Название: Das Licht ist hier viel heller
Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022747
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Einer der Catering-Typen hält mir ein Tablett mit kleinen Tomaten-Bruschette unter die Nase. Mama würde nicht wollen, dass ich abends Brot esse, deswegen nehme ich gleich zwei. Es ist dunkel geworden, der Wolfgangsee ein schwaches Schimmern. Es hat null Grad, und die Leute finden es exzentrisch, eine Gartenparty im März zu feiern. »Im Sommer kann ja jeder«, sagen sie und: »Trixie ist eben immer für was Besonderes gut.« Morgen, beim Frühstück zuhause, werden sie jammern, wie kalt es gewesen sei und wie verrückt, zu seinem Vierzigsten in die Sommerresidenz einzuladen, wenn Winter ist. Man darf den Menschen nicht trauen, und was sie einem ins Gesicht sagen, das darf man nicht glauben. Alles an ihnen ist fake, ihre Worte, ihr Lächeln, ihre Gefühle.
Zwei Pressefotografen habe ich gesehen und einen Kerl mit einer Filmkamera. Ich frage mich, ob Mama diese Leute extra eingeladen hat, damit sie in den Klatschspalten auftaucht, strahlend im roten Kleid, Arm in Arm mit Reto, oder ob jemand die geschickt hat. Die Magazine und Gossip-Websites sind geil auf sie, und das liegt nicht an ihrem Alter, sondern an dem von Reto. In der Hinsicht hat sie alles richtig gemacht, als Onlinemedienprofi weiß sie, wie man im Gespräch bleibt. Zuerst die hässliche Scheidung, das viele Geld, die Häuser, die Sorgerechtsfrage. Und dann der neue Mann an ihrer Seite. Sie hat ihn auf einer Gala präsentiert, auf irgendeinem roten Teppich in Berlin, wo ein Blitzlichtgewitter über sie niederging. Wenn ich im Mai achtzehn werde, bin ich von Reto genauso weit entfernt wie sie, elf Jahre. Sie ist vierzig, er neunundzwanzig.
»Es ist Liebe«, hat sie in die Kameras auf dem roten Teppich gesagt.
Da hab ich ihn zum ersten Mal gesehen, im Fernsehen.
Eine Woche später wohnte er bei uns.
Ich friere und gehe wieder rein. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Mama winkt und fuchtelt, bestimmt will sie die Schwesternnummer abziehen. Ich ignoriere sie und schließe die große Glasschiebetür. Drinnen ist die Musik der Liveband, die über Boxen in den Garten übertragen wird, viel lauter. Ein paar Gäste tanzen im Wohnzimmer der Villa, sie tanzen wie alte Leute, paarweise, mit Männerhänden an Frauensteißbeinen und aufeinander abgestimmten Schritten. Ich kann nicht so tanzen, und es fasziniert mich, dabei zuzusehen. Die Männerhände sind bestimmt schwitzig.
Papa steht mit einem Bier in der Hand an der Bar und redet mit niemandem. Er beobachtet Reto, der an der Wand lehnt und sich mit einer Schwarzhaarigen unterhält, tut dabei aber so, als würde er ihn nicht beobachten. Für Papa muss das sein wie für mich, wenn ich Maja sehe. Ich versuche dann auch immer, sie nicht zu sehen. Maja ist ein Jahr älter als Jonathan, geht aber in unsere Klasse, weil sie sitzengeblieben ist, und hat ein Auto. Sie trägt ständig eine Sonnenbrille, sogar wenn es regnet. Jeden Tag nach der Schule steigt er zu ihr ein, und dann schiebt sie die Sonnenbrille rauf in ihre Haare, um ihn zu küssen. Das ist so eine unbewusste, coole Bewegung, an der ich erkenne, dass sie eine von denen ist, die sich sicher sind.
Papa hat mich entdeckt und rührt sich nicht, doch er hat diesen flehentlichen Ausdruck im Gesicht. Ich mache eine Geste, die ausdrücken soll, dass ich aufs Klo muss, und gehe raus ins Vorzimmer. Ich muss gar nicht, aber ich kann jetzt nicht mit ihm reden.
Die Villa ist groß, ein protziger Kasten am See, mit einem eigenen Steg und einem Zaun, auf einer kleinen Anhöhe, mit Garten und zwei Balkonen, ein Haus, das man nur bekommen kann, indem man es erbt. Niemand, der bei Verstand ist, würde eine Residenz am Wolfgangsee verkaufen. Papa hat es einer Wiener Großtante zu verdanken, die noch vor meiner Geburt gestorben ist, doch das hat er nie jemandem erzählt. Er tut gern so, als wäre die Villa allein auf seinen Erfolg zurückzuführen, als hätte er das ganze Geld mit seinen Büchern verdient. Man hüllt sich über derartige Dinge in Schweigen. Man besitzt einfach.
Im Wohnzimmer ist alles weiß. Als ich ein Kind war, war das Haus gemütlich, mit viel altem Holz und wuchtigen Schränken, so groß, dass man sich verstecken konnte darin. Oft haben Spin und ich uns gemeinsam hineingezwängt, die Hände auf den Mündern, um nicht zu kichern, aneinandergedrängt in der Enge, die Muffigkeit hat sich mit dem Sonnenmilchgeruch unserer Haut vermischt, während Barbara nach uns gesucht hat. Später hat Mama auf Instagram gesehen, dass die Trendsetter dieser Welt es clean haben. Und da Spin und ich groß genug waren, um nicht mehr mit Schokoladenfingern alles zu beschmieren, hat sie unser geliebtes durchgesessenes Riesensofa gegen eine cremefarbene eckige Rauledergarnitur getauscht, in einem so merkwürdigen Format, dass man darauf weder bequem sitzen noch liegen kann, hat die Schränke rausreißen und weiß gestrichene Regale aufstellen lassen, in denen keine Bücher stehen, sondern silberne Schalen, die leer sind, und Figuren, bei denen man nicht erahnen kann, wo oben und wo unten ist. Die einzige Farbe in diesem Raum ist helles Türkis, als feines Muster auf den Dekokissen. Dann hat sie das restliche Haus umgestaltet, weil es nicht mehr zum Wohnzimmer passte, und niemand von uns wurde gefragt. Ich hatte die Sommer meiner Kindheit hier verbracht, mit Spin und Barbara, in einer endlosen Abfolge aus flirrendem Sonnenlicht, Wassermelone und träger Stille, das alles ist fort.
Ich habe gelesen, dass man in Finnland in einem Iglu aus Glas liegen kann, um die Polarlichter zu sehen. Im Kakslauttanen Arctic Resort in irgendeinem kleinen finnischen Ort oder vielleicht mitten im Wald stehen halbkugelförmige Glashäubchen, in denen man zweihundert Tage im Jahr den besten Blick in den von Farben durchschossenen Himmel hat. Angeblich ist das Glas frostsicher, und man schläft in Thermokleidung. Seit ich das weiß, starre ich manchmal nachts auf die Zimmerdecke, an der es kein einziges buntes Licht gibt, und frage mich, warum ich hier bin und nicht dort. Ich stelle mir vor, dass ich allein wäre, umgeben von Dunkelheit und Schnee und Ereignislosigkeit. Ich könnte mir die Polarlichter anschauen, sonst nichts, ich müsste mit niemandem sprechen.
»Stefan sucht dich«, sagt Spin und legt mir die Hand auf die Schulter.
Der Körperkontakt mit Spin ist in Ordnung. Das sind Berührungen, die an der richtigen Stelle ankommen und nicht zu lange dauern.
»Ach«, mache ich.
»Der arme Kerl irrt seit einer Stunde herum und findet dich nicht.«
»Ach«, mache ich wieder.
Spin schmunzelt.
»Jetzt ist niemand oben«, sagt er, »wir könnten die Bücher verstecken.«
Wir gehen die Treppe hinauf. Mein Zimmer, Spins Zimmer, Schlafzimmer, Gästezimmer, ein drittes Bad, noch ein Gästezimmer und Papas Bibliothek. Während Mamas Umgestaltung haben sie darüber am meisten gestritten. Mama wollte die alten Bücher loswerden, »etwas Kreatives« mit dem Raum machen, und Papa wehrte sich.
»Dass hier die großartigsten Geschichten der Weltliteratur versammelt sind, ist ja wohl kreativ genug!«, tobte er.
Um die anderen Räume scherte er sich nicht, er hielt sich ohnehin fast nie am Wolfgangsee auf, auch nicht, als wir noch Kinder waren. Er erwähnte die Villa nur beiläufig in seinen Gesprächen, und ebenso beiläufig besuchte er sie auch. Aber seine Sammlung war ihm heilig.
»Da sind wertvolle Stücke dabei!«, hat er geschrien. »Du bist so eine Ignorantin, man sollte dir den Studienabschluss aberkennen!«
Nach der Scheidung haben sie vereinbart, dass er die Bücher abholen und einlagern lässt, СКАЧАТЬ