Название: Das Licht ist hier viel heller
Автор: Mareike Fallwickl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022747
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»Ich hab die Schokolade gekauft, die du so gernhast«, ruft sie aus der Küche, und sie bräuchte gar nicht zu schreien, die Wohnung ist ja nicht groß. Sie taucht im Türrahmen auf und wedelt mit zwei großen Nougattafeln. Immerzu wedelt sie mit irgendwas. Wenger gießt sich einen neuen Gin Tonic ein. Er sollte jetzt Danke sagen, sie wartet auf ein Danke, er sieht es an ihrem Gesicht. Sie schaut ihn so direkt an. Er nickt. Elisabeth legt ein Lächeln über ihre Enttäuschung. Das kann sie, das ist sie gewohnt. Das macht sie schon ihr ganzes Leben lang. Sie dreht sich um, packt weiter die Einkäufe aus.
»Ich hab dir Gulasch gekocht«, ruft sie, »und Reisfleisch und Sellerieschaumsuppe. Ist wieder alles beschriftet.«
Er hört, wie sie die Plastikbehälter in den Kühlschrank schiebt. Auf jedem klebt ein kleiner Zettel mit ihrer sorgfältigen, runden Schrift, manchmal malt sie kleine Herzen oder Smileys dazu, und dann schafft er es kaum, das Essen runterzuschlucken, weil so viel in ihm aufsteigt. Sie hat aufgehört, ihm frische Zutaten zu kaufen, nachdem er alles vergammeln hat lassen. In den ersten zwei Wochen hat sie die verschimmelten Tomaten und Karotten entsorgt und die Nase über den McDonald’s-Schachteln gerümpft, dann ist sie dazu übergegangen, ihm fertige Mahlzeiten zu bringen.
Und es ist unmöglich, die Gerichte nicht zu essen. Zum einen, weil Elisabeth eine fantastische Köchin ist, da kann kein labbriger Burger mithalten, zum anderen, weil der Hunger stärker ist als der Stolz. Spätestens in der Nacht übernimmt sein knurrender Magen die Kontrolle. Auch einer, der sich aufgegeben hat und um den sich keiner mehr schert, hat noch Hunger.
»Ich mag keinen Sellerie«, sagt Wenger.
Elisabeth packt die leeren Tupperdosen ein, die in der Küche rumstehen, er hat sie nicht mal abgewaschen. Sie kommt ihm entgegen, schnauft erschöpft. Er sollte ihr einen Kaffee anbieten, sie fragen, ob sie sich setzen will. Er sollte mit ihr reden. Bevor Patrizia ihn rausgeworfen hat, hat er einmal in der Woche mit seiner Schwester telefoniert, und das sogar gern. Am Telefon funktionierte ihre Beziehung, meistens rief er sie aus dem Auto an, erzählte, wohin er gerade fuhr, was er dort tun würde, hörte sich die Geschichten über die Jugendlichen in ihren Klassen an, die ständig was beschädigen, weil sie selber so kaputt sind. Aber wenn sie ihm gegenübersteht, kommen nur Bosheiten heraus aus ihm, weil er permanent Angst hat, dass sie herkommt und ihn in die Arme nimmt, und dann.
»Nächstes Mal back ich dir Palatschinken, die kannst du als Frittaten essen«, sagt sie und lächelt wieder, »dazu mach ich dir eine gute Rindssuppe.«
Wenger schaut auf ihren üppigen Busen in dem hellblauen Strickkleid. Dick ist Elisabeth nicht, aber dünn auch nicht. Eine hübsche Frau Ende fünfzig, er versteht nicht, warum sie keinen Mann gefunden hat. Sie ist gebildet und kann kochen, eine von den Guten, die einem nicht von einem Konkurrenten ausgespannt wird, weil es gar keine Konkurrenz gibt, die einem treu bleibt bis zum Tod. An ihren Zähnen ist ein bisschen Lippenstift. Als Wenger das sieht, rührt es ihn, und diese Rührung macht ihn aggressiv.
»Bin ich dein neues Betreuungsobjekt?«, giftet er. »Oder dein Ersatzkind, weil du keins kriegen hast können?«
Für einen Augenblick zuckt ein alter Schmerz durch ihre Augen, und ihm ist klar, dass er sie dort getroffen hat, wo er sie treffen wollte. Gut fühlt es sich trotzdem nicht an.
»Du bist mein Bruder«, sagt sie.
»Du tust, als wär ich ein halbverrecktes Tier, das du aufpäppeln musst, weil es sich was gebrochen hat.«
»Dein Herz ist gebrochen«, entgegnet sie ohne Ironie.
Wenger macht ein ächzendes Geräusch. Er hat nicht gefrühstückt, und jetzt ist er betrunken. Er möchte sich hinsetzen und das Gesicht in die Hände legen, doch es besteht die Gefahr, dass er dann anfängt zu weinen.
»Das freut dich doch«, zischt er. »Endlich bin ich wieder der Schwächere, der dich braucht.«
Elisabeth zieht die Schultern hoch und lässt sie wieder fallen, als könnte sie seine Worte abschütteln. Sie greift nach ihrem Mantel und schlüpft hinein.
»Jetzt stehst du nicht länger in meinem Schatten«, setzt er hinzu, in der Hoffnung, dass sie mit ihm zu streiten anfängt. Er würde sehr gern streiten, herumschreien, die Tür hinter ihr zuknallen, Dampf ablassen, diese hitzige Leere spüren, in die sich sofort ein bisschen Reue mischt, nachher.
»Weil ich nicht mehr auf der Sonnenseite des Lebens bin«, macht er weiter und findet das Wortspiel recht gelungen, aber er merkt, dass Elisabeth seine Provokationen abprallen lässt an ihrer Fettschicht, an ihrer Gutmütigkeit, ihrer Nachsicht.
»Ich hab’s eilig«, sagt sie, »beim alten Steiner schaut’s nicht gut aus. Ich fahr zu ihm, damit wer da ist, wenn er stirbt.«
Wenger bleibt der Mund offen stehen, die Gehässigkeiten fallen ihm ungesagt von der Zunge. Jetzt hat sie den Streit gewonnen, ohne überhaupt gestritten zu haben. Im Vorbeigehen tätschelt sie seinen nackten Oberarm, die Berührung fühlt sich rau an. Er würde gern wissen, ob sie noch so riecht wie früher.
Die Tür fällt ins Schloss.
Wenger zieht seine Hose an, kratzt an dem eingetrockneten Fleck. Es ist sehr still. Er setzt sich aufs Sofa, der Stapel mit der Post fängt an zu rutschen, die Prospekte gleiten auf den Boden. Wenger sieht zu, versucht nicht, sie aufzuhalten. Obenauf liegt ein kleiner weißer Umschlag mit Handschrift. Wer schreibt denn heutzutage noch Briefe? Wenger nimmt ihn, dreht ihn um. Es steht kein Absender darauf, adressiert ist er an Albert Trattner. Das ist der Kerl, der vor ihm hier gewohnt hat. Wenger sieht sich um, als würde er beobachtet, reißt den Brief dann auf. Das Ratschen ist laut wie ein Vorwurf, und Wenger weiß, dass er nicht tun sollte, was er da tut. Die Post eines anderen zu lesen sollte man sich zweimal überlegen, man weiß ja nie, was einen da erwartet. Wenger ist so alt, dass ein Brief noch Bedeutung hat für ihn, weil es ein echtes Schriftstück ist, in das jemand Worte eingewebt hat und das Tage gebraucht hat statt Sekunden, um anzukommen. Aber die Neugier siegt über den Respekt. Zwei einzelne Blätter. Die Schrift ist gleichmäßig, leicht nach rechts geneigt, an manchen Stellen seltsam verschoben, als hätte die Hand gezittert. Er sieht ans Ende, es gibt keine Unterschrift. Dann liest er die Zeilen, und ein Gewicht legt sich auf seine Brust, drückt ihm auf die Haut und auf die Rippen, bis er kaum noch Luft bekommt. Er ist zu überrascht, um sich zu schützen. Es zerrt in ihm, genau dort, wo die Menschen ungern hinschauen, weil sie da nicht sehr schön sind. Als er den Brief sinken lässt, kann er vor Erregung nur langsam und flach atmen. Es ist absurd und merkwürdig, vielleicht sogar bedenklich, aber jetzt steht er, sein Schwanz. Jetzt steht er.
März 2017
Erinnerst du dich, dass Worte scharf sein können wie Messer? Weißt du noch um ihre Macht, um diese Schlingen, die sich auf dich legen, mit Eisenspitzen, die dir die Haut aufbrechen und die Knochen? Ich will eine Schlinge sein, ich will ein Messer sein, in Eisen gegossene Unbarmherzigkeit. Ich will dich aufbrechen, ich habe zu lange geschwiegen. Öffne deine Augen. Schau her. Schau nicht mehr weg. Jetzt СКАЧАТЬ