Leben ohne Maske. Knut Wagner
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Название: Leben ohne Maske

Автор: Knut Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783957163080

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СКАЧАТЬ lag im Gras einer Waldlichtung, von großen, dunklen Fichten umgeben. Er war ein kleiner Junge, und seine Großmutter, die Reisig zum Feuermachen sammelte, war im Dickicht verschwunden. Wolfgang hatte Angst, sie könne nicht wiederkommen, und seine Angst nahm zu, als plötzlich Hasso, der wildernde, rotbraune Schäferhund, neben ihm auftauchte. Er jagte, ein Reh hetzend, an Wolfgang vorbei. Dann gab es einen lauten Knall, der ihn in panische Angst versetzte, und Wolfgang schrie nach seiner Großmutter. Aber statt der Großmutter erschien der angsteinflößende Förster, der den Todesschuss auf Hasso abgegeben hatte.

      Als Wolfgang erschrocken aufwachte, hatte er noch den Todesschuss und das letzte Aufheulen des Hundes im Ohr und merkte, dass er einen mächtigen Brummschädel hatte. Bei dem Versuch, sich auf die Bettkante zu setzen, wurde ihm speiübel. Aber kotzen musste er nicht. Es war neun Uhr morgens, und für zehn Uhr hatte Hetzel, der Sekretär der FDJ-Grundorganisation, zu einem ersten Treffen eingeladen.

      Wolfgang erhob sich ganz langsam, tastete sich an den Stuhl heran, über dessen Lehne seine verknitterte Schlaghose hing. In der Tasche endlich fand er die recht zerknitterte Einladung, auf der stand, was da zwei Stunden lang verhandelt werden sollte. Seine Kopfschmerzen wurden nicht besser, als er las: „Liebe Jugendfreundin, lieber Jugendfreund! Dein Jugendverband wird dich während deines Studiums mit Rat und Tat unterstützen, erwartet jedoch von dir gleichfalls viele Anregungen und eine stetige Bereitschaft zur aktiven Mitgestaltung der Tätigkeit der FDJ an der Universität. Wir sehen unsere Hauptaufgabe darin, dass wir alle Persönlichkeiten werden, die ihre Fähigkeiten und Talente in den Dienst des Sozialismus stellen, die nicht vor Schwierigkeiten zurückschrecken und stets einen parteilichen Standpunkt beziehen.“

      Wolfgang, dem der Alk vom Vorabend noch immer ziemlich zusetzte, sagte laut vor sich hin: „Diese Veranstaltung werde ich mir klemmen.“

      Da er nicht vorhatte, ein Vorzeige-FDJler oder gar FDJ-Sekretär zu werden, wanderte die Einladung des FDJ-Hochschulsekretärs Hetzel, einem Oberassistenten des Germanistischen Instituts, in den leeren Papierkorb neben dem Schreibtisch.

      Wolfgang entschied sich an diesem verkaterten Morgen dafür, sein erstes Studienjahr mit einem Lyrikseminar am Nachmittag und nicht mit einer FDJ-Pflichtveranstaltung am Vormittag zu beginnen.

       3. Kapitel

      Obwohl sich Wolfgang nach dem Abend in der „Weintanne“ geschworen hatte, sich nie wieder zu besaufen, folgte schon bald das nächste Besäufnis: die erste Seminargruppen-Fete im Mädchenheim.

      Die drei Doppelstockbetten, die sonst den meisten Platz im Raum einnahmen, waren fachmännisch zerlegt worden, und mit den sechs Matratzen hatten die Mädchen drei Zimmerecken gemütlich ausgelegt. Auf dem einzigen Tisch, der an die Wand in Türnähe geschoben worden war, stand ein großer Eimer mit einem Gebräu aus Prima-Sprit und Kirschlikör, und aus dem Lautsprecher eines alten Schallplattenspielers war die Stimme von Esther Ofarim zu hören, die unentwegt ihre Hits sang.

      Die Mädchen und Jungen der zwölfköpfigen Seminargruppe hockten grüppchenweise auf den Matratzen, diskutierten laut und kämpften dabei gegen die laute Musik an.

      „Jetzt wird nicht mehr herumgesülzt. Jetzt wird getanzt“, sagte Edda und griff nach Wolfgang, der neben ihr lag, und zerrte ihn zu den Klängen von „Ich werde Sehnsucht haben, Sehnsucht nach dir“ in die Mitte des Zimmers, und beim Tanzen und Knutschen unter der dreiarmigen Stubenlampe, die mit rotem Krepp-Papier verhangen war, bahnten sich kurze Lieben und lebenslange Freundschaften an.

      Bisher wusste Wolfgang nur, dass Edda aus Potsdam stammte und nach dem Abitur als Hilfskraft im Krankenhaus gearbeitet hatte. Und er wusste, was er sah, wenn er ihr im Seminar gegenüber saß: Sie hatte schulterlanges Haar, katzengrüne Augen, ein ovales Gesicht, eine hohe, breite Stirn und einen schmallippigen, breiten Mund. Und an ihrem Mienenspiel war leicht abzulesen, ob sie mit dem Gesagten einverstanden war oder nicht.

      Während Edda und Wolfgang engumschlungen unter der rot verkleideten Stubenlampe tanzten, sang Doris, der das Gebräu aus Prima-Sprit und Kirschlikör mächtig in den Kopf gestiegen war, völlig zugedröhnt: „Du bist fortgegangen, so hat alles angefangen.“

      Daraufhin löste sich Edda plötzlich aus Wolfgangs Umarmung, warf ihre grau-grünen, ausgelatschten Pumps, die ihr beim Tanzen lästig geworden waren, durch das Zimmer, und nur noch in Strümpfen tanzend, meinte sie beschwipst zu Wolfgang, der sie erstaunt ansah: „Ich halte es mit der Greco. Ich bin, wie ich bin.“

      Obwohl Edda kein Wort Französisch verstand, geschweige denn sprechen konnte, hatte sie ein Faible für französische Literatur und französische Chansons.

      Und so schrie sie, den Tanz mit Wolfgang unterbrechend, allein in der Mitte des Zimmers stehend: „Kann denn keiner von euch Flaschen Französisch? Ich will endlich wissen, wonach ich tanze.“

      „Wenn ihr einen Moment still seid, kann ich euch den Text übersetzen“, sagte der schwule Nunweiler, der keinen Tropfen Alkohol angerührt hatte und das Betrunkensein der anderen verabscheute.

      Während sich die Schallplatte, auf der Charles Aznavour zu hören war, langsam und knackend drehte, übersetzte der hoch sensible Nunweiler: „Was ist aus denen geworden, die die Freiheit verteidigen wollten? Sie hatten ihre Kinder, ihre Eltern gern, und erst recht den Wein und die Liebe. Aber ihnen fehlte die Freiheit. Doch sie waren zu schwach: Als sie aufbrachen, standen ihnen nach wenigen Schritten Polizisten mit Pistolen gegenüber.“

      Obwohl alle ziemlich besoffen waren, hatte nach der Nunweilerschen Übersetzung von Aznavours „Liberté, Liberté“ keiner mehr Lust zu tanzen. Irgendwie war die Stimmung hin. Nur Edda konnte von den französischen Chansons nicht genug bekommen und legte von der Greco „Die toten Seelen der Dichter“ auf.

      Der dicke Höhn, der von Wolfgangs Gedichten wusste, sagte, ganz heiser vom Schreien: „Auch wir haben eine Dichterseele unter uns“ und prostete Wolfgang mit dem Sprit-Kirschlikör-Gebräu zu.

      „Du?“, sagte Edda überrascht. Sie ging zum Plattenspieler und machte ihn aus.

      „Was also hat uns Wolfgang Bruckner zu sagen?“, grölte der dicke Höhn, der von der Armee her das Saufen gewohnt war. „Dein Auftritt, Poet“, brüllte Höhn. Und da Wolfgang schon ziemlich voll war, fiel es ihm nicht schwer, einige seiner Gedichte vorzutragen.

      Eines hieß: „Verlange nicht, dich zu vergessen“ und war einer zigeunerhaft aussehenden Schallplattenverkäuferin gewidmet, die Wolfgang als Oberschüler platonisch geliebt hatte.

      Edda gefielen Wolfgangs Gedichte, und Wolfgang fand Edda so aufreizend schön, dass er nicht müde wurde, sie auf dem Weg vom Mädchenheim in die Weigelstraße alle paar Meter abzuknutschen.

      Als er das erste Mal Eddas Zimmer in der Weigelstraße betrat, war es draußen ungemütlich kalt. Es war ein verdammt trister Abend, und Edda war froh, dass Wolfgang sie besuchte.

      Edda hatte einen weiten, grünen, sackähnlichen Strickpullover an. Auf dem Tisch stand eine Kanne Tee und auf dem Sofa lag eine Katze.

      Draußen plätscherte der Regen vom Dach auf die Terrasse unterm Fenster, und Edda schien in einem Stimmungstief zu stecken.

      „Bist du auch der Meinung von Doris, dass ich die Heidlern zu stark attackiert habe und zu boshaft zu ihr war?“, fragte sie etwas schuldbewusst und spielte auf ihren Ausbruch im Philosophieseminar „Dialektischer Materialismus“ an.

      „Vielleicht bist du etwas zu weit gegangen, als du sagtest, die Heidlern sollte erst einmal Sartres ‚Existentialismus СКАЧАТЬ