Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt
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СКАЧАТЬ freibleibend.6 Vielmehr zeigt das Wechselspiel von Hilfeleistung und Ausdrücken der Dankbarkeit die gesellschaftliche Verortung und Akzeptanz des Konzepts diakonischen Handelns auf. Zugleich versteht sich dieses Konzept auch nicht als eine Erfüllung vorgegebener Konventionen, die sich aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaftsschicht ergeben, z.B. durch die Mitgliedschaft in einer Vereinigung und deren finanziellen Verpflichtungen oder aber aufgrund familiärer Beziehungen.

      Die Definition bestimmt das Konzept diakonischen Handelns als einen Vollzug, der altruistischAltruismus genannt werden kann. Der Begriff des AltruismusAltruismus geht auf Auguste Comte (1798–1857) zurück und ist in seiner gegenwärtigen Bestimmung und seinem Verständnis umstritten, wie sich u.a. anhand verschiedener Erschließungsmöglichkeiten bzw. Analyseebenen der Begrifflichkeit zeigen lässt.7 Allgemein gesprochen stellt sich AltruismusAltruismus zunächst als ein Antonym zum Begriff des EgoismusEgoismus dar. Egoistisches Handeln hat das eigene Wohlergehen und Befinden, auch auf Kosten anderer, im Blick, während der Altruist von sich absieht und seine Kraft und eventuell auch seine materiellen Möglichkeiten uneigennützig für einen Anderen einsetzt.8 Allerdings stellen sich die Verbindungen und Gegensätze differenzierter dar als es die Gegenüberstellung beider Begriffe nahelegt. So kann der EgoismusEgoismus durchaus zum Motivator altruistischenAltruismus Handelns werden, wenn sein Ziel allein in der Steigerung des SelbstwertgefühlsSelbstwertgefühl des aus EgoismusEgoismus altruistischAltruismus Handelnden oder in der Verpflichtung anderer für die eigene Sache besteht.9

      Die Ausführungen zur Begrifflichkeit des AltruismusAltruismus fokussieren sich in dieser Arbeit insgesamt auf sozialpsychologische Perspektiven.10 Aus evolutionstheoretischer Perspektive lassen sich darüber hinaus einige Formen des AltruismusAltruismus durch Verwandtschaftsverhältnisse bzw. Verwandtenselektion erklären.11 Diese Erklärungsversuche sind für die vorliegende Studie jedoch nur bedingt plausibel, weil das als „Diakonie“ bezeichnete Handeln nicht auf Gruppen von Verwandten bezogen ist, sondern auf ein Verhalten abzielt, das die Grenzen dieser Gruppe überschreitet. Der Begriff der Nächsten bzw. des Nächsten ist, wie bereits erwähnt, demgemäß in einem weiten Sinne zu verstehen und beschreibt keine verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen den Akteuren. Also fällt die Erfüllung familiärer Verpflichtungen nicht unter das Konzept diakonischen Handelns. Die hier beschriebene „Diakonie“ vollzieht sich vor diesem Hintergrund primär afamiliär. Auch der Gedanke eines reziproken AltruismusAltruismus erscheint in der Perspektive der Begriffsbestimmung nicht weiterführend, da diakonisches Handeln innerhalb dieser Definition nicht daraufhin ausgelegt ist, ihrerseits ein altruistisches Verhalten zu erwarten bzw. sich von dieser ErwartungshaltungErwartungshaltung her motiviert.12

      Unter AltruismusAltruismus ist differenzierter gesprochen ein Verhalten zu verstehen, das „weder einen materiellen noch einen psychologischen Nutzen aus seiner Hilfeleistung gegenüber dem Hilfeempfänger erfährt.“13 Dieses empathische Verhalten zielt darauf ab „die Situation des Hilfeempfängers zu verbessern, der Handelnde zieht [dabei, JQ] seine MotivationMotivation nicht aus der Erfüllung beruflicher Verpflichtungen und der Empfänger ist eine Person und keine Organisation.“14 Der Gebrauch des AltruismusAltruismus-Begriffs korreliert mit der Bestimmung des Konzepts diakonischen Handelns als ein solches, das auf keinen finanziellen Vorteil bedacht ist.15 Weiterhin ist altruistisches Handeln zwar als ein prosoziales Verhalten zu verstehen, hebt sich jedoch von diesem durch ein nicht egoistisch motiviertes Handeln ab, da es primär keinen persönlichen Vorteil zu erlangen versucht.16 Offen bleiben in dieser Bestimmung die Beweggründe für diese Art Handeln, für die es je nach Analyseebene eine Vielzahl an Theorien und Erklärungsversuchen gibt, die jeweils situativ bedingt sein können.17 Die Verwendung des AltruismusAltruismus-Begriffs impliziert letztlich die Entscheidung für eine säkular geprägte Terminologie im Gegensatz zu einer Bezeichnung mit dem religiös geprägten Terminus der NächstenliebeNächstenliebe, womit allerdings nicht ausgesagt wird, dass beide Begriffe inhaltlich in eins fallen.18 Diese Entscheidung soll eine möglichst objektive Sichtung und Untersuchung der Quellen ermöglichen, ohne von vornherein auf religiös konnotierte Quellen festgelegt zu sein.19 Mit anderen Worten: „Das Leitwort des AltruismusAltruismus bietet die große Chance, in den gegenwärtigen Wissenschaften ein Gespräch zwischen Biologie und Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Theologie anzustoßen, bei dem es um EthikEthik, aber nicht nur um Moral geht, sondern auch um Menschenbilder und Lebensentwürfe, um das Verhältnis zu anderen Geschöpfen, um Sozialformen und Gesellschaftsentwürfe, um Handlungsoptionen und Leiderfahrungen, um Anerkennung und BarmherzigkeitBarmherzigkeit.“20

      1.4 Das Imperium Romanum – Sozialgeschichtliche Problemskizze

      Schnelle postuliert: „Das römische Kaiserreich als globaler Politik-, Wirtschafts- und Kulturraum ist eine entscheidende geschichtliche Voraussetzung für die Entstehung des frühen Christentums.“1 Vor dem Hintergrund dieser These erscheint ein grundlegender Blick in die Sozialgestalt und sozialen Zusammenhänge innerhalb des Römischen Reiches sachgemäß zu sein.

      Dabei legen nicht nur inhaltliche Linien es nahe, sozial- und kulturgeschichtliche Hinweise der Lektüre der Quellen voranzustellen. Auch strukturelle Probleme plausibilisieren das gewählte Vorgehen. Zu erwähnen ist insbesondere die offensichtliche zeitliche Differenz, die es erschwert, eine konkrete und präzise Einordnung der Quellen vorzunehmen. Abhilfe soll an dieser Stelle ein möglichst präziser Einblick in die zeitgenössischen Lebensvollzüge und Gesellschaftsstrukturen schaffen. Besonders in Hinblick auf soziale Gegebenheiten und Perspektiven ist von einer hermeneutischen Fremdheit auszugehen, deren Überwindung als notwendige Vorleistungen anzusehen ist, um ein Zeit-Bild zu gewinnen, das nicht von Denkmustern des 21. Jahrhunderts überzeichnet ist.

      Im Rahmen der Vorbemerkungen sind diese Skizzen als Grundlage für die Einordnung und Bewertung der Quellentexte zu verstehen. Zugleich können sie als Teil der Vorbemerkungen lediglich einen exemplarischen Ausschnitt zeigen. Dabei ist im Blick zu behalten, dass sich das enstehende Christentum zunächst als eine mit dem Judentum eng verbundene Gruppierung erweist und darum die Beziehungen zwischen staatlichen Autoritäten und dem Judentum, soweit es geboten scheint, ebenfalls zu reflektieren sind.

      1.4.1 Hellenismus

      Da es sich bei der Frage nach der sozial-fürsorglichen Ausrichtung von antiken Vereinigungen im Kern um eine sozial-kulturelle Frage handelt, stellt die Auseinandersetzung mit dem HellenismusHellenismus eine notwendige Vorbemerkung im Kontext dieser Arbeit dar. Bereits Martin Hengel hat die Notwendigkeit dieser Auseinandersetzung für eine sachgemäße Interpretation des Neuen Testaments in aller Deutlichkeit herausgestellt: „Die hellenistische Zivilisation hatte […] in neutestamentlicher Zeit auch im jüdischen Palästina eine lange, ereignisreiche Geschichte hinter sich. […] Die unter der unglücklichen Bezeichnung ‚neutestamentliche Zeitgeschichte‘ gerne zu rasch übergangene unmittelbare ‚Vorgeschichte des Christentums‘ gehört zu den unabdingbaren Grundlagen für ein echtes Verständnis des Neuen Testaments.“1

      1.4.1.1 Zeitliche Einordnung

      In Flav.Jos.Apion. I, 175–182Flav.Jos.Apion. I, 175–182Flavius Josephus gibt Flavius JosephusJosephus, Flavius die Beschreibung eines Juden aus Koelesyrien (vgl. Flav.Jos.Apion. I, 97Flav.Jos.Apion. I, 97Flavius Josephus) durch Klearchos wieder, der diesen folgendermaßen charakterisiert:

      […] Ἑλληνικὸς ἦν οὐ τῇ διαλέκτῳ μόνον, ἀλλὰ καὶ τῇ ψυχῇ. – „[…] ein Grieche war er, nicht allein dem Dialekt, sondern auch der Seele nach.“1

      Wie das Zitat deutlich macht, handelt es sich beim HellenismusHellenismus offensichtlich nicht allein um eine historische Epoche. Vielmehr ist darunter eine kulturgeschichtliche Periode zu verstehen, die ihren Niederschlag in beinahe allen Bereichen antiker AlltagskulturAlltagskultur fand. In der vorliegenden Studie wird daher von HellenismusHellenismus als geistesgeschichtlicher Strömung gesprochen, im Gegensatz СКАЧАТЬ