Leben ohne Maske. Knut Wagner
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Название: Leben ohne Maske

Автор: Knut Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783957163080

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СКАЧАТЬ heftiger, lautstark geführter Wortwechsel vorausgegangen war.

      Edda hatte der Heidlern, die das Seminar leitete, vehement widersprochen, als diese den Existentialismus als subjektiven Idealismus abzutun versuchte. Edda vertrat, aufsässig, wie sie war, die Meinung, der Existentialismus sei ein Marxismus, bei dem der Mensch und nicht die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Geschichte im Mittelpunkt der Betrachtung stünden.

      „War es falsch, was ich gesagt habe?“, wollte Edda wissen.

      „Etwas diplomatischer hättest du schon sein können.“

      „Diplomatie ist nicht meine Stärke“, sagte Edda. Sie war eine extreme Verfechterin des Existentialismus, hielt Camus‘ „Pest“ und Sartres „Der Ekel“ für zwei der wichtigsten Bücher, die man unbedingt gelesen haben musste, und tendierte in allem, was sie tat, zum Underground. Deshalb verwunderte es nicht, dass sie Wolfgang eine Taschenbuch-Ausgabe aus einem Westverlag über die Beat-Generation zeigte, die sie gerade las.

      Wolfgang jedoch hatte noch nichts von Allen Ginsberg oder Jack Kerouac gehört, und die Beatniks, wie diese Schriftsteller genannt wurden, waren für ihn böhmische Dörfer.

      Edda hielt das für eine unverzeihliche Wissenslücke, und sie beschrieb umfassend, was es mit den sogenannten Beatniks auf sich habe, die Ende der 50er Jahre die Gesellschaft und den Literaturbetrieb in Amerika aufgemischt hätten. „Sie rebellierten gegen das satte, selbstzufriedene Leben der Spießer und empfanden die gesellschaftlichen Verhältnisse als einengend und steril“, sagte sie, „und was ich an ihnen so mag, ist ihre Vorliebe für soziale Außenseiter und sozial Gestrandete.“

      Als Vagabund habe Kerouac die USA durchstreift, „und die Menschen, die er beschreibt, sind immer auf der Suche nach ihrem Platz im Leben und nach ihrer inneren Selbstbestimmung. Das macht ‚On the Road‘, Kerouacs Sensationserfolg von 1957, so lesenswert und wertvoll für mich.“ Von der DDR-Gegenwartsliteratur, die sie lesen mussten, hielt Edda hingegen so gut wie nichts. „Christa Wolfs ‚Geteilter Himmel‘ mag ja noch gehen“, sagte sie. „Aber Kants ‚Aula‘, ich bitte dich.“

      „Ich finde auch, dass es ein geschwätziges Buch ist, und wenn ich höre, wie selbstgefällig Kant daraus vorliest, könnte ich kotzen“, sagte Wolfgang.

      „Aber bitte nicht hier!“

      Schon am ersten Abend, den Wolfgang und Edda in trauter Zweisamkeit miteinander verbrachten, hatten sie ein solches Vertrauen zueinander, dass sie sich erzählten, was sie bisher keinem anderen gesagt hatten.

      Edda erklärte, dass sie Lektorin an einem Verlag werden wolle. Auf keinen Fall werde sie später einmal vor eine Klasse treten, sagte sie. Ihr fehle einfach das Verständnis für die unteren Klassenstufen. Und Wolfgang vertraute ihr an, dass er dieses Lehrerstudium nur angefangen habe, weil er sonst keine Chance gehabt hätte, Germanistik zu studieren. Obwohl er sich anschicke, Lehrer zu werden, hasse er seit seiner Oberschulzeit die Lehrer, besonders Doktor Landgraf, der ihn im Abi durch die Geschichtsprüfung fallengelassen hatte. Er wolle Theaterdichter werden, sagte Wolfgang.

      „Stückeschreiber, meinst du“, sagte Edda. „Kann ich mir denken. Die Gedichte, die du schreibst, sind ja nicht schlecht.“

      In Geschichte tue er, was er tun müsse, um durch die Prüfungen zu kommen, sagte Wolfgang, und in Germanistik hole er sich das nötige Rüstzeug, um Schriftsteller zu werden.

      In der Stube war es kalt, und Edda rieb ihre zur Faust geballten Hände aneinander. Dann gab sie Wolfgang Bücher von Václav Havel und Pavel Kohout mit auf den Weg. Und als sie ihn hinunter an die Tür brachte, für einen Moment lang in der zugig kalten Einfahrt stand und sich von ihm verabschiedete, sagte sie: „Kohout oder Havel müssten wir spielen. Und nicht die ‚Lederköpfe‘“.

      Mitte November, während der Proben zu den „Lederköpfen“, begannen sich Edda, Biene, Wolfgang und Mike Mutzke mächtig zu langweilen. Sie waren als Dienerinnen und Meuterer besetzt. Aber die Massenszenen, in denen sie mitspielten, würden erst im Februar geprobt, erklärte ihnen der beleibte, rothaarige Kuhnert, der die Regie führte. Und sein Argument, wenn man auch nicht selbst auf der Bühne stehe, müsse man von Probe zu Probe an der Entwicklung des Stücks teilnehmen, zog weder bei Biene und Edda noch bei Wolfgang und Mike, die irgendwie die Lust am Theaterspielen zu verlieren schienen.

      Edda hatte keine Lust mehr, für Doris bei Texthängern die Souffleuse zu spielen, und Biene genügte es nicht, durch nervige Terminabsprachen für ein störungsfreies Proben auf der Mensa-Bühne oder im Arbeitsraum des Germanistischen Instituts zu sorgen. Auch Wolfgang und Mike fanden es ungemein ätzend, nur gefragt zu sein, wenn Bröml seinen großen Auftritt als Stadthauptmann hatte und der rustikal zurechtgezimmerte Königsstuhl zur rechten Zeit auf die Bühne getragen werden musste.

      Alle hatten es irgendwie satt, dass sie Abende lang auf den Proben herumsaßen, wo es für sie so gut wie nichts zu tun gab. Sie fanden es unbefriedigend, bei den Proben mucksmäuschenstill zuhören zu müssen, wie Doris oder Bröml ihre großen Monologe abließen. Denn Kuhnerts Augenmerk galt in dieser Phase nur den Hauptdarstellern und den Monologen, an denen herumgefeilt wurde, bis dem Regisseur die Puste ausging und die Darsteller total kaputt gespielt waren.

      Nach einer der abendlangen Proben fassten sich Edda, Biene, Wolfgang und Mike ein Herz und teilten Kuhnert unverhohlen mit, dass die gegenwärtige Situation sie anstinken würde.

      Kuhnert war kurzzeitig irritiert, dann begriff er, dass sie sich unterfordert und nicht-gebraucht fühlten, und er sagte: „Gut, dann macht ihr eben bis zu den Endproben der ‚Lederköpfe‘ Programmarbeit.“ Programmarbeit könne nicht schaden. Dabei könne man nur lernen, sagte er und fragte provokant: „Habt ihr schon eine Idee?“

      „Wie wäre es mit einem Heine-Abend?“, konterte Edda geschickt.

      Kuhnert ging auf den Vorschlag ein und innerhalb von sechs Wochen stampften sie einen Heine-Abend aus dem Boden.

      „Was mir vorschwebt, ist ein ausgeflippter Salonlöwe Heinrich Heine, der sich im Salon der Rahel Varnhagen auf Kosten seines Freundes Adalbert von Chamisso über die Romantik lustig macht, scharfzüngig über das Spießertum herfällt und sich abfällig über unglückliche Lieben äußert“, erklärte Edda, als sie Wolfgang, Biene und Mike in ihr Vorhaben einweihte. Weder der politische Dichter des „Weberlieds“ noch der melancholische Schwerenöter, der, an Syphilis erkrankt, seine Matratzengruft nicht mehr verlassen könne, wären für sie von Interesse.

      Das Programm könne überall dort aufgeführt werden, wo ein Podest vorhanden sei, auf dem ein Tisch und drei Stühle Platz hätten, sagte Edda, und die Besetzung der Rollen sei für sie klar.

      Biene hatte pechschwarze, lange Haare, die sie zu einem Dutt zusammengebunden hatte, und vom Profil her sah sie etwas jüdisch aus. Biene mache einen vornehmen Eindruck und sei eine belesene Frau, die ihre Kritik in einem leicht ironischen Unterton anbringen könne, sagte Edda. Von daher sei die Rolle der Gastgeberin, die in ihrem Salon Chamisso und Heine empfange, Biene wie auf den Leib geschrieben.

      „Als Rahel Varnhagen hast du die Aufgabe, den Gästen ab und an Rotwein einzuschenken und das Publikum darüber zu informieren, was es über die Freundschaft zwischen Chamisso und Heine wissen muss“, sagte Edda zu Biene. „Viel Text kommt da nicht auf dich zu. Aber du bist es, die die Geschicke des Abends lenkt, und du bist es, die vermittelnd eingreift, wenn Heine und Chamisso hart aneinander geraten.“

      Michael Mutzke, genannt Mike, war etwas kleinwüchsig. Sein wohl gescheiteltes Haar, das streng nach hinten gekämmt war, glänzte pomadig. Er wirkte äußerst naiv und hatte ein bleiches, rundes Kindergesicht.„Das romantische СКАЧАТЬ