Название: Indisches Drama
Автор: Hilde Link
Издательство: Автор
Жанр: Культурология
isbn: 9783496030379
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Der Jetlag überkam mich, und ich legte mich auf eines der Betten. Der verklärt-alkoholselig dreinblickende Sri Aurobindo und die uralte Mira Alfassa, die Insider „die Mutter“ nennen, blickten über allem wachend auf mich herab. Diese Übergriffigkeit beendete ich, indem ich das Leintuch vom Nachbarbett über die fenstergroßen Fotorahmen der Portraits hängte. Die Mutter kam dabei zu Fall, blieb jedoch unverletzt. Ich legte das Bild mit dem Gesicht nach unten auf den Schreibtisch und wünschte mir inständig, der Himmel oder mein Schöpfer oder wer das alles hier lenkt, möge verhüten, dass ich je so alt werde wie die Mutter und dann auch so aussehen muss. Bevor ich einschlief, dachte ich an Manuel und die Kinder. Es war geplant, dass sie in einer Woche nachkommen. In der Zwischenzeit sollte ich, das Organisationsgenie, ein wohliges und heimeliges Nestchen für meine Familie bauen, alle bürokratischen Hindernisse aus dem Weg räumen und ansonsten dafür sorgen, dass Indien unser aller Traumland bleibt.
Die kurze Rast im Gästehaus brachte meine Lebensgeister wieder in Schwung, und ich wusste, was ich als nächstes tun musste: um vier Uhr zum PICA fahren und Dr. Murugan bitten, die beglaubigte Kopie der Affiliation zu unterschreiben, die er ja sowieso schon auf dem Original, das in München war, unterschrieben hatte. Eine Angelegenheit von einer, meinen Dank mitgerechnet, maximal zehn Sekunden. Ich rechnete mir beim Immigration Office doch noch eine Chance aus, wenn ich mit einem Dokument antanzte, auf dem jetzt also die Original(!)-Bestätigung des Generalkonsulats in München und obendrein die Original(!)-Unterschrift des PICA-Leiters standen. Vielleicht ließe Herr Patil ja morgen bei besserer Laune mit sich reden, so dass ich die Geburtsurkunde nachreichen und das Ganze von einem indischen Notar bestätigen lassen könnte. Kurz zog ich sogar in Erwägung, Mr. Patil einen gut gefüllten Umschlag zu überreichen. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass ich mich dumm anstellen würde, war hoch. Schließlich war ich in diesen Dingen gänzlich unerfahren. Wenn die Sache schiefgehen sollte, käme ich ins Gefängnis, und dieses Risiko war mir dann doch zu groß. Und außerdem und vor allem: Korruption ist was Böses, und sowas darf man nicht machen. Blöderweise kann so eine Aufenthaltsgenehmigung ausschließlich vom Immigration Office des künftigen Wohnortes ausgestellt werden, sonst hätte ich in irgendeiner anderen Stadt mein Glück versuchen können. Allerdings gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beamten dort anders drauf waren.
Punkt vier Uhr war ich im PICA. Ich hoffte, Dr. Konrad Maier zu treffen, dem ich die Affiliation zu verdanken hatte. Im Südasien-Institut in Heidelberg hatte man mir gesagt, dass in Pondicherry seit vielen Jahren ein deutscher Indologe arbeite. Ein echter, einer, der es mit Texten und nicht mit Menschen zu tun hat. Schriftlich hatte ich Kontakt zu Dr. Maier aufgenommen, und er hatte mir freundlicherweise die Affiliation besorgt.
Gleich im Eingangsbereich saß ein weißer, blasser junger Mann hinter Bergen von Büchern und tippte eifrig in eine vorsintflutliche Schreibmaschine.
„Guten Tag“, sagte ich auf Deutsch. „Herr Maier?“
Die schlacksige Gestalt erhob sich, kam mit einem Lächeln auf mich zu und begrüßte mich mit einem kräftigen und angenehmen Händedruck. Als allererstes bedankte ich mich von ganzem, wirklich von ganzem Herzen für die Affiliation, ohne die mein Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht genehmigt worden wäre. Dann erzählte ich ihm in aller Ausführlichkeit von meiner Pleite mit dem verweigerten Stempel. Ich bräuchte dringend die Unterschrift von seinem Chef, Herrn Dr. Murugan. Ja, der sei da. Dr. Maier verschwand in einem Büro drei Treppenstufen höher. Irgendwie erinnerte mich das alles an das Immigration Office. Auch Messingbuchstaben an der Türe, diesmal „Dr. Murugan“. Ich solle kurz warten, der Chef hätte gleich Zeit für mich und würde das Dokument selbstverständlich unterschreiben, richtete mir Dr. Maier aus.
Gegen Abend waren Konrad und ich schon Freunde geworden. Wir erzählten einander aus unserem Leben, und was uns nach Indien getrieben hatte. Kurz vor Feierabend flog die Tür des Chefzimmers auf, und ein kleiner und stark pigmentierter Mann in Militäruniform schwirrte, so tuend, als hätte er mich nicht gesehen, an uns vorbei.
„Ist er das?“, fragte ich schnell Konrad. Der nickte.
Ich sprang auf und lief Dr. Murugan bis auf die Straße nach.
„Kommen Sie morgen wieder. Um zehn“, rief er, als würde er einen lästigen Straßenköter verscheuchen.
„In Indien musst du eines lernen“, tröstete mich Konrad und blickte mich mit seinen sanften, braunen Augen an: „Immer schön die Nerven bewahren. Gleichmut, verstehst du?“ Erst im Nachhinein kann ich einschätzen, welchen Aufwand an Zeit und Nerven es Konrad gekostet haben muss, mir eine Affiliation zu besorgen. Und das für eine Kollegin, die er gar nicht kannte.
Am folgenden Vormittag hatte ich viel Zeit, um erstens Konrad von der Arbeit abzuhalten und ihn zweitens nach einer Wohnung für eine vierköpfige Familie zu fragen. Ja, er wisse was. Er würde mich morgen um elf im Ashram- Gästehaus abholen, die Wohnung sei gleich in der Nähe.
Endlich! Kurz vor zwölf erschien ein Gehilfe. Ich machte mich mit meinen Papieren bereit. Der Chef lasse mir ausrichten, ich solle heute Nachmittag zu ihm nach Hause kommen, da habe er Zeit. Um vier Uhr.
Konrad gegenüber äußerte ich den Verdacht, dass sein Chef ein schikanöser Vollidiot sei. Konrad murmelte was von wissenschaftlicher und persönlicher Null und meinte lapidar, ich solle doch einfach die Hoffnung auf diese Unterschrift aufgeben. Überhaupt die Hoffnung, dass das mit der Aufenthaltsgenehmigung jemals was werden würde. Konrad war nicht erst seit zwei Tagen in Indien.
„Na, du bist ja gut. Und was dann? Soll ich wieder nach Hause fahren und sagen, ich war leider nicht in der Lage meine Aufenthaltsgenehmigung abstempeln zu lassen, und das ist der Grund, warum ich mein gesamtes Forschungsvorhaben, so leid es mir tut, aufgeben muss?“
Pünktlich fand ich mich bei der angegebenen Adresse ein. Eine freundliche junge Frau öffnete mir die Türe und bat mich, im Innenhof des Hauses Platz zu nehmen. Nach einer halben Stunde brachte man mir einen Tee.
Ob Dr. Murugan da sei?
„Yes, yes. Coming.“
Irgendwann nach geraumer Zeit schlurfte ein Mann im Lunghi, im Beinkleid, heran, fläzte sich auf einen bequemen Stuhl und gähnte so ausgiebig, dass ich in Ruhe seinen verfaulten Backenzahn unten rechts betrachten konnte. Mundgeruch wehte zu mir herüber, und ich ignorierte die leichte Übelkeit, die in mir aufstieg. Ich hatte Dr. Murugan ja nur kurz im Institut zu Gesicht bekommen, und so wollte ich kaum glauben, dass ich mich hier mit ihm persönlich ganz offensichtlich in einer СКАЧАТЬ