Название: Indisches Drama
Автор: Hilde Link
Издательство: Автор
Жанр: Культурология
isbn: 9783496030379
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„Und“ – ich zögerte – „ich meine, sind die Geister weg? Konntest du sie vertreiben?“ Das interessierte mich jetzt schon.
Rebecca strahlte und antwortete mit einem klaren „Ja“ ohne weitere Erklärungen. Ich wollte das Thema nicht vertiefen und kam auf den Mietvertrag zu sprechen.
Rebecca kramte in einer Schublade herum und gab Konrad ein Dokument, als sei er der Makler.
„Unterschreib hier“, sagte Konrad zu mir, nachdem er das dicht bedruckte Blatt aufmerksam gelesen, den Inhalt offensichtlich verstanden und etwas Unleserliches unten hin gekritzelt hatte. Den Text hatte ich zwar nicht gelesen, das Haus hatte ich auch noch nicht ganz gesehen, aber ich unterschrieb, denn auf Konrad war Verlass.
„Und du hier“, sagte Konrad zur von Kuh zu Mensch rückverwandelten Rebecca.
Kurz erklärte uns Konrad, welchen Vertrag wir soeben abgeschlossen hatten, nämlich dass Rebecca morgen aus- und ich einziehe und dass ich die Aaya übernehme (das war Konrads handschriftlicher Teil), damit diese nicht in ihrem Slum verhungern musste.
Nach Vertragsabschluss war Rebecca ebenso erleichtert wie ich. Sie würde gleich morgen in ein Zimmer im Ashram ziehen.
„Geht am Vormittag zu Marcel, eurem Vermieter, und regelt das Finanzielle“, riet Konrad.
Die beiden Mädchen sagten artig ja.
Konrad und ich verabschiedeten uns von Rebecca, ich bedankte mich bei ihr, Rebecca bedankte sich bei mir, wir beide bedankten uns bei Konrad. Dieser begleitete mich noch ein Stück des Weges und nannte mir Läden, in denen ich Bettwäsche, Matratzen, Decken und Moskitonetze kaufen konnte, und beschrieb mir die Stelle, wo am Sonntag Schreiner billige Betten auf der Straße verkauften. Die paar Möbel von Rebecca, die im Haus waren, konnte ich übernehmen.
Nichts gegen erfolgreiche englische Banker, die in ihrer Freizeit indische Kinder und deren Lehrerinnen aus dem Meer ziehen, aber Ray hatte angefangen, mir auf die Nerven zu gehen. Nach einem gemeinsamen Mittagessen in einem einfachen, aber sauberen vietnamesischen Lokal – der Speisesaal des Ashram-Gästehauses ist mittags nämlich zu – gesellte ich mich erst mal zu Sri Aurobindo und der „Mutter“ in meinem Zimmer. Die „Mutter“ lag immer noch mit dem Gesicht auf dem Schreibtisch, über Sri Aurobindo hing das Leintuch. So konnte ich mich ungeniert ausziehen und duschen. Der Jetlag setzte mir gewaltig zu. Bevor ich einschlief, machte ich mir Sorgen um die Kinder und sehnte mich nach Manuel.
Sonderlich erquickend war der Schlaf unter dem scheppernden Ventilator zwar nicht, aber er reichte aus, um mich nach dem Aufwachen mit Unruhe zu erfüllen. Draußen war es fast schon dunkel. Ein Gefühl der Leere überkam mich, und ich fragte mich, was ich hier eigentlich wollte. War es denn nicht schön in Deutschland? Ich hatte einen Lehrauftrag am Institut für Völkerkunde und Afrikanistik, Manuel würde als Künstler bestimmt bald Fuß fassen, die Kinder könnten ganz normal in die Schule gehen und dort weiterhin singend, tanzend und malend die Geheimnisse des Lesens, des Schreibens und der Zahlen entdecken. Bevor ich mich in Vorwürfe hineindrillen konnte, stand ich schnell auf, duschte und verließ das Zimmer, um in der Stadt herumzugehen und irgendwo etwas zu essen. Essen ist immer gut, wenn man dabei ist, trübsinnig zu werden. Wem begegne ich auf dem Gang? Genau. Eigentlich wollte ich nur so herumbummeln, aber bei Rays Anblick dachte ich mir, ich könnte doch gleich Bettwäsche und Moskitonetze kaufen. Leintücher sind auch in Indien schwer, und die würde Ray sicherlich gerne schleppen wollen. Also schlug ich vor, wir könnten doch nach einem Imbiss einen kleinen Einkauf tätigen. Ray wollte nichts lieber als das.
Im Gegensatz zum „weißen Viertel“ mit seinen menschenleeren Straßen und für indische Verhältnisse gepflegten Häusern, in dem auch die weiße Villa in der Rue La Bourdonnais und das Ashram-Gästehaus liegen, war in der Jawaharlal Nehrustreet das richtige echte Indien, das, welches man aus dem Fernsehen kennt: ein Laden neben dem anderen, dazwischen das Indian Coffee House, Teil einer Kultkette, die sich über ganz Indien zieht, bunte Lichtreklamen, ein wegen zahlreicher Löcher und weil Händler dort ihre Waren auf Tüchern ausgebreitet hatten kaum begehbares Trottoir, auf der Fahrbahn Dreirad-Scooter mit ihren Quäk-Hupen, klingelnde Fahrradrikshas, hin und wieder ein Ambassador-Auto, hunderte, nein tausende von Fahrrädern und Menschen, Menschen, Menschen, die alle irgendetwas kaufen wollten. Ich war einer von denen, die mit suchendem Blick nach geeigneten Waren Ausschau hielten. Schon nach anderthalb Stunden hatte ich alles beisammen, was ich fürs Erste brauchte. Ray ging hinter mir her und versuchte in der Schneise zu bleiben, die ich durch die Menschenmassen bahnte. Sein jahrelanges Schwimmtraining hatte seine Muskeln so weit gestählt, dass sie mühelos meinem Großeinkauf gewachsen waren. Allerdings nahm sein Gesicht mehr und mehr gequälte Züge an, die er schnell mit einem tapferen Lächeln zu vertuschen suchte, wenn ich mich nach ihm umdrehte, um zu sehen, ob er noch da war. Am Ende der Nehrustreet, da wo es keine Läden mehr gibt, nahmen wir eine Riksha zurück zum Gästehaus. Ray ließ sich auf die Bank plumpsen und stapelte alle Tüten auf seinen und meinen Schoß. Der Rikshafahrer war ein alter Mann, und ich kam mir unendlich dämlich vor, mich von ihm fahren zu lassen. Beim Aussteigen bezahlte ich ihm freiwillig einen Preis, der prozentual zu meinem schlechten Gewissen stand und der mich in der wohligen Gewissheit zurückließ, eine mindestens zehnköpfige Familie für viele Tage vor dem Verhungern gerettet zu haben.
Im Gästehaus wollte Ray mich durch ein fröhliches „Da sind wir ja“ glauben machen, dass er die Treppen mit frischer, nicht etwa mit letzter Kraft bewerkstelligt hatte. Wir stellten alles im Zimmer ab, und Ray verschwand nach meinem herzlichen Dank mit einem nun doch leicht erschöpft klingenden: „Bis morgen.“
Nach einer Nacht mit unruhigem Schlaf und zahlreichen Alpträumen wollte ich am frühen Morgen irgendwo in der Stadt frühstücken. Ray sollte nicht Opfer meiner schlechten Laune werden, auch wenn alles Leben Yoga ist. In dem Moment, als ich mich an der Rezeption vorbeidrücken wollte, um der redseligen Ashramitin am Empfang zu entkommen, hörte ich eine sanfte Stimme:
„Dr. Link?“
„Ja?“, antwortete ich mit scheinheiliger Freundlichkeit.
„Haben Sie gut geschlafen?“
Ich hielt diese Frage für eine rhetorische und antwortete ebenso rhetorisch: „Danke der Nachfrage. Ja.“ Ich wollte weitergehen.
Der Blick von Mrs. Maheshvari verriet Argwohn.
„Wirklich? Sie haben in diesem Zimmer gut geschlafen? Welches Bett haben sie denn benutzt?“
„Das am Fenster.“
„Merkwürdig, in der Tat“, sagte sie leise vor sich hin.
„Warum?“ Mrs. Maheshvari hatte es geschafft, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Wo doch letzte Woche in dem Bett am Fenster eine junge Frau ermordet worden ist.“ Ich glaubte einen hämischen Blick in den Augen der grauhaarigen Dame zu erkennen.
„Soso“, sagte ich lässig, als wäre ich jeden Tag mit Morden in meinem Bett konfrontiert. „Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch“, wünschte ich Mrs. Maheshvari. Den Gefallen tat ich ihr jetzt nicht, an Ort und Stelle auszuflippen.
Puh. Diese Nachricht wollte erst mal verarbeitet werden.
Ich ging zurück zum Frühstücksraum und war froh, Ray dort anzutreffen. Jetzt brauchte ich einen Gesprächspartner. Zusammen gingen wir schnellen СКАЧАТЬ