Название: Das Licht ist hier viel heller
Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022747
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Spin und ich stapeln wahllos Titel aufeinander und tragen sie in mein Zimmer, wo wir sie unter das Bett schieben. Es ist das dümmste Versteck, aber ich bin mir sicher, dass niemand dort nachsehen wird. Ich nehme die Bücher, von denen ich weiß, dass sie signiert sind, und die, von denen ich denke, dass sie am meisten Geld bringen würden. Zum Schluss die zwei Romane, die Papa Mama geschenkt hat. Als wir fertig sind, grinsen wir uns an.
An meinem ersten Schultag am Gymnasium hat Papa mich bis zur Tür gebracht.
»Hineingehen kannst du ja ohne mich, oder?«, hat er gefragt, und ich habe genickt, elf Jahre alt und verstummt angesichts des großen Gebäudes, in das so viele Kinder strömten, von denen ich keines kannte. Wie sollte ich überhaupt meine Klasse finden?
»Gut«, hat Papa gesagt und in seine Jackentasche gegriffen auf der Suche nach seinen Zigaretten, er hatte gerade aufgehört zu rauchen, mal wieder, bloß waren seine Hände schneller als sein Gehirn.
Ich musste ohne Spin auf diese neue Schule gehen, erst ein Jahr später würde er mir folgen, ich musste allein mit dem Bus fahren jeden Morgen und mittags auch, und beim Gedanken daran, nicht mehr mit ihm gemeinsam zu Fuß zu gehen wie bisher zur Volksschule, stiegen mir Tränen in die Augen. Ich hatte das gemocht, besonders im Winter, wenn es morgens noch finster war und unsere Schritte im frischen Schnee den Eindruck erweckten, es gäbe nur uns beide.
»Heul doch nicht«, brummte Papa, und es hätte wohl gutmütig klingen sollen, aber er sah sich dabei mit diesem entschuldigenden Lächeln um, als wäre es ihm peinlich.
Ich hoffte, dass ich den richtigen Rucksack ausgesucht hatte und die richtigen Schuhe, das waren in den ersten Tagen die wichtigsten Dinge. Man konnte nie genau wissen, was gerade in oder wieder out war, besonders direkt nach den Ferien war das schwierig. Weil man da die Outfits der anderen ja noch nicht gesehen hatte, die Marken, die sie trugen, weil man nicht ahnte, ob sie neue Ausdrücke verwendeten, die man selbst erst einmal würde googeln müssen, um mitreden zu können. Ein Minenfeld, und ich hatte nur ein kleines Zeitfenster, dann wäre meine Rolle in der Klasse festgelegt für immer.
»Setz dich neben ein Mädel, das nett aussieht«, sagte Papa, »konzentrier dich auf die Lehrer, lass dich nicht ablenken und mach deine Aufgaben. Dann klappt das schon.«
Ich sagte nichts, er hatte halt einfach keine Ahnung.
»Du musst dir Mühe geben, es fliegt einem im Leben nichts zu«, er fuhr noch mal mit nervösen Fingern in seine Taschen, fluchte dabei leise, »besonders dir als Mädchen nicht. Du musst dich doppelt anstrengen, hast du gehört? Die Welt ist nicht gemacht für euch.«
Ich hatte gehört, verstand aber nicht, was er meinte.
»Hübsch bist du ja«, sagte er, »nur wird das nicht genügen, wenn was werden soll aus dir.«
Er wuschelte mir durchs Haar, schaute erschrocken und versuchte dann, meine Locken wieder in Form zu bringen. Für einen Moment ließ er die Hand auf meiner Wange, sie war trocken und warm. Er zog mich in eine Umarmung, die eigentlich keine war, weil er mich gleichzeitig auf Abstand hielt. Er roch nach Aftershave und Ungeduld.
»Ich hol dich nachher wieder ab, okay«, sagte er, »wir gehen Eis essen. Zur Feier des Tages.«
Als die Schule aus war, war Papa nicht da. Er hatte mich vergessen, aber das überraschte mich nicht. Ich hatte mir schon in der ersten Pause aus dem Ordner im Klassenzimmer die passende Busverbindung herausgesucht.
Später hält Mama eine Rede, die an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist. Sie ist beschwipst und rührselig, bedankt sich bei allen, die sie kennt, für die Unterstützung. Als ob irgendwer für sie da gewesen wäre. Ich meine, wirklich da gewesen. Abseits von den Kameras und den Likes. An den Abenden, an denen sie allein zuhause war, ungeschminkt, ungekämmt, mit Weinglas in der Hand und Einsamkeit im Blick.
Plötzlich spüre ich eine Hand, die sich um meine schließt.
»Da bist du ja«, raunt Stefan in mein Ohr.
Er drückt seine Lippen auf meinen Hals, ich lächle ihn an.
»Sorry«, flüstere ich, »so viele Leute.«
Er schiebt sich halb hinter mich, umarmt mich halb. Es ist wie immer, alles mit Stefan ist halb. Mama, die im Zentrum der Aufmerksamkeit und neben der Band steht, zieht Reto an sich und küsst ihn vor allen Leuten. Bestimmt hat sie gerade gesagt, wie gut er ihr tut und wie glücklich sie ist.
»Deine Mom ist so cool«, sagt Stefan.
Er lässt meine Hand nicht los. Ich gebe keine Antwort und betrachte die Geburtstagstorte. Sie ist ein dreistöckiges Gebilde mit viel Obst. Reto ist Fitnesstrainer und Veganer, und Mama ist hinter allem her, was im Trend ist. Früher hat sie manchmal Schokolade genascht, je süßer, desto besser, und wenn ich sie dabei erwischt habe, hat sie mir lachend auch ein Stück in den Mund geschoben.
»Kann ich dann hier bei dir schlafen?«, fragt Stefan, und ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört.
Während die Gäste klatschen und die Band Happy Birthday spielt, bitte ich ihn, mir was zu trinken zu holen, und verspreche ihm, derweil hier zu warten. Kaum ist er im Gedränge verschwunden, bahne ich mir einen Weg zur Verandatür. Papa steht allein draußen im Garten, wo ich ihn vermutet habe. Er lehnt am Zaun und sieht in die Dunkelheit. Er hat eine dicke Daunenjacke an, in der er fast verschwindet. So eine bräuchte ich auch.
»Hi«, sage ich.
»Hi«, sagt er.
An seinen Pupillen sehe ich, dass er was genommen hat, und da erfasst mich eine unerwartete Welle der Zuneigung. Er hätte sich wohl sonst nicht hergetraut.
»Auch auf der Flucht?«, fragt er, und ich könnte ihn fast sympathisch finden in diesem Moment.
Doch dann wendet er sich im selben Augenblick ab und trinkt sein Bier aus, als wäre er an meiner Antwort nicht interessiert. So ist das mit ihm. Er ist eine Tür, und ich probiere einen Schlüssel nach dem anderen, einen ganzen verfickten Schlüsselbund hab ich, und keiner passt. Nicht ein einziger.
Die Glasfront, die den Blick freigibt auf das rauschende Fest, haben wir im Rücken. Papa sieht nicht hin.
»Reto hat deine Bücher verkauft«, sage ich unvermittelt.
Papa СКАЧАТЬ