Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt
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СКАЧАТЬ ergab sich die soziale Stellung einer Person aus der Summe der genannten Einzelkriterien.

      Ungleich schwerer in dieses Gefüge einzuordnen sind persönliche Voraussetzungen und Begabungen: „Rein persönliche Fähigkeiten und Leistungen, Geschick, Bildung, politische Verdienste waren nichtsdestoweniger wichtig, auch wenn ihrer Auswirkung auf die Bestimmung der sozialen Position unverkennbare Grenzen gesetzt waren und sie eher nur in Ausnahmefällen zu glänzenden Karrieren führen konnten.“10 Somit konnten sie zwar eine gewisse modifizierende Auswirkung auf die soziale Stellung haben, allerdings nicht die gesellschaftlichen Gegebenheiten außer Kraft setzen. Lediglich für den militärischen Bereich ist ein größerer Einfluss persönlicher Fähigkeiten anzunehmen, der jedoch zugleich den Faktor der Herkunft bzw. Abstammung nicht obsolet erscheinen ließ. „Diese Ambivalenz war für die römische GesellschaftsordnungGesellschaftsordnung höchst charakteristisch: Sie beharrte einerseits auf dem aristokratischen Prinzip des Vorranges der adligen Geburt und überhaupt der Bestimmung der sozialen Position durch Herkunft, zugleich bot sie jedoch auch einen Spielraum für persönliche Qualitäten und Ambitionen.“11

      Anhand der Zusammenschau aller Kriterien zeigt sich, dass die Gesellschaft der römischen Kaiserzeit in verschiedene Stände und Schichten eingeteilt war. Fraglich bleibt dabei aber deren innere Homogenität. So ist zu erwägen, dass unter den Unfreien Menschen mit höherer Bildung zu finden sind, die u.a. als Arzt praktizierten.12 Zugleich erfüllte nicht jedes Mitglied des Ritterstandes qua Geburt die Anforderungen, die der Militärdienst an ihn stellte. Daher ist von einer facettenreichen GesellschaftsordnungGesellschaftsordnung auszugehen, die durch die Gliederung in Schichten bzw. Statusgruppen nur schwerlich abgebildet werden kann. Das entstehende und sich ausbreitende Christentum hatte sich innerhalb dieser komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge einzuordnen.

      Für die vorliegende Studie ist von Bedeutung, dass sich innerhalb der aufgezeigten Gesellschaftsstruktur weitere Gruppen etablierten, die ihrerseits eigene OrganisationsformenOrganisationsform und Gemeinschaftsgefüge zu schaffen in der Lage waren und zu einer Diversität der Gesellschaft beitrugen. Konkret zu benennen sind die sich primär innerhalb der Unterschichten bildenden Vereinigungen. Dazu gehören u.a. KultvereinigungenKultvereinigung, Berufsverbände, sogenannte collegiaCollegia, oder aber auch BegräbnisvereinigungenBegräbnisvereinigung.13 Bedeutsam ist an ihnen die Schaffung von Parallelstrukturen, indem sie gesellschaftliche Gegebenheiten und HierarchienHierarchie nachahmten. Diese NachahmungNachahmung zog nach sich, dass sich innerhalb ihrer OrganisationsformOrganisationsform genuine (und gesamtgesellschaftlich gesehen fiktive) Aufstiegsmöglichkeiten etablierten. Neben diesen Gruppen etablierten sich auch die frühen christlichen Gemeinden. Weil Vereinigungen und Gemeinden nebeneinander in einem gemeinsamen sozialen Bezugssystem existierten, müssen Berührungspunkte zwischen diesen beiden angenommen werden. Deswegen verdient das soziale Gefüge antiker Vereinigungen Beachtung, weil ihre Organisation und ihre HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge als VorbildVorbild für das sozial-fürsorgliche Handeln der christlichen Gemeinden gedient haben könnten. Aus diesem Grund bietet eine Untersuchung antiker Vereinigungen wichtige Erkenntnisse für die Genese und Bedeutung des Konzeptes diakonischen Handelns in seinem sozialgeschichtlichen Kontext.

      Aus den dargestellten sozialgeschichtlichen Aspekten wird deutlich, dass die Gesellschaft der römischen Kaiserzeit ein komplexes Gebilde darstellt, dem dennoch eine gewisse Flexibilität zu Eigen ist. Zeitgenössische Quellen illustrieren, dass eine vertikale und horizontale MobilitätMobilität gegeben war und Ausnahmefälle die Regeln der römischen Gesellschaft bestätigten. So sahen die gesellschaftlichen Konventionen einen sozialen Aufstieg, z.B. durch die Freilassung von Sklavinnen und Sklaven, regelmäßig vor. Gesellschaftliche MobilitätMobilität im weiteren Sinne ergab sich auch durch das engmaschige Netz von Straßen und Handelswegen, die einen kulturellen und gesellschaftlichen Austausch ermöglichten und zu kulturellen Transformationsprozessen beitrugen. Ein weitgehend einheitlicher Sprachraum trug dazu bei, dass sich gesellschaftliche Phänomene und religiöse Entwicklungen im Reich verbreiten und an Einfluss gewinnen konnten. Für die vorliegende Studie bedeutet das, dass die Auseinandersetzung mit Vereinigungen nicht auf die Orte beschränkt bleiben muss, für die die Existenz von VereinigungsinschriftenVereinigungsinschrift und christlichen Gemeinden gleichermaßen erwiesen ist. Vielmehr haben die Überlegungen gezeigt, dass das Wissen um soziale Phänomene keine lokale Beschränkung besitzt und deswegen christliche Gemeinden zu Vereinigungen in Beziehung gesetzt werden können, auch wenn sie nicht an einem gemeinsamen Ort lokalisiert sind.

      1.5 Imperium Romanum und Vereinigungen – Überblick

      An die Seite der sozialgeschichtlichen Problemskizze tritt hier ein Abriss zum VereinigungswesenVereinigungswesen im Römischen Reich.1 Ziel dieser forschungsgeschichtlichen Skizze ist es, auf aktuelle Forschungen zum Untersuchungsgegenstand hinzuweisen und aufzuzeigen, unter welchen Frageperspektiven die Beschäftigung mit freiwilligen Vereinigungen gewinnbringend sein kann.2 Weiterhin soll im Licht dieser Studien das Profil und Interesse dieser Arbeit deutlich werden. Weitere Literatur ist darüber hinaus implizit den anschließenden Ausführungen zu entnehmen. Voranzustellen ist fernerhin, dass diese Studie Vereinigungen als soziale Größen auf freiwilliger Basis in den Blick nimmt, anhand derer eine phänomenologische Annäherung an HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge früher christlicher Gemeinden in Hinblick auf das Konzept diakonischen Handelns möglich wird.

      1.5.1 Skizzen zur Forschungslage

      1.5.1.1 Die ältere Forschung

      Die Forschung zu den freiwilligen Vereinigungen und ihren Beziehungen zu frühen christlichen Gemeinden hat bereits eine längere Geschichte hinter sich und ist in ihren Anfängen prominent mit den Forschungen Edwin Hatchs1 und Carl Friedrich Georg Heinricis verbunden. Exemplarisch werden die Erkenntnisse Heinricis näher erläutert.

      Heinricis Überlegungen werden exemplarisch greifbar an einem Aufsatz aus dem Jahr 1876.2 Er konstatiert, dass die weit verbreitete Ansicht, die christlichen Gemeinden hätten sich in Analogie und im Anschluss an die jüdische SynagogeSynagoge gebildet, nicht zur Erklärung aller Phänomene und Entwicklungen herangezogen werden könne. Deutlich werde dieser Umstand an der Gemeinde in KorinthKorinth: „Alle diese Momente, die Verbreitung der SynagogenSynagoge, ihre bevorzugte Stellung, die Elasticität ihrer Verfassung, legen die Vermuthung sehr nahe, dass die vom Judenthum ausgehenden MissionareMissionar des Evangeliums die ihnen vertrauten und altgewohnten Formen auf die neu begründeten Christengemeinden übertrugen. Auch von PaulusPaulus würde das gelten, wenn wir seine Vorschriften und Rathschläge für Lehre und Leben seiner Gemeinden nach den Pastoralbriefen und der Apostelgeschichte beurtheilen. Jedoch will weder das Grundprincip der Predigt des grossen Heidenapostels, noch der Charakter der wichtigsten Gemeinde, die er im Occident gegründet hat, unter diese Annahme sich fügen.“3

      Heinrici ging davon aus, die Entwicklung früher christlicher Gemeinden plausibilisieren zu können, wenn neben die Orientierung an den SynagogenSynagoge auch die Orientierung an den „religiösen Genossenschaften Griechenlands“4 trete. In der Lesart Heinricis bedeutet das, dass sich die Gemeinde von ihren religiösen Überzeugungen her in Strukturen zu organisieren wusste, die bereits weit verbreitet und gesellschaftlich erprobt waren.5 Mit dieser Erkenntnis rücken die freiwilligen Vereinigungen in den Fokus wissenschaftlichen Interesses. Zugleich ist damit die bereits benannte Auffassung in Frage gestellt, dass sich die christlichen Gemeinden einzig aus dem VorbildVorbild der SynagogenSynagoge heraus entwickelt hätten. Heinrici bringt seine Wahrnehmung andernorts prägnant, aber mit gewisser Vorsicht zur Sprache: „[…] nicht nach dem Vorbilde, aber in den Formen der religiösen Genossenschaften“6 organisiere sich die frühe christliche Gemeinde, speziell die Gemeinde in KorinthKorinth. Zugleich betont Henrici aber auch, dass „[…] nur die Formen die gleichen waren, der Gehalt jedoch, das innere Band, durchaus eigenartig sei.“7 PaulusPaulus habe sich diese Formen dienstbar gemacht, weil sie den historischen Kontexten jener Zeit entsprochen hätten und für seine Zwecke, der SammlungSammlung einer Gottesgemeinde, geeignet erschienen.8 Diese Sichtweise blieb nicht ohne Widerspruch, СКАЧАТЬ