Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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Ich war ein einsamer Mann, und jene waren sehr gütig gegen mich. Ich war einsam und traurig, und doch duldeten mich jene bei sich. Nach meiner Erholung blieb ich noch vier Tage bei ihnen. Während dieser ganzen Zeit fühlte ich eine unbestimmte wachsende Sehnsucht, noch ein Mal, ein letztes Mal, einen Blick zu tun auf das Wenige, was von dem kleinen Leben übrig geblieben war, das so glücklich und hell in meiner Vergangenheit geleuchtet hatte Es war nur ein hoffnungsloses Sehnen, noch einmal in meinem Jammer zu schwelgen. Meine Wirtsleute rieten mir ab. Sie taten alles, was sie konnten, um mich von diesem krankhaften Verlangen abzubringen. Aber endlich konnte ich dieser Eingebung nicht länger widerstehen; ich gab ihnen das feste Versprechen, zu ihnen zurückzukehren, und verabschiedete mich, wie ich bekennen muss, mit Tränen von diesen Menschen, die in vier Tagen mir zu Freunden geworden waren, dann ging ich wieder in die Straßen hinaus, die jüngst noch so düster und seltsam und öde gewesen waren.
Schon aber waren sie wieder erfüllt von zurückkehrenden Menschen; hie und da waren schon wieder Geschäfte offen, und ein Springbrunnen spendete wieder frisches Wasser.
Ich erinnere mich noch des fast höhnend schönen Tages, an dem ich meine traurige Pilgerfahrt nach dem kleinen Haus in Woking antrat, wie geschäftig die Straßen waren, wie frisch sich das Leben wieder rings um mich regte. Es war eine solche Unzahl von Menschen, die sich in tausend Beschäftigungen in den Straßen ergingen, dass es fast unglaublich schien, dass ein nennenswerter Bruchteil der Bevölkerung getötet worden sein konnte. Aber dann bemerkte ich, wie gelb die Haut der Leute war, denen ich begegnete, wie zerrauft ihr Haar war, wie fieberhaft glänzend ihre Augen; jeder zweite Mensch trug noch seine beschmutzten Lappen. Alle Gesichter schienen nur zwei Mienen auszudrücken — entweder überschäumenden Jubel und feste Tat- kraft, oder grimmige Entschlossenheit. Von diesem Ausdruck der Gesichter abgesehen, schien London eine Stadt von Landstreichern zu sein. Die Bezirksämter verteilten wahllos das Brot, das die französische Regierung gesendet hatte. Den wenigen Pferden, die man sah, traten die Rippen unheimlich heraus. Abgemagerte Schutzleute mit weißen Abzeichen standen an jeder Straßenecke. Von dem Schaden, den die Marsleute gestiftet hatten, sah ich nur wenig, bis ich zur Wellingtonstraße kam; dort erblickte ich wieder das rote Gewächs, das sich an die Strebebogen der Waterloobrücke anklammerte.
An der Ecke der Brücke fiel mir auch ein Bild in die Augen, dass in jener an krausen Gegensätzen überreichen Zeit zu den Alltäglichkeiten gehörte. Gegen ein Dickicht des roten Gewächses flatterte ein Blatt Papier, das ein Stab, der es durchlöcherte, festhielt. Es war der Anzeigebogen der ersten Zeitung, die ihren Betrieb wieder aufgenommen hatte, der »Daily Mail«. Für einen geschwärzten Shilling, den ich in meiner Tasche fand, kaufte ich mir ein Blatt. Der größte Teil des Papiers war leer; aber der einsame Verfasser, der es veröffentlichte, hatte sich damit vergnügt, das stereotype Schema eines »Kleinen Anzeigers« auf die Rückseite zu drucken. Der eigentliche Inhalt erschöpfte sich in Empfindungen; der Nachrichtendienst hatte noch nicht seinen Weg zurückgefunden. Ich erfuhr nichts Neues, außer dass schon binnen einer Woche die Prüfung der Werkzeuge der Marsleute zu erstaunlichen Ergebnissen geführt hatte. Unter anderem versicherte die Zeitung, was ich damals noch nicht glaubte, dass das Fluggeheimnis entdeckt worden sei. Im Bahnhof Waterloo fand ich schon die Gratiszüge bereit, welche die Leute in ihre Heimatsorte befördern sollten. Der erste Ansturm war schon vorüber. Es waren nur wenige Leute im Zug, und ich war nicht in der Stimmung, gelegentliche Gespräche anzuknüpfen. Ich erhielt eine Wagenabteilung für mich allein und saß mit verschränkten Armen da und blickte trüb auf die vom Sonnenlicht erhellten Bilder der Verwüstung, die an den Fenstern vorbeijagten. Gerade außerhalb des Bahnhofes polterte der Zug über provisorisch gelegte Schienen, und auf jeder Seite des Bahndammes lagen die Häuser in rauchgeschwärzten Trümmern. Bis zum Knotenpunkt von Clapham war das Antlitz Londons vom schwarzen Rauch verdunkelt, trotz zweier Tage heftigen Gewitterregens; und in Clapham war die Bahn wieder zerstört. Ich sah hunderte von arbeitslosen Schreibern und Ladenburschen, die Seite an Seite mit den gewöhnlichen Arbeitern sich mit der Ausbesserung der beschädigten Stellen beschäftigten; wir polterten lange Zeit auf hastig angelegten Dämmen.
Die ganze Bahnlinie entlang bot das Land einen trostlosen, fremdartigen Anblick. Besonders Wimbledon hatte schwer gelitten. Dank dem Widerstand seiner Fichtenwälder schien von allen Ortschaften an der Bahn Walton am Wenigsten von der Verwüstung getroffen worden zu sein. Der Wandle,1 der Mole, jeder kleine Bach war nichts als eine aufgetürmte Menge roten Gewächses, dessen Farbe die Mitte hielt zwischen frisch geschlachtetem Fleisch und Rotkraut. Die Nadelwälder von Surrey aber waren zu trocken für die Gehänge des roten Schlinggewächses. Hinter Wimbledon sah man mitten in einem Blumengarten die großen Erdhaufen, die der sechste Zylinder aufgeworfen hatte. Eine Anzahl von Leuten standen um die Grube herum, und einige Pioniere waren in voller Tätigkeit. Dicht dabei hatte man die britische Fahne aufgepflanzt, die lustig im Morgenwind hin- und herflatterte. Die Handelsgärten waren rot gefärbt vom roten Gewächs, eine weitgedehnte Fläche schreienden Rotes, von purpurnen Schatten unterbrochen; diese Farbenmischungen taten den Augen geradezu weh. Meine Blicke wandten sich mit unendlicher Erleichterung von dem versengten Grau und dem düsteren Rot des Vordergrundes nach dem sanften Blau-Grün der östlichen Hügel zu.
Der Fahrdamm der gegen London zu gerichteten Seite von Woking Station war noch nicht völlig hergestellt; so musste ich in Byfleet aussteigen. Ich schlug den Weg nach Maybury ein, an der Stelle vorbei, an der ich und der Artillerist mit den Husaren gesprochen hatten, und weiter zu den Weg, auf dem ich mitten im Gewitter dem Marsmann begegnet war. Von Neugierde bewegt, ging ich zur Seite und fand in einem Gewirr roten Geästes einen verbogenen und zerbrochenen Wagen und die weißen zernagten Knochen des Pferdes, die verstreut umherlagen. Eine Zeit lang blieb ich stehen, in den Anblick dieser Spuren versunken.
Dann kehrte ich, oft halstief im roten Gewächs watend, durch den Fichtenwald zurück, und sah, dass dem Wirt vom »Gefleckten Hund« schon ein Begräbnis zuteilgeworden war. Und so kam ich am СКАЧАТЬ