Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
isbn:
»Und der Mörder?« fragte Johanna.
Paoli Palabretti hustete lange, ehe er antwortete:
»Es gelang ihm, das Gebirge zu erreichen. Mein Bruder hat ihn später getötet. Nämlich mein Bruder Philippi Palabretti, der Bandito.«
»Ihr Bruder?« fragte Johanna schaudernd. »Ein Bandit?«
»Jawohl, Madame«, entgegnete der sanfte Korse mit stolzem Aufblitzen des Auges, »es war sogar ein ganz berühmter. Sechs Gensdarmen hat er niedergestreckt. Er starb mit Nicola Morali zusammen, als sie nach achttägigem Kampfe im Niolo umzingelt waren und beinahe vor Hunger umgekommen wären. – Das ist nun mal hierzulande nicht anders«, fügte er mit gleichgültigem Tone hinzu, ebenso wie er sagte: »Es ist die Luft im Tale, die einen erkältet.«
Sie kehrten hierauf zum Essen heim und die kleine Korsin behandelte sie, als ob sie schon seit zwanzig Jahren mit ihnen bekannt wäre.
Johanna wurde von peinlicher Unruhe gequält, ob sie auch in Julius’ Armen jene seltsame und heftige Liebe wiederfinden würde, die sie auf dem Moosteppich bei der Quelle am Morgen empfunden hatte.
Als sie allein im Zimmer waren, zitterte sie bei dem Gedanken an eine Enttäuschung. Aber es kam anders, und diese Nacht wurde im wahren Sinne des Wortes ihre Brautnacht.
Am anderen Morgen, als die Stunde der Abreise nahte, konnte sie sich kaum entschliessen, das kleine Haus zu verlassen, wo ihr ein neues Glück für sie aufgegangen zu sein schien.
Sie zog die kleine Frau ihres freundlichen Gastgebers ins Zimmer und versicherte ihr, dass sie ihr durchaus kein Geschenk machen wolle, sich aber glücklich fühlen würde, wenn sie ihr nach ihrer Rückkehr von Paris aus ein kleines Andenken schicken dürfte. Fast mit abergläubischer Hartnäckigkeit bestand sie auf der Übersendung dieses Andenkens.
Die junge Korsin sträubte sich lange und wollte absolut nichts annehmen.
»Nun gut«, sagte sie endlich, »schicken Sie mir eine kleine Pistole, eine ganz kleine.«
Johanna machte große Augen.
»Ich möchte meinen Schwager töten«, sagte sie ganz leise, ihr ins Ohr flüsternd, wie man Jemanden ein süsses Geheimnis anvertraut. Und unter fortwährendem Lächeln löste sie hastig die Binde von ihrem Arm und zeigte ihre runde weiße Hand, welche deutlich die Spuren von mehrfachen Dolchstichen aufwies.
»Wenn ich nicht ebenso stark wäre wie er, so hätte er mich umgebracht. Mein Mann ist nicht eifersüchtig; er kennt mich. Und zudem ist er krank, wissen Sie, und das lässt sein Blut nicht aufwallen. Übrigens bin ich eine ehrbare Frau, Madame! Aber mein Schwager glaubt alles, was man ihm sagt. Er ist eifersüchtig für meinen Mann und er wird sicher wieder von Neuem anfangen. Wenn ich indessen eine kleine Pistole hätte, wäre ich beruhigt und könnte mich vor ihm schützen.«
Johanna versprach, ihr die Waffe zu senden, küsste zärtlich ihre neue Freundin und setzte ihren Weg mit Julius fort.
Der Rest ihrer Reise verging ihnen wie ein Traum, wie ein endloser Liebesrausch. Sie hatte kein Auge mehr für Land und Leute; sie sah nur noch Julius.
Von nun an begann für sie jene kindliche liebliche Zeit der Liebeständelei, kleiner zarter Kosenamen, scherzhafter Neckereien, die Zeit, wo sie alles, was sie umgab und was sie genossen, mit einer besonderen Bezeichnung belegten.
Da Johanna auf der rechten Seite schlief, so war ihre linke Brust beim Erwachen zuweilen entblöst. Julius, der dies bemerkt hatte, nannte das den »Herrn Freischläfer«, während er die andere Seite als den »Herrn Verliebten« bezeichnete, weil dieselbe mit ihrer rosigen Knospe sich für seine Küsse empfindlicher erwies.
Jener Platz, wo Julius am liebsten und häufigsten bei ihr verweilte, wurde von ihnen »Mütterchens Allee« getauft; eine andere geheimnisvollere Stelle nannten sie den »Damas-Weg« zur Erinnerung an das Tal von Ota.
Als sie in Bastia anlangten, musste der Führer entlohnt werden. Julius griff in seine Tasche, konnte aber das Gewünschte nicht gleich finden.
»Da Du die zweitausend Francs Deiner Mutter doch nicht brauchst, so könntest Du sie mir zu tragen geben. Sie sind in meinem Gürtel besser aufgehoben, und ich brauche dann kein Geld wechseln zu lassen.«
Sie reichte ihm die Börse hin.
Hierauf reisten sie über Livorno, Florenz, Genua und besuchten das ganze Alpengebiet.
Bei einem heftigen Nordwest-Winde langten sie eines Morgens in Marseille an.
Man schrieb den 15. Oktober; seit ihrer Abreise von Peuples waren zwei Monate vergangen.
Johanna fühlte sich traurig; der heftige kalte Wind erinnerte sie an ihre Heimat, die Normandie. Julius schien seit einiger Zeit sehr verändert, müde und gleichgültig. Sie hatte Furcht, ohne zu wissen wovor.
Sie verzögerte ihre Heimreise noch um vier Tage, weil sie sich nicht entschliessen konnte, dies schöne sonnige Land zu verlassen. Es war ihr, als ob mit der Reise auch ihr Glück zu Ende ging.
Schliesslich fuhren sie ab.
Sie mussten noch in Paris alle ihre Einkäufe für ihren endgültigen Aufenthalt in Peuples besorgen. Johanna freute sich darauf, dank der wohlgefüllten Börse von ihrer Mutter, allerhand Wunderdinge mit heim zu bringen. Das erste aber, woran sie dachte, war die Pistole für die kleine Korsin in Evisa.
»Möchtest Du mir das Geld von Mama zurückgeben, Herz, damit ich meine Einkäufe machen kann?« sagte sie am Tage nach ihrer Ankunft zu Julius.
»Wie viel brauchst Du?« wandte er sich stirnrunzelnd zu ihr.
»Aber … so viel Du meinst,« stammelte sie überrascht.
»Ich werde Dir hundert Francs geben, aber verschleudere sie nicht« entgegnete er.
СКАЧАТЬ