Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
isbn:
Auf alle Fälle aber, ob wir nun einen zweiten Einfall erwarten können oder nicht, mussten unsere Begriffe von der Zukunft der Menschheit durch diese Ereignisse eine gewaltige Änderung erfahren. Wir sehen heute ein, dass wir unsern Stern durchaus nicht als einen gewissermaßen eingezäunten und sicheren Wohnort für die Menschheit betrachten können; wir können das ungesehene Heil oder Unheil, das unvermutet aus dem Weltenraum auf uns hereinbrechen kann, nie vorhersehen. Es mag sein, dass nach den gewaltigeren Plänen des Weltalls dieser Einfall vom Mars nicht ohne einen schließlichen Segen für die Menschheit stattgefunden hat. Er hat uns jener heiteren Vertrauensseligkeit in die Zukunft, welche die furchtbarste Quelle des Verfalles ist, beraubt; die Bereicherungen, die er der menschlichen Wissenschaft gebracht hat, sind unermesslich; und er hat viel dazu beigetragen, das Gefühl des Gemeinwohles der Menschheit zu befördern. Es mag sein, dass die Marsbewohner über die Unendlichkeit des Weltraumes hinüber das Schicksal ihrer ersten Boten beobachtet und sich daran eine Lehre genommen hatten, und dass ihnen der Planet Venus als eine sicherere Ansiedlung erschienen ist. Doch wie es auch immer sei, das eine steht fest, dass auf viele Jahre hinaus in dem Eifer, mit dem die Marsscheibe beobachtet wird, keine Erschlaffung eintreten wird. Und jene feurigen Geschosse des Himmels, die Sternschnuppen, werden in ihrem Niedergang für alle Erdenkinder stets und unausbleibliche ernste Mahnzeichen bedeuten.
Die Erweiterung des menschlichen Gesichtskreises, welche der Marseinfall zur Folge gehabt hat, kann kaum überschätzt werden. Ehe die Zylinder niederfielen, herrschte allgemein die Überzeugung, dass es in den ungeheuren Tiefen des Weltraumes außerhalb der winzigen Oberfläche unseres kleinen Sternes kein Leben gebe. Heute aber sehen wir weiter. Wenn die Marsleute aus die Venus gelangen können, so ist jeder Grund für die Annahme, dass das den Menschen unmöglich sei, hinfällig. Und wenn die langsame Abkühlung der Sonne unsere Erde unbewohnbar gemacht haben wird, wie es schließlich nicht ausbleiben wird, dann mag es kommen, dass der Faden des Lebens, der hier seinen Ausgang nahm, sich ausdehnen und unseren Schwesterplaneten in sein Netz ziehen wird. Würden wir siegen? Schattenhaft und wunderbar ist das Traumgesicht, dass ich im Geist heraufbeschworen habe: wie das Leben sich allmählich über unser kleines Samenbeet des Sonnensystems hinausdehnen wird, hinaus in die unbelebte Unermesslichkeit des gestirnten Raumes. Aber das ist ein ferner Traum. Und, wer kann wissen, ob die Vernichtung der Marsleute nicht nur einen kurzen Aufschub unseres endlichen Untergangs bedeutet? Vielleicht gehört ihnen, und nicht uns die Zukunft.
Ich muss gestehen, dass die Aufregung und die Not der Zeit in meiner Seele ein bleibendes Gefühl des Zweifels und der Unsicherheit zurückgelassen haben. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer, und schreibe beim Schein der Lampe. Und plötzlich sehe ich das wieder auflebende Tal, unten wieder von züngelnden Flammen erfüllt, und fühle das Haus hinter mir, und um mich leer und verödet. Ich gehe hinaus auf die Byfleet Road, Fahrzeuge eilen an mir vorüber, ein Fleischerjunge in seinem Karren, ein Wagen voll Besucher, ein Arbeiter auf seinem Zweirad, Kinder, die zur Schule gehen – und plötzlich wird alles verschwommen und unwirklich, und wieder keuche ich mit dem Artilleristen durch die heiße, brütende Stille. Und nachts sehe ich das schwarze Pulver, wie es die schweigenden Straßen verdunkelt, und sehe die verzerrten Leichen im Staube liegen; sie steigen vor mir auf, zerlumpt und von Hunden zerfleischt. Sie lallen und drohen mir, werden blässer, abscheulicher, endlich wahnwitzige Spottgeburten menschlicher Gebilde — und ich erwache, in kaltem Schweiß gebadet, und elend, in der Dunkelheit der Nacht.
Ich gehe nach London und sehe die geschäftigen Volksmengen in der Fleetstreet und am Strand, und nun lastet es mir auf der Seele, dass sie alle nur Gespenster der Vergangenheit seien, die in den Straßen spuken, die ich schweigend und jammervoll gesehen habe. Dass sie hin- und hergehen, Scheingebilde einer toten Stadt, in einem künstlich belebten Körper, ein Hohn auf das Leben. Und seltsam ist es, auf Primrose Hill zu stehen, wie ich es erst gestern tat, diese riesige Menge von Häusern trüb und blau durch den Schleier von Rauch und Nebel zu erblicken, der endlich in weite Fernen verschwindet; alle die Leute zu sehen, die zwischen den Blumenbeeten des Hügels auf- und niederwandeln; die Menschen zu sehen, die gekommen sind, sich die Marsmaschine anzuschauen, die noch immer hier steht; den Lärm der spielenden Kinder zu hören — und dann sich die Zeit wieder ins Gedächtnis zu rufen, da ich das alles hell und scharfgeschnitten, grausam und still in der Dämmerung jenes letzten, großen Tages gesehen habe.
Und seltsamer als das alles, ist es mir, wieder die Hand meines Weibes zu halten und zu denken, dass ich sie, und sie mich, schon zu den Toten gerechnet habe.
ENDE
1. Kapitel – Die Ankunft des Fremden
An einem winterlich kalten Februartage, bei schneidendem Wind und Schneegestöber – dem letzten Schnee des Jahres – kam der Fremde von der Bahnstation Bramblehurst zu Fuß über die Düne, einen kleinen, schwarzen Mantelsack in der warm verwahrten Hand. Er war von Kopf bis zu Fuß eingehüllt, und der Rand des weichen Filzhutes verbarg sein Gesicht bis auf die glänzende Nasenspitze vollkommen. Der Schnee hatte sich auf seinen Schultern und seiner Brust festgesetzt und den Sack, den er trug, mit einer weißen Kruste bedeckt. Mehr tot als lebendig wankte er in den Gasthof »Zum Fuhrmann« und warf sein Gepäck auf den Boden. »Ein Feuer!«, rief er. »Um der Barmherzigkeit willen! Ein Zimmer und ein Feuer!« In der Schankstube schüttelte er den Schnee von seinen Kleidern und folgte Mrs. Hall in das Gastzimmer, um wegen seiner Unterkunft zu verhandeln. Ohne dort noch ein weiteres Wort zu verlieren, warf er nachlässig zwei Goldstücke auf den Tisch und schlug in dieser formlosen Weise sein Quartier in dem Gasthofe auf.
Mrs. Hall machte Feuer im Kamin und ließ ihn dann allein, um ihm in der Küche eigenhändig eine Mahlzeit zu bereiten. In Iping zur Winterszeit einen Reisenden zu beherbergen, der überdies nicht knauserig zu sein schien, war ein unerhörter Glücksfall, und die Wirtin war entschlossen, sich ihres guten Sterns würdig zu erweisen.
Sobald СКАЧАТЬ