Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Kann ich Ihnen Hut und Rock abnehmen, mein Herr, und sie in der Küche trocknen?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er, ohne sich umzuwenden.
Sie war nicht sicher, ob er sie verstanden hätte, und wollte schon ihre Frage wiederholen.
Da wandte er den Kopf und sah sie über die Schulter hinweg an. »Ich ziehe es vor, sie anzubehalten«, erklärte er mit Nachdruck, und sie konnte bemerken, dass er eine große, blaue Brille trug und ein buschiger Backenbart seine Wangen vollkommen bedeckte.
»Gut, mein Herr«, sagte sie, »wie’s gefällig ist. Das Zimmer wird gleich warm werden.«
Er hatte sich wieder abgewandt und antwortete nicht. Da Mrs. Hall fühlte, dass die Zeit zur Anknüpfung eines Gespräches nicht gut gewählt sei, vollendete sie rasch und geräuschlos das Decken des Tisches und huschte hinaus. Als sie zurückkehrte, stand er noch an derselben Stelle, wie aus Stein gehauen, mit gekrümmtem Rücken, aufgeschlagenem Rockkragen und triefender, abwärts gebogener Hutkrempe, die Gesicht und Ohren vollständig verbarg. Würdevoll setzte sie die Schüssel mit Eiern und Speck nieder und rief ihm zu:
»Ihr Frühstück ist fertig, mein Herr.«
»Danke«, erwiderte er darauf, ohne sich zu rühren, bevor sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann aber drehte er sich schnell um und wandte sich mit Heißhunger dem Tisch zu.
Als Mrs. Hall in die Küche hinter der Schankstube ging, hörte sie einen Ton, der sich in regelmäßigen Zwischenräumen wiederholte. Klick, klick, klick ging es, der Klang eines Löffels, der in einem Gefäß klappert. »Dieses Mädchen!«, rief sie. »Ich hatte es ganz vergessen. Das kommt von ihrer Langsamkeit.« Und während sie das Mischen des Senfs selbst besorgte, bekam Millie einige saftige Bemerkungen über ihre Langsamkeit zu hören. Sie (Mrs. Hall) hatte Schinken und Eier gekocht, den Tisch gedeckt, kurz alles getan, während Millie – wahrlich eine schöne Hilfe – nicht einmal mit dem Senfrühren zustande kam. Und ein neuer Gast im Hause, der hoffentlich lange bleiben würde! Dann füllte sie das Senfglas, setzte es voll Selbstbewusstsein auf ein schwarz-goldenes Servierbrett und trug es ins Fremdenzimmer.
Sie klopfte an die Türe und trat sofort ein. Als der Gast sie gewahrte, machte er eine rasche Bewegung, und einen flüchtigen Augenblick sah sie etwas Weißes hinter dem Tisch verschwinden, als ob der Fremde etwas vom Boden aufheben wolle. Mrs. Hall setzte das Senfglas auf den Tisch; dabei bemerkte sie, dass der Überrock abgenommen und über einen Stuhl am Feuer ausgebreitet war, und ein Paar nasse Stiefel ihr Kamingitter mit Rost bedrohten. Sie ging entschlossen darauf zu: »Jetzt kann ich sie doch wohl zum Trocknen nehmen?«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
»Lassen Sie den Hut da«, sagte der Fremde mit dumpfer Stimme, und als sie sich umwandte, bemerkte sie, dass er den Kopf erhoben hatte und sie anblickte.
Einen Augenblick lang starrte sie ihn an, zu überrascht, um sprechen zu können.
Er hielt ein weißes Tuch – eine Serviette, die er mitgebracht hatte – vor den unteren Teil seines Gesichts, sodass es Mund und Kinnbacken ganz bedeckte und die Stimme nur halb erstickt daraus hervordrang. Aber nicht das erschreckte Mrs. Hall, sondern der Umstand, dass ein weißer Verband seine ganze Stirn über den blauen Gläsern verhüllte, während ein zweiter die Ohren verbarg und von seinem ganzen Gesicht nichts als die spitze, rote Nase frei ließ. Diese war leuchtend rot und glänzte wie bei seiner Ankunft. Er trug eine dunkelbraune Samtjacke mit einem hohen, schwarzen, leinengefütterten Kragen, der in die Höhe geschlagen war. Das dichte schwarze Haar, das hie und da zwischen dem Kreuzverband vorlugte, bildete seltsam geformte Schwänze und Hörner und verlieh ihm das denkbar merkwürdigste Aussehen … Dieser verhüllte und verbundene Kopf war dem, was sie erwartet hatte, so unähnlich, dass sie einen Augenblick lang wie erstarrt dastand. Er legte die Serviette nicht weg, sondern hielt sie in der mit einem braunen Handschuh bekleideten Hand fest, wobei er seine Wirtin durch die unergründlichen Augengläser hindurch unverwandt anblickte. »Lassen Sie den Hut da«, wiederholte er undeutlich durch das weiße Tuch hindurch.
Ihre Nerven begannen sich von dem Schrecken zu erholen. Sie legte den Hut auf den Stuhl neben dem Feuer zurück. »Ich wusste nicht, mein Herr«, begann sie, »dass –« und sie schwieg verwirrt still.
»Danke«, sagte er kurz, von ihr zur Tür und dann wieder auf sie blickend.
»Ich will sie gleich schön trocknen, mein Herr«, sagte sie und trug seine Kleider aus dem Zimmer. Während sie zur Tür schritt, warf sie noch einen Blick nach dem weißverhüllten Kopf und den undurchsichtigen Augengläsern, aber er hielt sein Tuch noch immer vor das Gesicht. Es durchschauerte sie ein wenig, als sie die Tür hinter sich schloss, und in ihrem Gesicht spiegelten sich Überraschung und Bestürzung wieder. »Du meine Güte«, flüsterte sie. »So etwas!« Ganz sachte ging sie in die Küche und war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um Millie zu fragen, was sie jetzt wieder in Unordnung bringe.
Der Gast saß ganz still und lauschte auf die verhallenden Fußtritte. Er warf einen forschenden Blick nach dem Fenster, ehe er die Serviette entfernte und wieder zu essen anfing. Er nahm einen Bissen, blickte misstrauisch nach dem Fenster – aß einen zweiten Bissen. Dann erhob er sich, ging mit der Serviette in der Hand quer durchs Zimmer und verhüllte den oberen Teil der Fenster bis dahin, wo weiße Vorhänge über das Glas gespannt waren, worauf das Zimmer in Dämmerlicht getaucht schien, und er mit erleichterter Miene zum Tisch und seinem Mahl zurückkehrte.
»Der arme Mensch hat einen Unfall erlitten oder eine Operation oder so etwas durchgemacht«, dachte Mrs. Hall. »Nein, wie mich dieser Verband erschreckt hat.«
Sie legte frische Kohlen auf, machte den Kleiderstock frei und breitete den Rock des Reisenden darüber. »Und diese Brille! Er sieht gar nicht wie ein leibhaftiger Mensch aus.« Sie hängte sein Halstuch auf den Kleiderständer. »Und die ganze Zeit hatte er das Tuch vor dem Munde und sprach durch das Tuch durch! – – Vielleicht hat er auch am Munde Verletzungen. Wahrscheinlich sogar!«
Sie wandte sich um, wie jemand, der sich plötzlich an etwas erinnert. »Gott sei meiner Seele gnädig!«, rief sie. »Bist du mit den Kartoffeln noch nicht fertig, Millie?«
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