sich die Dinge entwickeln würden. Das erste Boot fuhr durch den Korallenring in das ruhige Wasser der Bucht. Der Verfolgte zog sein Boot halb aus dem Wasser, hing sich den Köcher über, nahm den Bogen zur Hand und griff dann nach seiner Flinte. Ich machte mich bemerkbar und kam mit ihm in ein kurzes Gespräch, wobei er mir erzählte, dass er Potomba heiße, in Papetee der Hauptstadt von Tahiti wohne, ein Ehri, ein Fürst des Landes sei und von seinem Schwiegervater verfolgt werde, der ihn töten wolle, weil er, Potomba, ein Christ sei. Soeben versuchte das erste Boot seiner Verfolger die Einfahrt durch den engen Kanal. Da zeigten sich alle Matrosen. Als die Verfolger sahen, dass die Insel von einer ganzen Truppe europäisch gekleideter Männer besetzt war, zogen sie schleunigst die Segel wieder auf und ruderten von dannen. Um Hilfe herbeizuholen, wollte mich Potomba in seinem kleinen Boot mit nach Tahiti nehmen, das wir vielleicht in zwei Tagen erreichen würden.
Sonntag, 12. November 1865:
Wir langten nach zwei Tagen in Tahiti an. Jetzt nun lag die herrliche Insel vor uns und Papetee hob sich immer mehr hervor. Im Hafen lag eine Reihe von Seeschiffen, die durch die breitere Einfahrt Zugang gefunden hatten. Der Bau des einen kam mir bekannt vor. Droben in den Wanten hing ein Mann, nämlich der sehr wackere und ehrenwerte Kapitän Frick Turnerstick. Er versprach mir, die gestrandete Mannschaft der ‚Poseidon‘ zu holen, sobald er morgen früh mit der Ebbe auslaufen konnte. Dann fuhren wir an Land, wo Potomba von seinem Bruder Potai hörte, dass sein Schwiegervater – der Heiden-Priester Anoui – Potombas Frau Pareyma, entführt hatte, da dieser die Hochzeit seiner Tochter mit einem Christen nicht anerkannte. Dabei hatte er Potombas Mutter erstochen. Pareyma СКАЧАТЬ