Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Dann entwarfen sie einen Reiseplan und beschlossen, um auch die schwierigsten Touren machen zu können, sich Pferde zu mieten. So nahmen sie also zwei kleine korsische Hengste mit feurigen Augen, zäh und unermüdlich, und begaben sich eines Morgens bei Tagesanbruch auf den Weg. Ein Führer auf einem Maulesel, der zugleich mit Proviant beladen war, bildete ihre Begleitung; denn auf Gasthäuser durften sie in dem unwirtlichen Lande nicht rechnen.
Die Strasse führte zuerst dem Golf entlang und dann durch ein mässig tiefes Tal gegen die großen Berge zu. Zuweilen musste man halbausgetrocknete Ströme überschreiten; nur dünn rieselte unter den Kieseln ihres Bettes das Wasser dahin, und ließ ein schwaches Plätschern vernehmen.
Das unbebaute Land schien fast nackt zu sein. Die Berghänge waren mit hohen, bei der heissen Jahreszeit fast braunen Kräutern, bewachsen. Hin und wieder begegnete man einem Bergbewohner entweder zu Fuss oder zu Pferd, oder rittlings auf einem rundbauchigen Esel sitzend.
Aber alle hatten über der Schulter hängend das geladene Gewehr, alte verrostete, aber in ihren Händen sehr gefürchtete Waffen.
Der starke Geruch der duftigen Kräuter, mit denen die Insel bewachsen ist, schien die Luft zu verdicken. In langen Windungen stieg die endlose Strasse die Berge hinan.
Die Gipfel aus rötlichem oder blauen Granit verliehen der öden Umgebung den Charakter einer Zauberlandschaft; und die großen Kastanienwälder an den tiefergelegenen Hängen sahen wie grünes Gebüsch aus. So groß war die Entfernung, welche sie von den hochragenden Berggipfeln trennte.
Hin und wieder nannte der Führer, die Hand gegen die zerrissenen Gipfel ausstreckend, einen Namen. Johanna und Julius wandten den Blick dorthin, aber sie konnten anfangs nichts sehen, bis sie schliesslich einen grauen Gegenstand entdeckten, der einen vom Gipfel abgelösten Steinhaufen glich. Es war ein Dorf, ein kleiner Weiler, wie ein richtiges Vogelnest, dort in der engen Felsspalte fast unsichtbar eingezwängt.
Der lange Weg im Schritt machte Johanna ungeduldig. »Wir wollen mal vorwärts reiten« sagte sie und sprengte ihr Pferd an. Als sie ihren Mann nicht neben sich gallopieren hörte, wandte sie sich um und brach in ein tolles Gelächter aus, als sie ihn herbeikommen sah, krampfhaft am Zügel zerrend und seltsam schwankend. Seine Schönheit und seine vornehme Haltung kontrastierten eigentümlich zu seiner Ungeschicklichkeit und Furcht.
Sie setzten darauf den Weg in langsamen Trabe fort. Die Strasse führte jetzt durch zwei undurchdringliche Gebüschstreifen, welche den Hang wie ein Mantel bedeckten.
Es war dies der Maki, der undurchdringliche Maki, aus grünen Eichen, Wachholdersträuchern, Erdbeerstauden, Mastixbäumen, Kreuzdorn, Farrnkraut, Lorbeer, Thymian und allerlei Schlingpflanzen gebildet. Das alles war in einander verwachsen wie die Haare eines Menschen; es rankte, sprosste, wucherte empor und bildete so seltsame Formen, ein so unentwirrbares Dickicht, dass keines Menschen Fuss sich durch dasselbe zu winden vermocht hätte. Es war wie ein dichtes Vlies, das den Rücken des Berges bedeckte.
Allmählich verspürten sie Hunger. Der Führer, der sie wieder eingeholt hatte, brachte sie zu einer jener lieblichen Quellen, wie man sie in diesem zerklüfteten Lande so zahlreich findet, wo ein dünner eiskalter Wasserfaden aus einem kleinen Loche im Felsen rinnt und sich am Fusse einer Kastanie in einer kleinen Vertiefung sammelt, von wo aus dann der Lauf bis zur Mündung weiter führt.
Johanna war so entzückt, dass sie nur mit Mühe einen Ruf der Überraschung unterdrückte.
Nach dem Frühstück brachen sie wieder auf und begannen den Abstieg auf der Seite des Golfs von Sagone.
Gegen Abend kamen sie durch Cargese, dem alten Griechen-Dorfe, welches einst eine flüchtige Schar Verbannter dort angelegt hatte. Hübsche, hochgewachsene Mädchen mit vornehmem Profil, langen Händen, schlanker Taille, ausnehmend graziöse Erscheinungen, standen in einer Gruppe an einem Brunnen. Als Julius ihnen einen »Guten Abend« wünschte, antworteten sie mit wohlklingender Stimme in der melodischen Sprache ihres Vaterlandes.
Als sie nach Piana kamen, mussten sie, wie in alten Zeiten und längst verschollenen Landen um Gastfreundschaft bitten. Johannas Herz hüpfte vor Freude, während sie warteten, ob die Pforte sich öffnen würde, an welcher Julius gepocht hatte. Das war doch wirklich mal eine Reise mit all’ den unvorhergesehenen Ereignissen auf unbekannten Strassen!
Sie hatten sich gerade an eine noch neubegründete Haushaltung gewandt. Man empfing sie, wie ungefähr die Patriarchen einen von Gott gesandten Gast empfangen haben würden. Sie schliefen unter einem Strohdache in dem alten wurmstichigen Hause, dessen ganzes Gebälk mit Inschriften bedeckt schien; so hatten die kleinen Holzwürmer ihre Spuren auf demselben eingegraben.
Mit Sonnenaufgang zogen sie weiter und standen bald vor einem Wald, einem wirklichen Wald von purpurfarbenem Granit. Da befanden sich Giebel, Säulen, Glocken und allerlei seltsame Figuren, welche der Zahn der Zeit, der Sturmwind und der gefrässige Brodem des Meeres aus dem Gestein gebildet hatten.
Oft dreihundert Meter hoch, schlank, rund, gewunden, geknickt, missgestaltet, seltsam, in jeder Art von Form, erschienen diese sonderbaren Felsen wie Bäume, Pflanzen, Tiere, Denkmäler, Menschen, Mönche in langen Kutten, Teufel mit Hörnern, riesige Vögel, kurz wie eine Welt von Ungeheuern, wie eine Menagerie, die durch die sonderbare Laune irgend eines Gottes in Stein verwandelt war.
Johanna fand keine Worte für die mächtige Bewegung ihres Herzens, und sie ergriff die Hand ihres Gatten, welche sie, hingerissen von der Schönheit dieses Schauspieles, zärtlich drückte.
Plötzlich, als sie diesen chaotischen Anblick hinreichend genossen, entdeckten sie einen neuen Golf, der ringsum mit einer Mauer von blutigrotem Granit umsäumt war. Das blaue Meer warf das Spiegelbild dieser scharlachfarbenen Felsen zurück.
»Ach, Julius!« stammelte Johanna; sie konnte von Bewunderung hingerissen keine anderen Worte finden. Es war ihr, als ob ihr die Kehle zugeschnürt СКАЧАТЬ