Leben ohne Maske. Knut Wagner
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Название: Leben ohne Maske

Автор: Knut Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783957163080

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СКАЧАТЬ Teilnehmer einer Veranstaltung, die unter dem Motto ‚Jugend und Alltag‘ stand. Die Schüler und Lehrlinge zeigten in ihren Gedichten oft eine gedankliche Tiefe, die vom gründlichen Durchdenken ihrer Themen herrührte. Zu den wirklich vielversprechenden Begabungen, die sich vorstellten, zählt unbestritten Wolfgang Bruckner, ein 19-jähriger Autoschlosser.“

      Wolfgang entschied sich, diesen kleinen Zeitungsartikel als Merkzettel an die Tür des hohen, schweren Kleiderschranks zu heften. Auf Augenhöhe, damit er nicht vergaß, warum er in Jena Germanistik und Geschichte studierte.

      Als wolle er seinem Wunsch, Theaterdichter zu werden, Nachdruck verleihen, trennte Wolfgang aus dem Buch „Literatur im Überblick“ vorsichtig das Jugendbildnis des zwanzigjährigen Schiller heraus und brachte es mit einer Reißzwecke über der Erstrezension an, in der er als vielversprechende Begabung bezeichnet worden war.

      Als Wolfgang die „Deutsche Geschichte in einem Band“ neben den Duden, die „Wege zum Gedicht“, und die „Literatur im Überblick“ stellte, erinnerte er sich daran, wie widerwillig er dieses historische Machwerk gelesen hatte, als er sich auf seine Aufnahmeprüfung an der Uni in Jena vorbereitet hatte.

      Vom Geschichtsunterricht bei Doktor Landgraf wusste er, dass bei Leistungskontrollen immer die richtigen Allgemeinplätze und Schlagwörter gefragt waren, und so prägte er sich die Stellen ein, mit denen er auf jeden Fall punkten konnte: „Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik unter Führung der Arbeiterklasse, im Bündnis mit der Bauernschaft, der Intelligenz und allen anderen Werktätigen, haben den Weg gezeigt, der den realen Entwicklungsbedingungen entspricht. Das ist der Weg der demokratischen Herrschaft des Volkes. Das ist der einzige deutsche Weg, der den Interessen des Volkes entspricht.“

      Als die Bücher, die Wolfgang mitgebracht hatte, den rechten Platz auf dem Hängeregal an der Fensterwand gefunden hatten, fiel ihm zu guter Letzt eine arg kastrierte Europakarte im DIN-A-3-Format in die Hand.

      Unmittelbar nach dem 13. August 1961 war Wolfgangs Frust so groß gewesen, dass er sich die Karte gegriffen und die Ostblockstaaten, in die er hätte reisen können, weggeschnitten hatte. So waren auf der arg beschnittenen Europakarte nur noch die Länder zu sehen, die Wolfgang nicht bereisen konnte: BRD, Österreich, Italien, Griechenland, Jugoslawien und Albanien.

      Wie eine schematische Darstellung eines Bergprofils, das stufenweise und gezackt von rechts unten nach links oben verlief, sah die Landkarte aus, die Wolfgang mit Reißzwecken an der Tür anbrachte, die zum Hof hinausging.

      Am Schreibtisch sitzend, fiel der Blick ganz genau auf diese eigenartig zurechtgeschnittene Landkarte, und sie würde Wolfgang täglich daran erinnern, dass es ihm wohl nie vergönnt sein würde, sich die Welt anzusehen.

      Schneller als gedacht war er mit dem Kofferauspacken fertig, schneller als gedacht hatte er seine Lieblingsschallplatten von „The Who“, den „Beatles“, Charles Aznavour, Esther und Abi Ofarim und Krugs „Jazz und Lyrik“ aus den Handtüchern und der Bettwäsche gewickelt und auf der Kommode abgelegt, auf der ein kleines Transistorradio und der Wecker standen, und schneller als gedacht hatte er seine Unterwäsche, den Schlafanzug, das Wechselhemd und seinen geliebten Rollkragenpullover im Kleiderschrank untergebracht.

      Es schien, als habe alles seinen Platz gefunden. Aber Wolfgang fühlte sich beschissen, wenn er daran dachte, dass diese Kellerwohnung für vier Jahre sein Zuhause sein sollte, und er war froh, dass er sich mit Ulli in der „Weintanne“ verabredet hatte und nicht den ersten Abend alleine in dieser trostlosen Bude verbringen musste.

       2. Kapitel

      Durch einen dunklen, schweren Windfang betrat Wolfgang die „Weintanne.“ Es war eine geräumige, etwas düster wirkende Kneipe.

      Rechts von der Theke war die Gaststube, in der ein paar Stammtisch-Brüder ihr Bier tranken und, vor sich hinpaffend, einen zünftigen Skat droschen. Links von der Theke war die Weinstube, in der an diesem Abend so gut wie niemand saß, und so fiel es Wolfgang nicht schwer, einen Platz zu finden, von dem aus er das ganze Kneipengeschehen gut überblicken konnte.

      Auf Ulli wartend, bemerkte er, dass gleich links neben der Theke eine Wendeltreppe mit hellen Holzstufen und einem schwarz gestrichenen Metallgeländer in den ersten Stock ging. Die enge, steile Treppe führte zu den Privaträumen des Gaststättenehepaares und zu Ullis Zimmer, das sich ebenfalls direkt über der Kneipe befand.

      Vor der ersten Stufe der Wendeltreppe lag eine gelbe Dogge auf einer kleinen, blauen Kinderdecke. Obwohl sie zu schlafen schien, achtete sie darauf, dass kein Fremder unerlaubt in die Privaträume kam, und Wolfgang, der eine unheimliche Angst vor Hunden hatte, dachte an den blinden Fendrich aus dem Hinterhaus, der an warmen Tagen die Werkstattfenster weit offen hatte und sich jedes Mal furchtbar darüber aufregte, wenn sie als Kinder durch den Vorderhof tobten. Wenn er abends mit seinem Schäferhund den Hinterhof betrat und sie gerade Haschen spielten, übte er Rache: Er hetzte seinen Hund auf sie.

      Als Ulli die Wendeltreppe herunter kam, machte er einen großen Schritt über die schlafende Dogge und kam schnurstracks auf Wolfgangs Tisch zu.

      Ulli bemerkte gleich, dass in Wolfgang irgendetwas vorging, und er fragte: „Is was?“

      „Ich habe deinen Mut bewundert“, sagte Wolfgang.

      „Welchen Mut?“

      „Wie du über den Hund hinweggestiegen bist.“,

      „Der kennt mich doch.“

      „Ich hätte trotzdem Angst, über ihn hinwegzusteigen. Auch wenn er mich kennen würde“, erwiderte Wolfgang.

      Die Fenster der Weinstube wurden indirekt beleuchtet, und man hatte den Eindruck, dass es draußen heller Tag war. Deshalb und durch den Wein, den Ulli und Wolfgang tranken, verloren sie völlig das Gefühl für die Zeit. Sie entsannen sich ihrer Heldentaten, auf die sie noch immer sehr stolz waren.

      „Weißt du noch, in der siebenten Klasse, als wir vor die Schulleitung zitiert und regelrecht verhört wurden?“, sagte Ulli.

      „Obwohl uns der Direktor gegenüber saß, gaben wir nicht zu, was Lehrer Hilbich schon lange zugegeben hatte“, sagte Wolfgang. „Drei Tage hielten wir durch, dann sagten wir, was eh schon jedem bekannt war.“

      „Weil der Wirt nicht bereit gewesen war, an uns die Zigaretten zu verkaufen, hatte Hilbich Karl vorgegeben, sie seien für ihn, und der Wirt hatte uns daraufhin die gewünschten Zigaretten verkauft“, erinnerte sich Ulli. „Und weil wir versucht hatten, ein moralisch nicht einwandfreies Verhalten eines Lehrers zu decken, bekamen wir einen Verweis.“

      „Den Wortlaut des Briefes, der den Eltern per Einschreiben zugestellt wurde, habe ich noch genau im Kopf.“

      Wolfgang, der ein phänomenales fotografisches Gedächtnis besaß, kniff die Augen zusammen und sagte den Brieftext, den er vor sich sah, wie ein Gedicht auf: „Ich muss Sie leider von einem Vorfall während des Wandertages der Klasse 7a am Montag, dem 16. September 1957, in Rochsburg in Kenntnis setzen. Ihr Junge hat mit acht anderen Schülern der Klasse im Gasthof zehn Zigaretten und eine Schachtel Streichhölzer gekauft. Jeder gab dazu zehn Pfennige. Ihr Junge und die übrigen Schüler haben dann im Wald eine Zigarette geraucht. Ich bin gezwungen, Ihrem Sohn für dieses Verhalten einen Verweis zu erteilen und diesen in die Schülerpapiere einzutragen. Bitte wirken Sie ebenfalls erzieherisch auf Ihr Kind ein, damit so etwas nicht wieder vorkommt. Reißland. Direktor.“

      „Der Verweis war schlimm“, sagte Ulli. „Aber viel schlimmer wäre es gewesen, wenn Reißland СКАЧАТЬ