Das Licht ist hier viel heller. Mareike Fallwickl
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Название: Das Licht ist hier viel heller

Автор: Mareike Fallwickl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783627022747

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СКАЧАТЬ Inzwischen bist du alt. Du hast mehr als die Hälfte der Zeit verlebt, die dir gegeben ist. Du hast manche Chancen genutzt, andere übersehen. Du hast Kinder bekommen, ein Haus gebaut, gearbeitet, geschlafen, gegessen, selten getanzt, ins Leere gestarrt mit dem Zweifel im Kopf, ob das alles war. Bin ich dir jemals nah genug gekommen, um einen Abdruck zu hinterlassen? Denkst du noch an mich, plagt dich das Gewissen, fragst du dich, was mit mir geschehen ist?

       Ich hab dich geliebt, lass mich das einmal aufschreiben. Lass mich alles einmal aufschreiben. Ich schreibe es weg von mir, raus aus mir, runter von mir. Vielleicht fühle ich mich dann endlich wieder sauber. Vielleicht fühle ich mich dann endlich wieder.

       Ich habe Angst vor dem Moment, in dem ich abends den Kopf niederlege. Ich fürchte mich nicht vor dem Aufwachen, auch nicht vor dem Tag mit all den Stunden, die sich vor mir auftürmen. Sie lassen sich füllen, und solange ich mich bewege, mich mit Menschen umgebe und ihnen zuschaue, gelangt keine Empfindung zu mir. Ich kann durch die Gassen schlendern, ich kann in einem Café sitzen und leise lächeln, ich kann aufs Meer schauen und mir vorstellen, wie salziges Wasser in meine Lunge dringt. Aber nachts bin ich verloren, mein Segel zerreißt. Sobald mein Kopf das Kissen berührt, fließt alles aus ihm heraus. Wie silbernes, mit einer Flüssigkeit verrührtes Pulver, Blut ist es nicht, oder vielleicht doch. Es rinnt an mir herunter, es ist kalt, und wo es mit meiner Haut in Kontakt kommt, hinterlässt es Wunden, wie Gefrierbrand. Jeden Abend atme ich voller Furcht in dieser Stadt, in der ich nicht zuhause bin, und wage nicht, mich zu rühren, denn dann würde ich das Silberne verteilen, immer weiter verteilen. Ich habe keinen Einfluss auf die Bilder, die mein Kopf hineinprojiziert in die Dunkelheit.

       Ich sehe, was sie getan haben.

       Ich warte auf den Schlaf. Er ist nicht mein Gegner, aber auch nicht mein Freund, und mit den Menschen ist es nicht anders. Ich habe nie zu den Frauen gehört, die sich Sprachlernkalender in die Küche hängen und glauben, eines Tages müssten sie nicht mehr dort stehen und Rindfleisch schneiden, eines Tages würde das wahre Leben kommen und sie abholen. Jetzt ist es eine ganz andere Art von Frauen, zu denen ich gehöre.

       Was bleibt von einem Menschen, wenn man ihm alles nimmt, seine Sprache, seine Umgebung, seine Gewohnheiten, sein Selbstverständnis, wer ist er dann, zurückgeworfen auf sich selbst? Das Licht ist hier viel heller, obwohl das Meer es gierig verschluckt.

       Bis zu meinen Zähnen ist mein Mund angefüllt mit Wut.

      #partyhard

      »Ziehst du das Kleid an, das ich dir gekauft hab?«

      »Nein.«

      Mama dreht sich um und sieht mich erstaunt an. Das hat sie nicht erwartet. Ihre Party, ihre Wünsche. So ist das in ihrem Kopf.

      »Ich seh darin aus, als wäre ich nackt.«

      »Ach, Blödsinn. Nude-Töne sind total angesagt. Wir hatten auf Moutou gerade einen Beitrag über Pastellfarben.«

      »Das ist mir egal, ich zieh es nicht an.«

      »Es ist von Ralph Lauren, es war teuer.«

      »Und wenn ich mit Edding einen Strich in den Schritt male, sieht es aus, als hätte ich einen Landingstrip. Willst du, dass alle deine siebzehnjährige Tochter anstarren und sich Gedanken über ihre Intimrasur machen?«

      »Ist das deine Art, mit deiner Mutter zu reden?«

      Sie macht die Schnute, drückt das Kleid an sich.

      »Dann behalt ich es eben selbst«, sagt sie.

      »Kannst es ja als Nachthemd anziehen.«

      Jetzt wird sie gleich sauer, ich sehe es in ihrem Gesicht. Die Falte zwischen ihren Augen verfügt über verschiedene Tiefengrade, ich kenne das Spiel ihrer Brauen und Mundwinkel. Nicht nur lesen kann ich ihre Launen, steuern kann ich sie auch. Ich weiß, welche Knöpfe ich drücken muss, damit es bei ihr raufknallt wie bei Hau den Lukas am Kirtag. Sie wieder runterzuholen ist ein bisschen schwieriger, aber auch dafür gibt es Triggerwörter. Und Entschuldigungen. Und Geschenke.

      »Nur heute, Chloé, okay? Das wirst du doch wohl hinkriegen. Heute ist mein Geburtstag, da will ich nicht streiten.«

      Ich könnte alles noch schlimmer machen, sagen, dass sie das Kleid sicher bloß von einem Shooting hat, dass es wohl niemand sonst mitnehmen wollte, aber ich schweige. Dann zwinge ich mich zu einem Lächeln. Die Leute sagen, ein Lächeln tue niemandem weh, doch das stimmt nicht.

      »Ach«, sie zupft an den kurzen Haaren hinter meinem linken Ohr, »schade um deine schönen Locken. Du warst so hübsch!«

      Sie legt die Hand auf meinen ausrasierten Nacken, der bis vor zwei Tagen noch bedeckt war von einer üppigen blonden Rapunzelwelle.

      »Du siehst fremd aus«, sagt sie.

      »Ich sehe nicht mehr aus wie du«, entgegne ich.

      Ihre eigenen Locken hat sie auf spezielle Wickler gedreht, damit sie voluminöser werden, die Party beginnt in zwei Stunden. Ihre Nägel sind schon lackiert, geschminkt hat sie sich noch nicht. Sie wird besonders viel Make-up nehmen heute, da bin ich mir sicher, das gute, teure Zeug, damit niemand merkt, dass sie jetzt vierzig ist. Alle werden ihr sagen, dass sie keinen Tag älter aussieht als neunundzwanzig, sie wird abwinken und lachen dabei, die Komplimente aber aufsaugen wie Atemluft. Ihr Kleid wird eng sein und zu kurz, nur einen Tick zu kurz, sodass es noch als schick durchgeht. »Man könnte euch für Schwestern halten« wird der Satz sein, den ich am häufigsten zu hören bekomme. Sie wird lachen, jedes Mal, und mich festhalten, direkt neben ihr, sodass man uns gut vergleichen kann, gegen meinen leichten Widerstand drücken, ohne ein Wort zu sagen. Ich werde die Zähne sehr fest aufeinanderbeißen, damit mein Mund nicht aufgeht.

      Sie seufzt und macht einen Schritt zurück. Wir haben uns zwei Stunden lang angeschrien, als ich vom Friseur zurückgekommen bin. Seither herrscht eine Art erschöpfte Waffenruhe, die wir aufrechterhalten, weil sie Geburtstag hat. Und über hundert Gäste erwartet, die sich nicht fragen sollen, warum ihre Tochter aussieht, als hätte sie geweint.

      »Soll ich dir die Nägel machen?«, fragt sie und beäugt kritisch meine Hände.

      »Die bleiben so«, antworte ich.

      »Du könntest so viel aus dir –«

      »Mama«, falle ich ihr ins Wort, »du wolltest doch nicht mehr streiten.«

      »Schon gut«, sagt sie eingeschnappt und wendet sich zum Gehen. »Komm in einer halben Stunde runter in den Garten, du musst mir mit den Lampions helfen.«

      »Es ist März«, murmle ich.

      Als sie halb aus der Tür ist und ich das Gefühl habe, wieder Luft zu bekommen, schaut sie über die Schulter zu mir: »Und zieh dich um, du sollst doch schön aussehen heute Abend.«

      Das ist es, was sie will. Noch mehr aber will sie schöner sein als ich.

      Als ich sieben Jahre alt war, habe ich gebrannt. Das war in der Volksschule, ich ging in die zweite Klasse. Im Religionsunterricht haben wir einen Sesselkreis gebildet. Hinter mir stand eine Osterkerze, und ich weiß noch, dass ich mich plötzlich wunderte über den Geruch. Er war angesengt, aschig. Ich spürte nichts, noch nicht. Meine langen Locken СКАЧАТЬ