Название: STARS AND STRIPES (Black Stiletto 3)
Автор: Raymond Benson
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Black Stiletto
isbn: 9783958354470
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Ich deutete auf die Frau und den toten Mann. »Deine Mutter?«
Der Junge nickte.
»Dein Vater?«
Er nickte wieder und seine Augen füllten sich mit Tränen. Dann wies er auf den anderen toten Mann. »Mein Onkel.«
Die Sirenen wurden lauter und kamen immer näher.
»Danke«, sagte er. »Jetzt Sie gehen!«
Das musste er mir kein zweites Mal sagen. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass man die Black Stiletto mit einem Doppelmord in Chinatown in Verbindung brachte.
Also humpelte ich davon. Die eiskalte Luft traf mich wie ein Schlag, half aber dabei, meine Sinne wiederzubeleben. Ich riss mich zusammen und verschwand auf der Elizabeth nach Norden, hielt mich in den Schatten und schaffte es so sicher ins Gym zurück.
4| Maggie
Heute
Die Arbeit im Woodlands-Pflegeheim umfasst nur einen kleinen Teil meiner Tätigkeit, aber von allen erfüllt sie mich wahrscheinlich am meisten. Ich besuche das Heim zweimal pro Woche und untersuche eine Reihe von Patienten, oder Bewohner, wie sie von dem Personal dort genannt werden. Ein Pflegeheim ist normalerweise die letzte Station für diese Menschen auf ihrem Weg durchs Leben. Niemand spricht es gern laut aus, aber dort gehen die Menschen hin, um zu sterben. Das Personal – und ich – versuchen, diese Erfahrung für sie so angenehm und komfortabel wie möglich zu gestalten. Bei jenen Patienten, denen noch etwas Zeit bleibt, behandle ich alle Arten von Erkrankungen. Demenz ist davon wahrscheinlich die Häufigste. Alzheimer ist eines meiner Spezialgebiete, obwohl ich zugeben muss, dass es eine Menge gibt, was ich oder wir noch nicht über diese Krankheit wissen. Es gibt Medikamente, mit denen sich die Begleiterscheinungen behandeln lassen, aber ein Heilmittel existiert bis zum heutigen Zeitpunkt nicht.
Meine eigene Praxis befindet sich in Lincolnshire. Ich teile sie mir mit drei weiteren Ärzten, die alle auf Innere Medizin und Altenpflege spezialisiert sind. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie stolz ich war, als ich meinen Namen auf einer der Glastüren lesen konnte: »Margaret H. McDaniel, M.D.« Es war ein langer, steiniger Weg bis dorthin, und ich habe es geschafft, die Praxis seit zwölf Jahren am Laufen zu halten. Mit einunddreißig Jahren hatte ich sie eröffnet. Jetzt bin ich dreiundvierzig und ich kann mir ein anderes Leben nicht mehr vorstellen. Ich nehme meinen Beruf sehr ernst.
Was meine Patienten betrifft, möchte ich gern so gewissenhaft wie nur möglich verfahren. Je mehr man über einen Patienten mit Alzheimer weiß, desto besser. Sie haben es hier mit dem kompletten Leben einer Person zu tun. Und damit meine ich Erinnerungen. Wir alle nehmen unsere Erinnerungen als selbstverständlich hin, bis wir anfangen, sie zu verlieren. Deshalb kenne ich gern die komplette Lebensgeschichte eines Patienten, seine oder ihre Biografie, alles, was mir dabei helfen könnte, den Patienten dabei zu helfen, etwas von ihrer sehr flüchtig gewordenen Vergangenheit zu erhalten.
Und deshalb bereitet mir der Fall von Judy Talbot solche Kopfzerbrechen.
Judy – ich rede meine Alzheimer-Patienten gern mit dem Vornamen an, weil es mir so leichter fällt, mit ihnen zu kommunizieren – lebte bereits im Woodlands, als ich dort anfing. Sie ist dreiundsiebzig Jahre alt, doch ihr Zustand lässt sie älter wirken. In ihrem Fall begann die Erkrankung unverhofft und schnell. Nach nur wenigen Jahren befand sie sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium, während es bei den meisten Patienten sechs bis zehn Jahre dauert, um von ersten leichten Symptomen über moderate Probleme bis zu jenem Stadium zu gelangen. Ihr Fall ist nicht ungewöhnlich, nur nicht allzu häufig anzutreffen. Im Moment ist Judy noch in der Lage, sich verständlich zu machen, auch wenn es ihr oft schwerfällt, sich an die richtigen Worte zu erinnern. Sie spricht nur das Allernötigste, meist gebräuchliche Redewendungen, die der Situation angemessen sind, wie »Danke«, »Ja«, »Nein«, »Das ist nett«, »Hallo« und »Auf Wiedersehen«. Ihr Langzeitgedächtnis scheint sie komplett verloren zu haben, auch wenn Martin mir erzählt, dass sie ihn gelegentlich mit ein oder zwei Sätzen überrascht, die sich auf irgendein Ereignis ihrer Vergangenheit beziehen. Judy zeigt keinerlei Anzeichen für Aggressionen, Wutausbrüche oder Umherirren. Sie hat auch noch keine abendliche Verwirrtheit gezeigt. Die Patientin ist damit zufrieden, dazusitzen und aus dem Fenster zu starren oder fernzusehen. Sie ist eine der ruhigsten Patientinnen mit Alzheimer, die ich je gesehen habe. Das Personal im Woodlands sorgt dafür, dass sie tägliche Spaziergänge durch die Flure unternimmt und hinaus in den Garten geht, wenn das Wetter schön ist. Früher muss Mrs. Talbot einmal sehr athletisch gewesen sein, denn ihr Muskeltonus ist für eine Frau ihres Alters und in ihrem Zustand höchst außergewöhnlich. Abgesehen von ihren Muskeln ist sie jedoch fürchterlich untergewichtig und daher dünn und zerbrechlich. Trotzdem überrascht sie das Personal immer wieder mit ihrer Stärke. Wie ich hörte, gab es vor meiner Zeit im Woodlands einen Zwischenfall, bei dem sie einen Mordverdächtigen mit einem Tritt in die Weichteile ausschaltete! Das hätte ich zu gern gesehen. Und seit ich diese Geschichte gehört habe, mache ich mir um die ganzen Narben und Wunden am Körper dieser Frau noch mehr Sorgen.
Ganz gewiss gibt es Erinnerungen, die mit diesen zusammen hängen.
Einmal fragte ich Martin, ihren Sohn, ob seine Mutter beim Militär gewesen sei. In meinen Anfangstagen arbeitete ich mit Kriegsveteranen, und ich weiß, wie Kampfnarben aussehen. Für mich hat es den Anschein, als wäre Judy Talbot im Krieg gewesen. Auf ihrer Haut finden sich unzählige Narben, darunter eine sehr große an ihrer rechten Schulter, die bis zu ihrer Brust hinabreicht. Ich bin sicher, dass sie von einer Art Messer stammt. Wer immer die Wunde genäht hat, muss ein Anfänger gewesen sein. So sehen Narben aus, wenn sie auf dem Schlachtfeld behandelt werden und kein professioneller Arzt greifbar ist. Noch verstörender sind die beiden alten Schusswunden. Eine befindet sich an ihrer linken Schulter, direkt unter dem Schlüsselbein, die andere auf der linken Seite ihres Abdomens.
Nun, wenn Judy Talbot diese Wunden nicht bei der Armee erlitten hat, wie hat die alleinerziehende Mutter aus der Vorstadt sie sich dann zugezogen?
Martin behauptet, es nicht zu wissen.
Ich glaube ihm nicht.
In den letzten Monaten habe ich Martin sehr zu schätzen gelernt. Wir haben angefangen, uns zu daten – ich schätze, so nennt man das wohl – und wir genießen die Zeit zusammen. Als ich ihn das erste Mal sah, fand ich ihn ein wenig nebech, um einen Ausdruck zu bemühen, den mein jüdischer Großvater gern benutzte. Er ist kein unattraktiver Mann und mit zehn Kilo weniger würde er großartig aussehen. Zuerst war er arbeitslos und schien in meiner Gegenwart sehr nervös zu sein. Jetzt weiß ich, dass er das war, weil er mich attraktiv fand, und das ist sehr schmeichelhaft, weil ich mich selbst gar nicht so empfinde. Martin hat jetzt wieder einen Job und ist nun weniger nervös, aber er neigt dazu, gestresst und unruhig zu sein. Ich kann mir vorstellen, dass es keine leichte Aufgabe ist, für seine Mutter zu sorgen. Alzheimer kann für die Familien oft härter sein als für den Patienten selbst. Aber, um ehrlich zu sein, glaube ich, dass an der Geschichte seiner Mutter mehr dran ist, als er mir erzählen will. Ich denke, das ist auch der Grund für Martins Anspannung, und weniger ihre Krankheit. Irgendetwas Traumatisches ist ihr – und vielleicht auch ihm – zugestoßen. Zuerst mutmaßte ich, dass Judy Talbot von ihrem Ehemann missbraucht wurde. Martin versicherte mir, dass das nicht der Fall sei, andererseits hat er seinen Vater nie kennengelernt. Martins Vater war eines der ersten Opfer des Vietnamkrieges, zumindest behauptet er das. Auch hier bin ich nicht sicher, ob ich das glauben СКАЧАТЬ