Outsider. Jonathan Wilson
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Название: Outsider

Автор: Jonathan Wilson

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783730701195

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СКАЧАТЬ Eins.

      Genau genommen war Jaschins Trikot allerdings gar nicht schwarz. „Es war ein sehr dunkles Blau – ein Wollpullover mit einer auf den Rücken genähten Eins“, verriet seine Witwe Walentina Timofejewna Jaschina. „Ich denke mal, dass damals alle Tormänner dunkle Kleidung getragen haben. Als ich im Jahr 2000 in Lews Namen den Preis für den Tormann des Jahrhunderts überreicht bekam, hat Sepp Maier gesagt: ‚Früher haben alle Torhüter Schwarz getragen, damit man sie nicht mit jemand anders verwechseln konnte. Heute sind sie rot, gelb, blau – wie die Papageien.’“

      Und weiter: „Lew hat immer in dieser Farbe gespielt. In 20 Jahren hat er sein Trikot nur zwei- oder dreimal gewechselt, wenn die Ärmel schon ganz löchrig waren. Dann hat er immer eins in der gleichen Ausführung genommen. Die Plätze waren besonders im Frühjahr und Herbst matschig, und auf einer dunklen Kluft ist der Schmutz nicht so aufgefallen. Wenn er seine Spielkleidung mit nach Hause brachte, wurde das ganze Badezimmer schwarz und überall war Sägemehl – damit hat man die Strafräume eingestreut, damit die Tormänner nicht im Schlamm versanken.“

      Er zog auch bei wärmstem Wetter nichts anderes an. „Seine Kleidung hat verhindert, dass er sich verletzte“, erklärte Walentina. „Und er hat immer wattierte Hosen drunter gehabt. Er ist sauer auf Mannschaftskameraden geworden, die keine getragen haben. ‚Glaub mir’, hat er immer gesagt, ‚ohne kann man nicht spielen. Man kann sich die Oberschenkel verletzen. Blaue Flecken kriegt man garantiert, die Muskeln werden reißen, und dann hat man beim nächsten Mal Angst, zu Boden zu gehen. Und wie soll man dann im Tor spielen, wenn man Angst hat?‘“

      Walentina besitzt immer noch einen Kühlschrank, den Jaschin dank seines Ansehens als Fußballspieler bekommen hatte, dafür hat sie – und das ist bemerkenswert – keines der legendenumwobenen dunklen Trikots mehr. „Zur damaligen Zeit musste man alles zurückgeben“, erzählte sie dem Journalisten Igor Rabiner. „Sogar nach Lews Abschiedsspiel 1971 hat Dynamo ihm eine Aufforderung geschickt, die Spielkleidung zurückzugeben – sogar die Handschuhe, die er selbst genäht hatte, wenn sie aufgerissen waren. Wir haben darüber gelacht, aber er hat alles zusammengesucht und zurückgegeben. Er hat kein einziges Dynamo-Trikot behalten. Es war jedes Jahr die gleiche Geschichte: Am Ende der Saison musste ich seine ganze Ausrüstung durchwaschen, damit wir sie in gutem Zustand abgeben konnten.

      Er hat nur ein Trikot behalten, und das war ein gelbes mit der Nummer 13, kein schwarzes mit der Eins. Er hatte es bei dem berühmten Spiel mit der Weltauswahl gegen England getragen, bei dem er vor den Augen der ganzen Welt zu null spielte. Keiner wollte die Dreizehn tragen, aber Lew sagte: ‚Alles klar, her damit – stört mich nicht.’ Er hat ein tolles Spiel gemacht und die Dreizehn hinterher als seine Glückszahl betrachtet.“

      Neben seinen Trikots war Jaschins Markenzeichen seine Mütze. Wenn er es mit einer hohen Flanke zu tun bekam, nahm er gelegentlich sogar die Mütze ab, köpfte den Ball weg und setzte die Mütze dann wieder auf. „Das ist oft vorgekommen“, sagte Walentina, „aber nur, wenn keiner in der Nähe war. Zu der Zeit waren die Strafräume ja noch nicht so voller Leute wie heute.“ Zunächst jedoch hatte Jaschin die Bälle noch mit aufgesetzter Mütze weggeköpft. „Als er das zum ersten Mal gemacht hatte, kam er in die Umkleide und ließ seinen Kopf hängen“, erzählte Walentina. „Er dachte, dass [Dynamos Trainer Michail] Jakuschin ihn kritisieren würde, der konnte nämlich manchmal ganz schön bissig sein. Aber er sagte nichts. Lew fragte: ‚Stimmt was nicht?’ ‚Nein, alles prima’, hat ihm Jakuschin geantwortet. ‚Aber du musst die Mütze abnehmen.’ Die Fans fanden das toll und reagierten jedes Mal mit einem Jubelsturm. Ein paar Mal hat er den Ball noch ohne die Mütze geköpft, aber dann hat er damit aufgehört, weil das Spiel schneller und härter wurde.“

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      In der Sowjetunion, also in einer Uniformität verlangenden kommunistischen Gesellschaft, war die Individualität und das Außenseitertum des Torhüters natürlich etwas Besonderes. Der Gedanke liegt nahe, dass das Torhüten eine der seltenen Möglichkeiten bot, die eigene Individualität zum Ausdruck zu bringen, losgelöst vom Kollektiv, und dass genau deshalb diese Position so beliebt war. Aber auch wenn daran etwas dran ist, war Jaschin doch kein Dissident, und das Torwartspiel besaß auch schon vor der Revolution von 1917 eine herausgehobene Stellung in Russland.

      Wladimir Nabokow, 1899 in St. Petersburg in eine Aristokratenfamilie hineingeboren und nach der Revolution aus Russland geflohen, schrieb in seiner Autobiografie Erinnerung, sprich, dass er als junger Mann „mit Begeisterung Torwart“ gewesen sei. Tatsächlich scheint Fußball zu den wenigen Dingen zu gehören, an die er sich im Zusammenhang mit seinem Studium in Cambridge unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg noch gut erinnern konnte. Es gab die „hellen, heldischen Tage“, an denen ihm „die geglückte Abwehr“ gelang und deren „lange anhaltendes Prickeln“ er in seinen Handflächen spürte. Doch es gab auch die Partien unter „trostlosem Himmel“, wenn „der Boden um das Tor herum zu schwarzem Schlamm aufgeweicht war, der Ball fettig wie ein Plumpudding“, wenn sich der Nebel sammelte und „die ramponierten Krähen“ um eine „entblätterte Ulme“ krächzten und er „den Ball glücklos verfehlte“. In seiner Vorliebe für die Position sah sich Nabokow als typisch für sein Land. Er schrieb:

      In Russland und in den romanischen Ländern ist jene Kunst immer von der Aura eines beispiellosen Glanzes umgeben gewesen. Erhaben, einsam, unbeteiligt, so schreitet der Held des Fußballtores durch die Straßen, verfolgt von hingerissenen kleinen Jungs. Er wetteifert mit dem Matador und Flieger-Ass als ein Gegenstand verzückter Verehrung. Sein Pullover, seine Schirmmütze, seine Knieschoner, seine Handschuhe, die aus der Gesäßtasche seiner kurzen Hosen ragen, heben ihn von der übrigen Mannschaft ab. Er ist der einsame Adler, der Geheimnisvolle, der letzte Verteidiger. Fotografen, ein Knie ehrwürdig gebeugt, knipsen ihn, wenn er sich mit einem spektakulären Kopfsprung quer über die Öffnung des Tores wirft, um mit den Fingerspitzen einen niedrigen, blitzartigen Schuss abzuwehren, und beifällig brüllt das ganze Stadion, während er in dem unversehrten Tor noch einen Augenblick der Länge nach liegenbleibt, wie er fiel.“

      Die englische Mentalität kam dem Torhüter laut Nabokow nicht gerade zugute: „Der nationale Horror vor aller Angeberei und eine zu humorlose Vorliebe für solide Teamarbeit [waren] der Entwicklung der exzentrischen Art des Torwarts immer abträglich.“ Umso bemerkenswerter ist es, dass so viele der begabten britischen Torhüter der Anfangsjahre oft ganz bewusst ein besonders skurriles Verhalten an den Tag legten.

      Die russische Liebe zum Torhüter zeigte sich auch am Erfolg des Filmes Wratar, einem Singspiel unter der Regie von Semjon Timoschenko. Hauptdarsteller war der russische Leinwandbeau Grigori Pluschnik in der Rolle des Anton Kandidow. Kandidow verdient sich sein Geld damit, Wassermelonen auf einen Karren zu stapeln. Er ist so gut darin, die herunterfallenden Melonen aufzufangen, dass er einem Talentspäher auffällt, der ihn in seine Mannschaft holt. Der Höhepunkt des Films ist schließlich, wie Kandidow nach einer Reihe von Glanzparaden gegen eine tourende baskische Mannschaft über den gesamten Platz rennt und in der letzten Minute das Siegtor schießt. Für den Fall, dass jemand die politische Botschaft dahinter nicht verstand, hieß es in dem bekanntesten Lied des Films: „Hey, Keeper, mach dich bereit für den Kampf. / Du bist der Wachposten im Tor. / Stell dir vor, hinter dir ist eine Grenze.“

      Der Film basierte auf Lew Kassils 1936 erschienenem Roman Wratar Respubliki („Der Torwart der Republik“), der wesentlich düsterer ist als das Singspiel. In dem Buch schließt sich der riesengroße, „impulsive“ Kandidow der Gemeinde Gidraer an, um in ihrer Fußballmannschaft im Tor zu spielen. Dann aber geht er zu dem namhafteren Team von Magneto, das bald zu einer Reise durch Europa aufbricht. Dort wird er von seinen neuen Freunden und fremden Einflüssen verdorben. Nach seiner Rückkehr verliert Magneto gegen Gidraer, „wegen ihres fehlenden Zusammenhalts und vor allem wegen Kandidows unüberlegter, individualistischer Entscheidung, seinen Platz zwischen den Pfosten in einem entscheidenden Spielmoment zu verlassen“, wie Keith A. Livers in einem Aufsatz in СКАЧАТЬ