Leben ohne Maske. Knut Wagner
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Название: Leben ohne Maske

Автор: Knut Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

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isbn: 9783957163080

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      Nichtsahnend trat er durch das Hoftor, das sperrangelweit offen stand. Kaum hatte er den Hof betreten, rannten ihm drei kläffende Dackel entgegen. Angst durchzuckte ihn. Er stand wie angewurzelt und hielt den Atem an, als einer der Dackel an ihm hochzuspringen versuchte.

      In diesem Moment ertönte ein Pfiff. Ein Mann um die vierzig kam um die Hausecke herum. Die Dackel rannten zu ihm „Hunde, die bellen, beißen nicht“, sagte er und lachte, als er sah, wie vorsichtig Wolfgang auf ihn und die Hunde zukam.

      August Stillmark hatte ein rundes Gesicht und auffallend große, wasserblaue Augen. Seine Kinnpartie schimmerte rosig und glatt wie bei einem Kind. Seine dunkelblonden Haare lagen streng gescheitelt altmodisch nach hinten gekämmt. Er war mittelgroß und etwas übergewichtig.

      „Du also bist Heidis neuer Freund“, sagte er. Anscheinend hatte er keine Ahnung, dass seine Tochter wild entschlossen war, diesen schlaksigen Kerl mit dem blässlichen Vogelgesicht und den schulterlangen Haaren zu heiraten.

      Heidi kam aus dem Haus, fiel Wolfgang um den Hals, und schien sich riesig zu freuen, dass er gekommen war. Sie nahm ihm den Campingbeutel ab und sagte: „Komm rein!“

      Sie führte ihn in eine kleine Kammer, in der nur ein Bett, ein Schrank, ein kleiner Tisch und ein alter Holzstuhl standen. Es war die frühere Wurstkammer, und Heidi meinte, als sie Wolfgangs missmutigen Blick sah: „Für ein paar Tage geht es schon mal. Und viel wirst du sowieso nicht in diesem Zimmer sein.“

      Wenig später rief Heidi durchs Haus: „Opa, wir kommen kurz mal hoch zu dir“. Ihr Großvater saß in einem bequemen Sessel seitlich vorm Fenster. Um sich besser unterhalten zu können, wechselte der alte Mann vom Sessel auf das schmale, kurze Sofa. Am Küchentisch sitzend, hatte er nun Heidi und Wolfgang besser im Blick, die ihm gegenüber auf den alten, weiß gestrichenen Stühlen Platz nahmen.

      Louis Stillmark war 80 Jahre alt und sah aus, wie man sich einen Großvater vorstellt, der weißhaarig und weise und immer milde gestimmt seiner geliebten Enkelin Geschichten von früher erzählt.

      „Ich kann kaum glauben, dass es, auf den Tag genau, 22 Jahre her sind, dass Karoline und ich deine Mutter, die hoch schwanger war, ins Krankenhaus nach Birkenhall gebracht haben“, sagte er. „Als deine Mutter die ersten Wehen bekam, zogen wir uns in aller Eile an und brachten sie zu Fuß ins Krankenhaus. Denn im Dorf gab es keine Hebamme, nicht mal eine Gemeindeschwester. Und ein Auto war weit und breit nicht verfügbar“, erinnerte er sich. „Wir schlichen also los, hinterm Haus ins Feld, am Waldrand entlang und am Mühlenteich vorbei, wo die Russen ein Zelt stehen hatten. Es war zwar gefährlich. Aber es war der kürzeste Weg, den wir kannten. Unterwegs sprachen wir kaum ein Wort und schafften es in einer guten halben Stunde bis zum Krankenhaus. Mit einer kleinen Tasche gaben wir Lisbeth beim Pförtner ab und eilten, so schnell wir konnten, teils im Dauerlauf, teils schleichender Weise, um nicht aufzufallen, nach Hause. Am nächsten Tag dann wurdest du im Birkenhaller Krankenhaus geboren.“

      „Und morgen feiere ich meinen 22. Geburtstag auf der Schneidmühle“, meinte Heidi. Das sei mit Lisa, ihrer Patentante, so abgemacht.

      Nach dem Abendbrot sagte Heidi, dass sie sich jetzt ums Mittagessen für morgen kümmern müsse und Wolfgang, der ihr beim Kochen nicht unnütz im Weg herumstehen wollte, wechselte von der Küche in die Wohnstube. Er sah sofort, dass hier ein Musiker und Hundenarr zu Hause sein musste. An der linken Wand, von der Tür aus gesehen, stand ein aufgeklapptes Klavier, und auf dem Wohnzimmerschrank gleich rechts lag, zwischen einem wuchernden Asparagus-Stock und einem Rauhaardackel aus weißglasiertem Porzellan, eine löwenzahngelbe Trompete.

      Heidis Vater saß auf dem Sofa. Auf dem Wohnzimmertisch vor ihm türmten sich Ausstellungskataloge und Zuchtbücher. „Setz dich doch“, August Stillmark deutete auf einen Stuhl. „Ich will herausfinden, woher die Junghündin abstammt, die mein Schul- und Dackelfreund Hartfried gekauft hat.“

      Der Stammbaum sei entscheidend für die Zucht, sagte August Stillmark zu Wolfgang, der es sich im Polsterstuhl ihm gegenüber bequem gemacht hatte. August Stillmark sprach über das Ausleseprinzip bei Teckel-Welpen und bei Wolfgang, der null Ahnung von Hunden hatte, kam der Gedanke an Herrenrasse und Euthanasie auf. Er fand es ungeheuerlich, dass Welpen mit einem Kehlstrich getötet und Teckel mit Epilepsie ausgemerzt wurden.

      Als Wolfgang und August Stillmark wenig später ein Bier miteinander tranken und sich über den Tisch zuprosteten, sagte August Stillmark: „Aus Erfurt also bist du.“

      „Ja“, antwortete Wolfgang.

      „In Erfurt habe ich meinen ersten Dackel erfolgreich ausgestellt.“ 1941, als Zwanzigjähriger habe er zum ersten Mal an einer Ausstellung für Teckel teilgenommen, und seit gut zwanzig Jahren züchte er erfolgreich Dackel, sagte August Stillmark und fing an, seine bisher größten Erfolge aufzuzählen. Dabei betrachtete er ein Bild, das über dem Wohnzimmerschrank hing. Auf dem DIN-A4-großen Foto war „Bärbel v. d. Loibe“ zu sehen, eine rote Langhaarhündin, mit der August Stillmark bei der Hauptzuchtschau im Jahre 1955 den Siegertitel geholt hatte. „Sie lief in der Gebrauchshundeklasse Hündinnen V1“, sagte August Stillmark. Es sei eine Wucht gewesen, wie sie sich gezeigt habe.

      Allerdings war die Aufnahme, an der er sich so sehr ergötzte, Tage nach der Ausstellung im Atelier des Stadtfotografen gemacht worden. „Bärbel v. d. Loibe“ stand auf einem kleinen, mit weißer Seide überzogenem Podest und schien das grelle Licht der Fotolampen zu genießen. August Stillmark beschrieb die rote Langhaarhündin, als handele es sich um eine Frau. „Sie hatte auffallend dunkle, ovale Augen, eine schön verlaufende Brustlinie, einen sehr guten Rücken und vorbildliches Haar“, schwärmte er.

      Auch Heidi könne die Schönheit eines Dackels beurteilen, sagte er und erzählte voller Stolz, dass sie als Oberschülerin eine Abhandlung über Hunde geschrieben habe. „Ich habe mir diese Arbeit gut aufgehoben“, er gab seinen Sofaplatz für kurze Zeit auf und kramte im oberen Fach des Wohnzimmerschranks, dessen Aufsatz aus einem schmalen Holzteil und einem breiten Glasteil bestand.

      August Stillmark wurde fündig und reichte Wolfgang Heidis Arbeit, die den Titel „Der Hund, ein treuer Freund des Menschen“ trug. Als Fünfzehnjährige hatte Heidi diese reich bebilderte Abhandlung angefertigt, und dass sie nur eine Zwei bekommen hatte, ärgerte August Stillmark noch immer. Dem Lehrer, der die Arbeit bewertet hatte, sprach er jeden Sachverstand ab. Heidi verstehe was von Hunden. Sie könne gut mit ihnen umgehen, meinte er.

      Als Wolfgang den Schnellhefter aufschlug, fiel ihm eine Postkarte entgegen, die als Lesezeichen diente. Auf der Vorderseite war der Deutsche Doggenrüde „Ajax von Wieland“ abgebildet, der mit den Worten „Kapitaler Deckrüde mit bester Vererbung, mehrfach mit Vorzüglich und ersten Preisen prämiert“ angepriesen wurde.

      Auf der Rückseite stand: „Herrn Kapellmeister August Stillmark, Teckelzucht-Anstalt, Arnsbach.“

      „Die ist sicherlich an dich gerichtet“, sagte Wolfgang und schob August Stillmark die Karte über den Tisch. „Von meinem besten Freund Oehring“, sagte der. „Obwohl er Dackel züchtete, hielt er sich einen gefleckten Deutschen Doggenrüden.“

      Oehring sei immer zu Späßen aufgelegt gewesen und hätte immer schrullig-lustige Karten geschrieben, die nur Eingeweihte verstehen konnten, erzählte Stillmark und gab den Postkarten-Text zum Besten: „Werter Freund Stillmark! Ich suche einen jungen Langhaar- oder Rauhaarteckel-Rüden mit Zettel, gesund & in Ordnung. Falls Du mir einen Tipp geben kannst, wo ich die Dinge finden kann, dann gib bitte Hals & ich erscheine zur Besichtigung & Abnahme.“

      Wolfgang verstand nur Bahnhof. Aber August Stillmark wusste, was gemeint war. „Auf gut Deutsch heißt das: Er sucht einen jungen Teckelrüden, der Stammbaum СКАЧАТЬ