Der Schreiberling. Patrick J. Grieser
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Название: Der Schreiberling

Автор: Patrick J. Grieser

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Der Primus

isbn: 9783947816040

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СКАЧАТЬ zum Essen. Der Nigger soll uns ein Festmahl kochen!«, rief Pickett seinen Männern zu. Die Männer grölten ihre Zustimmung, denn sie waren ebenso hungrig wie ihr Boss.

      Und so ritten Desmond Pickett und seine Bande zurück zu ihrem Stammhaus in den Wäldern.

      2

       Fast hundertfünfzig Jahre später in den Tiefen des Odenwaldes …

      Zwischen Reichelsheim und Michelstadt gab es eine Landstraße, die durch ein Feld-, Wald- und Wiesengebiet führte, das die Einheimischen liebevoll die »Hutzwiese« nannten. Woher der Name kam, konnte niemand wirklich erklären. Selbst der Präsident des Odenwälder Trachtenvereins konnte nur mit den Schultern zucken und darauf hinweisen, dass die Hutzwiese schon immer so geheißen hätte. Die Hutzwiese war eben die Hutzwiese! Dort lebten nur vereinzelt Menschen, die ihre Häuser in unmittelbarer Nähe der Landstraße bauten, denn die angrenzenden Areale waren weiträumig Naturschutzgebiete. Die Landstraße führte durch dichtes Waldgebiet, manchmal in engen Serpentinen, aber auch in langen Strecken, die einfach nur geradeaus verliefen. An einem der höchsten Punkte inmitten des Waldes lag das Gasthaus »Die vier Tannen«, ein beliebtes Ziel für alle Odenwälder, aber auch für Leute aus den angrenzenden Städten wie Darmstadt oder Frankfurt, war es doch für seine hervorragenden Wildgerichte bekannt (Wild, das direkt von den grünen Auen der Hutzwiese stammte). In dem Gasthof konnte man sonntags einfach mal die Seele baumeln lassen und die kulinarischen Besonderheiten des Odenwaldes genießen. Vergessen war für wenige Augenblicke der Stress des Alltags, dem die Stadtmenschen ausgesetzt waren. Allerdings hatte es auf der Landstraße schon viele Verkehrstote gegeben, denn die Besucher der Gaststätte achteten nicht auf ihren Alkoholkonsum. Zu verlockend war das Angebot an Rotweinen, insbesondere aus dem angrenzenden Groß-Umstädter Weingebiet. Und so kam es, dass viele Gäste die Heimreise in volltrunkenem Zustand antraten, der manchen unbeteiligten Autofahrer schon das Leben gekostet hatte. Aber auch Motorradfahrer blieben nicht verschont, denn die Serpentinen waren tückisch und der eine oder andere Raser war an einem der massiven Baumstämme mit seiner Maschine im wahrsten Sinne des Wortes zerschellt.

      Unterhalb der Gaststätte gab es in einer Kurve eine Reihe von Häusern, die offiziell zur Gemeinde Reichelsheim zählten. Es waren Bauernhöfe, aber auch Häuser, die im ländlichen Stil errichtet waren.

      In einem dieser einfachen Fachwerkhäuser lebte Hubert Arras, den seine Nachbarn gemeinhin als Sonderling abtaten. Jeder in Reichelsheim kannte den Hubert, denn er fiel auf, wenn man an ihm vorbeifuhr oder ihn in der örtlichen Tanzbar sah. Er selbst hatte sich den Spitznamen »Don Tiki« gegeben und bestand auch darauf, dass man ihn mit diesem Namen ansprach. Der Name stammte von einer weitgehend unbekannten Musikband aus Hawaii, die an eine exotische Welt aus den Fünfzigerjahren erinnerte, als jede amerikanische Stadt eine eigene Tiki-Bar hatte, die den Geist der geheimnisvollen Götter Polynesiens heraufbeschwor. Ähnlich wie »Die vier Tannen« boten diese exotischen Szenebars einen Rückzug aus der stressigen Alltagswelt in ein Paradies aus Harfenklängen, Bongos und anmutigen Hulatänzerinnen.

      Don Tiki war immer in Hawaiihemden gekleidet, wenn er auf den Straßen von Reichelsheim zu sehen war. Sein ganzer Kleiderschrank war voller Hemden, die meisten davon stammten aus den Textilfabriken von Reyn Spooner, die seit 1956 Original-Hawaiihemden in den verschiedensten Farben und Designs herstellten. Egal, welches Wetter herrschte, Don Tiki war auch im Winter mit kurzen Khakihosen anzutreffen. Seine Augen versteckte er hinter einer dieser großen Sonnenbrillen, wie sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren einst modern gewesen waren. Er besaß nur noch einen kleinen schütteren Haarkranz, der seinen kahlen Kopf umsäumte und Erinnerungen an die Tonsur eines Mönches erweckte. Ja, Don Tiki war ein Sonderling und ein Reichelsheimer Original! Die Leute erinnerten sich an den Freak, wo auch immer er auftrat.

      Nicht weniger sonderbar war auch sein altes Fachwerkhaus in der Hutzwiese, das seinen Eltern gehört hatte, die im vergangenen Sommer verstorben waren. Nach dem Tod der Eltern hatte er Haus und Hof nach seinen exotischen Wünschen verändert: Überall standen große Tiki-Masken, lang gezogene Schädel mit mythischen Fratzen, die die polynesischen Götter darstellten. An dem großen Hoftor hingen sogenannte Lei-Kränze aus künstlichen Blumen, wie man sie zur Begrüßung auf Hawaii geschenkt bekommt. Im Hof gab es mehrere Plastikpalmen, die so kitschig aussahen, dass sich den Nachbarn beim Anschauen die Fußnägel hochrollten. Am Abend brannten Ölfackeln vor der Einfahrt, die die Holzmasken der Tiki-Götter zum Leben erweckten. Viele Autofahrer bremsten ab, wenn sie an dem Fachwerkhaus von Hubert Arras vorbeifuhren, weil sie hofften, einen kleinen Einblick in eine kitschige Hinterwälderwelt zu bekommen, die so abnormal war, dass sie schon wieder faszinierte.

      Während des Sommers saß Don Tiki stets in seinem Hof, hatte eine Ukulele in den Händen, zupfte gedankenversunken ein paar Saiten (denn spielen konnte er nicht) und lauschte den hypnotischen Klängen der Tiki-Musik, die aus den Lautsprechern ertönte, die er überall angebracht hatte. Meistens hörte er Lieder von seiner gleichnamigen Lieblingsband, aber auch Stücke vom Godfather of Tiki-Music Martin Denny (dessen Bild natürlich in seinem Wohnzimmer hing). Les Baxter und Arthur Lyman durften auch nicht fehlen. Obwohl das Tiki-Gedudel den Nachbarn tierisch auf den Sack ging, hatten sie es aufgegeben, die Polizei zu rufen. Don Tiki war stur und ließ sich keines Besseren belehren. Sobald die Streife wieder weg war, schaltete er die Musik an und ließ sich von den schwingenden Rhythmen betören.

      In einer heißen Sommernacht kam es durchaus vor, dass er in seinem Liegestuhl mit einem Cocktail in den Händen einschlief und erst am frühen Morgen, wenn es wieder hell wurde, sein Bett aufsuchte.

      Es war eine jener Sommernächte, in denen Don Tiki sich vom Geist des Alkohols benebeln ließ. Zusammen mit seinem Freund Mike aus Beerfurth versuchten sie, ein paar Cocktails, wie etwa den berühmt berüchtigten »Long Island Ice Tea«, zu kreieren. Der viele Rum stieg Don Tiki schon sehr früh zu Kopf. Irgendwann fielen ihm die bleiernen Augenlider zu und er versank in einen traumlosen Schlaf. Er bemerkte nicht einmal, dass sein Kumpel Mike gegangen war, um den Heimweg nach Beerfurth anzutreten.

      Plötzlich riss ihn ein Knall aus seinem alkoholgeschwängerten Schlaf. Augenblicklich war er hellwach. Das halb volle Cocktailglas auf seinem Schoß wurde mit einer fahrigen Bewegung seiner Hand auf den Boden geschleudert und zersplitterte dort. Sein Herz klopfte bis zum Anschlag, und er brauchte einige Augenblicke, um sich zu orientieren. Das unbekannte Geräusch hallte wie ein Echo von den bewaldeten Bergen wider, bevor es ganz verstummte.

      Don Tiki erhob sich aus seinem Liegestuhl. Mit hastigen Schritten überquerte er den Hof seines Hauses und wäre um ein Haar gestolpert, da sein rechter Badeschuh auf dem unebenen Kopfsteinpflaster hängen blieb. Er passierte den Torbogen und blickte hinaus auf die Landstraße. Es war stockdunkel, kein Auto weit und breit. Die Häuser in der Nachbarschaft lagen in kompletter Dunkelheit.

      »Was zum Teufel …«, fluchte er und kratzte sich an seinem Stoppelbart. Sein Kopf schmerzte vom vielen Alkohol; er hörte das Blut in seinem Schädel rauschen. Die Umgebung lag in einer unheimlichen Stille. Don Tiki trat auf die Landstraße, blickte nach links und rechts, doch die Dunkelheit schien die nähere Umgebung förmlich verschluckt zu haben. Die einzige Straßenlampe am Wegrand funktionierte schon seit vielen Jahren nicht mehr. Wo ist Mike?, fragte er sich. Wahrscheinlich bin ich im Vollrausch eingeschlafen und Mike hat sich auf den Heimweg nach Beerfurth gemacht. Möglicherweise hatte sich sein Kumpel sogar von ihm verabschiedet, aber davon hatte er nichts mehr mitbekommen, da der Long Island Ice Tea seine Sinne benebelt hatte. Er nahm sich einmal mehr vor, das Trinken zu reduzieren. In der letzten Zeit war es eindeutig zu viel geworden. Er war langsam an dem Punkt angelangt, wo er sein Trinkverhalten nicht mehr unter Kontrolle hatte. Das musste jetzt aufhören! In einer Fernsehsendung hatte er einmal gesehen, dass Menschen halluzinierten während des Übergangs vom tiefen Schlaf zum Wachbewusstsein. Wahrscheinlich hatte sein Hirn ihm eine akustische Halluzination vorgetäuscht. Er wollte die ganze Sache schon abtun, als er das Leuchten in der Ferne im Wald sah. СКАЧАТЬ