Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Ich habe etwas Gepäck auf der Station in Bramblehurst«, sagte er und fragte sie, wie er es holen lassen könne. Ganz höflich neigte er das verbundene Haupt zum Danke für ihre Erklärung. »Morgen!«, sagte er. »Kann es nicht früher sein?«, und schien enttäuscht, als sie verneinte. »Ob sie dessen ganz sicher sei? Könnte es nicht jemand mit einem Handwagen abholen?«
Bereitwillig beantwortete Mrs. Hall seine Fragen und suchte hierauf ein Gespräch in Gang zu bringen. »An der Düne läuft die Straße steil hinab, mein Herr«, erklärte sie in Beantwortung seiner Frage bezüglich des Handwagens. Dann fügte sie, froh einen Anknüpfungspunkt gefunden zu haben, hinzu: »Vor einem Jahr oder noch länger warf dort ein Wagen um, ein Reisender und der Kutscher blieben tot. Ein Unglück geschieht oft im Handumdrehen, nicht wahr?«
Aus dem Fremden war jedoch nicht so leicht etwas herauszubringen. »Das stimmt«, sagte er hinter dem Tuch hervor, Mrs. Hall durch die undurchdringlichen Augengläser unverwandt betrachtend.
»Aber die Heilung dauert zuweilen gar lang, nicht wahr? Mein Schwestersohn schnitt sich mit der Sense in den Arm – er stolperte nämlich im Heu über sie – und musste wahrhaftig volle drei Monate in einem Gipsverband liegen. Sie werden es kaum glauben. Seither habe ich einen heiligen Schreck, wenn ich eine Sense zu Gesicht bekomme.«
»Das kann ich ganz gut verstehen«, sagte der Fremde.
»Wir fürchteten eine Zeit lang, dass er operiert werden müsse, so schlimm stand es mit ihm.«
Der Gast lachte kurz auf – ein bellendes Lachen, das er im Munde zu kauen schien. »Wirklich?«, fragte er.
»Ganz gewiss, mein Herr. Und für diejenigen, die ihn pflegen mussten, wie ich – meine Schwester hatte mit ihren Kleinen so viel zu tun – war nichts zu lachen dabei. Verbände anlegen und Verbände abnehmen – so, wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, es zu sagen, mein Herr –.«
»Wollen Sie mir Zündhölzchen bringen«, unterbrach sie der Fremde unvermittelt. »Meine Pfeife ist ausgegangen.«
Mrs. Hall verstummte. Eine solche Taktlosigkeit, während sie ihm soeben erzählte, was sie alles getan hatte. Sie hatte schon den Mund zu einer scharfen Entgegnung geöffnet, als sie sich noch rechtzeitig der beiden Goldstücke erinnerte und nach den Zündhölzern ging.
»Danke«, sagte er mit unhöflicher Kürze, als sie die Schachtel niederstellte, drehte ihr den Rücken und starrte wieder zum Fenster hinaus. Das Gespräch über Operationen und Verbände war ihm sichtlich unangenehm. So kam sie schließlich davon ab, sich »die Freiheit zu nehmen, zu sagen –« Aber sein abweisendes Benehmen hatte sie in eine gereizte Stimmung versetzt und Millie musste das an jenem Nachmittag büßen.
Bis 4 Uhr blieb der Fremde im Gastzimmer, ohne Mrs. Hall auch nur den Schatten eines Vorwandes zum Hineingehen an die Hand zu geben. Während dieser Zeit verhielt er sich meist ganz still: er schien in der zunehmenden Dunkelheit rauchend, vielleicht schlummernd, beim Feuer zu sitzen. Ein- oder zweimal hätte ihn ein neugieriger Horcher beim Kohlenkessel hören können, und fünf Minuten lang ging er im Zimmer auf und ab. Er schien mit sich selbst zu sprechen. Dann hörte man den Lehnstuhl krachen, als er sich wieder niederließ.
2. Kapitel – Mr. Teddy Henfreys erste Eindrücke
Um 4 Uhr – es war schon ziemlich dunkel, und Mrs. Hall nahm eben ihren Mut zusammen, um ins Gastzimmer zu gehen und den Fremden zu fragen, ob er Tee wünsche – kam Teddy Henfrey, der Uhrmacher, ins Wirtshaus.
»Bei Gott, Mrs. Hall«, sagte er, »ein böses Wetter für dünne Stiefelsohlen!«
Der Schnee fiel draußen immer dichter.
Mrs. Hall war derselben Ansicht und bemerkte dann, dass er seinen Werkzeugkasten bei sich hatte. »Da Sie einmal da sind, Mr. Henfrey«, meinte sie, »wäre es mir lieb, wenn Sie sich die alte Uhr im Gastzimmer ein wenig ansehen wollten. Sie geht zwar gut und schlägt auch laut und richtig, aber der Stundenzeiger zeigt immer auf sechs.«
Und sie ging voran zur Gastzimmertür, pochte und trat ein.
Als sie die Tür öffnete, sah sie ihren Gast im Lehnstuhl vor dem Feuer sitzen; den verbundenen Kopf zur Seite geneigt, schien er zu schlummern. Das Licht im Zimmer ging von der roten Glut des Feuers aus. Alles erschien ihr rötlich, schattenhaft und undeutlich, besonders da sie kurz vorher die Lampe in der Schankstube angezündet hatte und ihre Augen noch geblendet waren. Aber eine Sekunde lang schien es ihr, als ob der Mann, den sie vor sich sah, einen ungeheuren, weit geöffneten Mund habe, einen unglaublich großen Mund, der den ganzen unteren Teil seines Gesichts wegnahm. Es war der Eindruck eines Augenblicks: der weißverbundene Kopf, die riesige Schutzbrille und diese ungeheure, gähnende Leere darunter. Dann machte er eine Bewegung, fuhr von seinem Stuhl auf und hob die Hand empor. Sie riss die Tür weit auf, sodass das Licht von außen ins Zimmer drang und dann sah sie ihn deutlich, mit dem Halstuch vor dem Gesicht, gerade wie er vorher die Serviette gehalten hatte. Sie dachte, die Schatten müssten ihr Spiel mit ihr getrieben haben.
»Wäre es Ihnen unangenehm, mein Herr, wenn der Mann hier die Uhr ansehen würde?«, fragte sie, sich von ihrer augenblicklichen Verwirrung erholend.
»Die Uhr ansehen?«, wiederholte er, verschlafen um sich blickend, hinter der Hand hervor. Dann wurde er vollends wach und sagte: »Meinethalben!«
Mrs. Hall holte die Lampe und er stand auf und reckte sich. Dann kam das Licht, Mr. Teddy Henfrey trat ein und stand der vermummten Gestalt gegenüber. Er war, wie er später sagte, ganz betroffen.
»Guten Abend!«, sagte der Fremde, indem er Mr. Henfrey, wie dieser in Anspielung auf die ungeheuren Brillengläser angibt, »wie ein Hummer« anglotzte.
»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte Mr. Henfrey.
»Durchaus nicht«, versetzte der Fremde. »Obgleich ich annehme«, fuhr er zu Mrs. Hall gewendet fort, »dass dieses Zimmer ausschließlich für meinen Privatgebrauch bestimmt ist.«
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