Название: Das Licht ist hier viel heller
Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022747
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Vorsichtig leckt Wenger mit der Zunge über das Blut auf seinen Lippen. Irgendwas ist da aufgeplatzt, und die Zähne tun ihm weh. Aber eigentlich, wenn er es nüchtern betrachtet, hat er gar nicht so viel eingesteckt. Er hat sich wacker geschlagen dafür, dass der Pflanzenfresser fünfundzwanzig Jahre jünger ist als er und als Fitnesstrainer arbeitet.
Die Prügelei war gleich vorbei, zwei Schläge hat er abbekommen, dann haben ein paar Gäste ihn und Reto auseinandergezerrt und festgehalten. Patrizia hat ihn beschimpft, er kann sich nicht erinnern, was sie gesagt hat. Dass er ein Arschloch ist, wahrscheinlich. Dass er ihren Geburtstag ruiniert hat, ziemlich sicher. Und dass er sich schleichen soll. Was er dann auch gemacht hat. Ein unschöner Abgang, die Meute hat sich geteilt, um ihn durchzulassen, er war voll mit Schlagobersersatz und Blut, alle haben ihn angestarrt. Und gefilmt, offensichtlich.
Er hat sich gefühlt wie ein Wilder, aufgeputscht vom Adrenalin, sein Herz hat gewummert, ein bisschen schwindlig war ihm. Und der Drang, weiter zuzuschlagen, der war gar nicht weg. Den hat er nur mithilfe seiner Vernunft unterdrückt. Eine rationale, erzwungene Entscheidung war das, sein Instinkt hätte ihm befohlen, noch mal draufzuhauen und noch mal. Bis in seine Finger hat es pulsiert, das Gewaltsame. Der Mensch ist, das hat er in dem Moment gemerkt, im Innersten triebgesteuert, impulsiv, zügellos. Er unterdrückt seine wahre Natur, was ihn viel Mühe kostet, er benimmt sich nach ausgedachten Regeln, hängt sich Krawatten um den Hals und lächelt, während er Hände schüttelt, die er lieber brechen würde, und dann reicht ein Satz, ein Blick, ein einziger Gedanke, und der Jähzorn schießt ihm ins Hirn, löscht jahrtausendealte Kultivierungsversuche, er biegt die Gitterstäbe der Zivilisation auf, heraus schießt das Raubtier.
Wenger schaut an sich hinab. Alles hängt. Alles strebt nach unten. Der Bauch, der Penis, die Haut. Die Schwerkraft zieht an ihm, zieht ihn runter, bis er in der Erde liegt irgendwann, dann erst ist sie zufrieden. Tiefer kann man nicht mehr sinken als ins Grab. Wie ein Raubtier sieht er nicht aus. Oder nur wie ein gealtertes, mit kahlen Stellen im Pelz, das nicht mehr richtig fressen kann, weil ihm die Zähne ausgefallen sind, das vom Rudel verstoßen wurde, damit es sich bitte einen Platz zum Sterben sucht.
Er hebt den Bademantel auf und zieht ihn an. Das Badezimmer ist klassisch weiß gefliest, hat ein Waschbecken, eine Duschkabine und den Charme eines Einbauschranks. Dass diese Neubauten auch immer so funktionell seelenlos sein müssen, man könnte glatt die Lebensfreude verlieren darin.
Im Schlafzimmer wühlt Wenger in der ruinierten Hose nach seinem Handy. Es ist 13.27 Uhr, er hat sieben Anrufe von Sebastian, sechs Nachrichten von Patrizia, zwei von Zoey. Er entsperrt das Handy nicht, lässt es aufs Bett fallen. Das wird er sich später anschauen und anhören oder vielleicht auch nicht, er weiß eh, was sie wollen von ihm. Seb hat ihm sicher Schimpftiraden auf die Mailbox gesprochen und gefragt, was da los war letzte Nacht. Zoey hat garantiert einen Screenshot geschickt von einem der Internetartikel und was Verarschendes dazugeschrieben, in dem das Wort peinlich vorkommt. Und Patrizia brüllt ihn bestimmt auf WhatsApp in Versalien an, dass er alles, wirklich ALLES VERSAUT HAT und sie froh ist, dass sie nicht mehr mit ihm verheiratet sein muss. Aber eingeladen hat sie ihn trotzdem. Wahrscheinlich aus Höflichkeit. Oder um ihm zu demonstrieren, wie gut es ihr geht ohne ihn.
Als er auszog, kurz nach diesem unsäglichen Weihnachtsfest, das sie noch zu viert verbrachten, wechselweise in eisigem Schweigen oder hitzigem Gekeife, untermalt von Last Christmas und Eierlikör, half sie ihm sogar, die Umzugskartons zum Auto zu tragen. So dringend wollte sie ihn loswerden.
»Wie oft musst du noch hin und her fahren?«, fragte sie genervt, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Ich würd lieber hierbleiben«, sagte Wenger.
»Am Arsch.«
»Du weißt, dass ich das ernst mein.«
Sie wischte seine Bemerkung mit einer ungeduldigen Bewegung weg.
»Du hast bloß keinen Umzugswagen gemietet, damit alles länger dauert. Damit du es rauszögern kannst.«
»Kannst du es mir verdenken?«
»Und damit du doppelt bemitleidenswert wirkst. Weil du so viel schleppen musst. Und von deiner fiesen Frau rausgeschmissen wirst.«
»Ist ja auch so!«
»Oder du hast aus Geiz keinen gemietet.«
»Ich bin nicht geizig, ich hab dir grad Diamantohrringe zu Weihnachten geschenkt.«
»Die kannst du dir sonst wo hinschieben, deine scheiß Ohrringe«, zischte sie, »die will ich sowieso nicht, ich geb sie dir zurück, dann hast ein Geschenk für die Susi und die Tatjana oder wie deine Miezen heißen.«
»Ich hab keine Miezen!«
»Verdammt, jetzt schleich dich endlich. Die Nachbarn haben schon genug gesehen.«
»Was interessieren mich die Nachbarn!«
»War dir doch immer wichtig, was die anderen über dich denken.«
»Wichtig warst mir nur du.«
Sie sah ihn so abschätzig an, der Blick ging Wenger durch und durch. Da war keine Zuneigung mehr darin, nicht einmal ein Fünkchen.
»Wär ich dir wirklich wichtig gewesen, Maximilian«, sagte sie, »stündest du jetzt nicht hier.«
Sie deutete auf das vollgepackte Auto und die Kisten daneben.
Dann ging sie zum Haus zurück, die Strickjacke eng um den Körper geschlungen.
»Du willst mich doch nur nicht mehr, weil mein Ruhm weg ist! Du warst bloß geil auf das Geld!«, rief er ihr hinterher.
Sie drehte sich nicht einmal um, hob nur die Hand und zeigte ihm über die Schulter den Mittelfinger.
Wenger seufzt. Die klebrige Hose und das Jackett stopft er in der Küche in den Müllsack, zu den Eierschalen und Tschickstummeln. Elisabeth wird das entsorgen, und wie er sie kennt, wird sie sich nicht dazu äußern. Bestimmt ist sie schon auf seine jüngste Eskapade angesprochen worden, beim Metzger und nach dem Gottesdienst, die sind alle gierig nach Informationen über ihren Bruder, wahrscheinlich hat sie gelächelt und etwas Diplomatisches gesagt oder gar nichts. Er sieht sich in der stillen Wohnung um. Er bräuchte ein Radio, irgendwas, das die Geräuschlosigkeit durchbricht, und sei es nur mit pseudofröhlichem Gerede und Hitparadengedudel. Er schaltet den Fernseher ein, sieht aber gar nicht hin, er will bloß Stimmen hören, damit das Leise ihn nicht niederdrückt.
Er schaut in den Kühlschrank. Elisabeth hat Frittaten gebracht und Rindssuppe, aufgeschnittene Semmelknödel, Geschnetzeltes mit Schwammerln und Grießkoch mit Kirschkompott. Die Wohnung hat sie auch geputzt, sogar die Fenster, aber bis die Kinder nächstes Wochenende zu ihm kommen, wird es nicht sauber bleiben. Wenger hofft, dass seine Schwester vorher noch mal den Wischer in die Hand nimmt. Die Mitleidsblicke von Spin und Zoey hat er nämlich satt. Und dass sie bei ihm herumhocken, auch. Weil sie sich sowieso nur langweilen. Weil sie auf seine freundlichen Fragen mit genervten Schnaufern antworten, untrennbar verbunden mit ihren leuchtenden Smartphones, und die Minuten zählen, bis sie wieder wegkönnen. Er versteht nicht, wieso sie überhaupt kommen, er hätte seinen Vater nicht besucht in dem Alter, ums Verrecken nicht. СКАЧАТЬ