Название: Indisches Drama
Автор: Hilde Link
Издательство: Автор
Жанр: Культурология
isbn: 9783496030379
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Am nächsten Tag war ich krank. Ich brauchte keinen Arzt, um zu wissen, was mir fehlte. Das war ganz eindeutig: Ich hatte mich verkühlt. Waldorf- Muttis rennen nicht gleich bei jeder Gelegenheit zum Arzt und schlucken Antibiotika. Sie greifen zu alternativen Heilmethoden. Eine Wärmflasche oder etwas Entsprechendes war in ganz Pondicherry nicht aufzutreiben. Also schnappte ich mir Anjimaniku, die dicke, träge Katze und legte sie mir auf den Bauch. In der Zeit meines Leidens auf dem Sofa mit Anjimaniku auf dem Bauch ergriff Schwermut mein Gemüt. Zumal ausgerechnet da auch noch alle Ventilatoren ausgefallen waren und die stickige Hitze mir den Rest gab. Ein Mann vom Elektrizitätswerk war nämlich an diesem Morgen gekommen, weil er was im Elektrokasten überprüfen musste, wie er sagte. Nachdem er weg war, ging kein einziger Ventilator mehr. Das fehlte gerade noch, dass ich mich jetzt zusammen mit Anjimaniku auch noch zu Tode schwitzen musste. Genau genommen ging doch schon vom ersten Augenblick an alles schief, angefangen mit meiner Aufenthaltsgenehmigung, die jetzt als wertloser Papierfetzen vom Schutzengel bewacht wurde. Ganz zu schweigen von meiner Forschung, die schon zu Ende war, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
Herr Shubash, der Gute, hatte von Aaya gehört, dass es mir nicht gut ging. Er stattete mir einen Krankenbesuch ab und brachte mir zur Aufmunterung Cashewnuss-Süßigkeiten mit. Beiläufig erwähnte er, dass für ihn eine Odyssee ein unerwartetes Ende genommen habe: Wochenlang habe er darum gekämpft, dass jemand vom Elektrizitätswerk kommt, um seine Ventilatoren zu reparieren. Heute Vormittag nun sei endlich jemand da gewesen. Erst wollte der Mechaniker wieder gehen, weil ihm ein Ersatzteil fehlte. Aber er hatte dann doch ganz schnell eines bereit. Ich erzählte vom Elektriker, der in meiner Anlage etwas überprüfen musste, und dass seitdem bei uns kein Ventilator mehr läuft. Herr Shubash fühlte sich schuldig. Nachdem er weg war, setzte sich Manuel an mein Bett. Er wusste nicht, wie er die Leichtigkeit des Seins der ersten Tage zurück in meine verzagte Seele bringen sollte.
„Ich weiß jetzt, was zu tun ist, Manuel“, sagte ich matt. „Ich schreibe einen Brief an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, in dem steht, dass ich meiner Aufgabe weder psychisch noch physisch noch wissenschaftlich gewachsen bin.“ Schon nach kürzester Zeit war ich völlig zermürbt und konnte mir nicht vorstellen, wie das hier die nächsten zwei Jahre lang weitergehen sollte.
Im Grunde meines Herzens erwartete ich natürlich aufmunternde Worte. Sowas wie: „Das wird schon“ oder „Jetzt sei doch nicht so entmutigt“ oder gar: „Du, das sind nur die üblichen Anfangsschwierigkeiten.“
Manuel jedoch meinte ganz sachlich, das sei eine gute Idee, und ich solle das so machen. Er schreibe parallel zu meinem Brief an den Deutschen Akademischen Austauschdienst mit einem vergleichbaren Text. Wir waren uns wieder einmal einig. Bevor wir die Briefe schrieben, zögerten wir dann doch etwas. Manuel kaufte an einem Stand vor dem Tempel, als Alternative zu den Briefen, ein buntes Papierbildchen des elefantenköpfigen Gottes Ganesh, des Beseitigers aller Hindernisse, und hängte es gegenüber dem Schutzengel auf – zur Beförderung eines interreligiösen Dialogs sozusagen.
Die Idee mit dem Ganesh-Bildchen als letzten Ausweg aus unserer seelischen Misere fand ich gut. Tröstlich, dass die indische Kultur für so jemanden wie uns eine eigene Gottheit bereithält. Da ist das Christentum nicht so praktisch und lebensnah. Nichts gegen den Grundgütigen. Aber ich finde, er macht es einem manchmal nicht ganz einfach. Da ist man in Not und soll sich an einen Schmerzensmann wenden, an einen, der selber in eine ausweglose Situation geraten ist, der hilflos am Kreuz hängt, mit Nägeln in Händen und Füßen, und nicht mehr kann. Das eigene Anliegen ist dann immer lächerlich. Man könnte natürlich einwenden, dass es ja noch Gottvater gibt. Der hängt an keinem Kreuz, sondern sitzt auf seinem Thron im Himmel und hat ein offenes Ohr für jeden, der ihn braucht. Aber war nicht er derjenige, der seinen Sohn verlassen hat, so sehr dieser auch Rettung von ihm erhofft hatte? Und dieser Gott, der seinem eigenen Sohn, als es um Leben und Tod ging, jede Hilfe verweigert hat, ausgerechnet der soll jetzt dafür sorgen, dass Manuel sein Symposion auf die Reihe bekommt und ich einen Schauspieler finde? Also mir leuchtet das ein, dass ein dicker Elefantengott mit seinen vier Armen, wie er da so neben seinen Zuckerbällchen sitzt und fidel in die Welt schaut, in der Lage ist, alle Hindernisse aus dem Weg zu schaffen.
Ob nun Ganesh in unser Leben eingetreten war, das sei dahingestellt. Jedenfalls ging es mit uns allen aufwärts:
Herr Shubash, der Gute, war persönlich zum Elektrizitätswerk gefahren und tauchte schon bald mit einem Mechaniker bei uns auf, der die Ventilatoren wieder zum Laufen brachte.
Manuel hatte einen Steinmetz gefunden, mit dem zusammen er draußen vor der Gartenmauer an einem Kunstwerk arbeitete, das er auf seinem Symposion auszustellen gedachte. Der Garten war für die Kinder, die Pflanzen und die Tiere reserviert. Niemand hatte etwas dagegen einzuwenden, dass auf dem Gehweg ein tonnenschwerer Granitblock lag, an dem immerzu herumgehämmert wurde, was ja nicht gerade leise ist. Außerdem korrespondierte Manuel frischen Mutes mit dem Deutschen Generalkonsulat. Bald kam ein Brief mit der Einladung zu einer Vernissage im Hause des britischen Konsuls in Madras. Wir hatten dem Briefträger einen Crash-Kurs im Lesen unseres Namens und unserer Adresse verpasst, zusammen mit einer kleinen Zuwendung für seine Kinder. Die Post kam an.
Dank meiner Katzentherapie wurde ich bald wieder gesund, arbeitete in der Bibliothek oder lernte Tamil.
Die Kinder waren mit ihren neuen Freundinnen und den Tieren beschäftigt, an Unterricht war allerdings auch mit raffiniertesten Belohnungen und den ausgefeiltesten Argumenten nicht zu denken. Nicht mal mit Drohungen, zu denen man ja gerne mal greift, wenn alles andere nichts mehr nützt. Als die großen Meisterpädagogen hatten wir schon gleich zu Beginn unseres Indienaufenthaltes versagt. Bereitwillig ließen wir uns, hilflos, von unseren Kindern in die Ecke drängen. Wir riefen uns Rudis pädagogisches Konzept des „latenten Reifungsprozesses“ ins Gedächtnis, mit dem schon Generationen besorgter Waldorf-Eltern ruhiggestellt worden sind, wenn ihre Kinder faul, unmotiviert oder gelangweilt waren. Wir brauchen uns doch gar nicht zu verkrampfen, auch Johanna und Lena werden irgendwann mal, wenn sie reif genug sind, das drängende Bedürfnis nach Wissen entwickeln. Ganz von selbst, ganz von alleine, ganz spielerisch. Auf diesen Moment müssten wir eben vertrauensvoll warten. Jetzt bloß nicht aufregen, ganz ruhig bleiben und die Kinder nicht verunsichern. Empathie ist angesagt: Haben denn die Armen nicht schon genug unter dem gewaltigen Kulturschock zu leiden? Waren nicht wir diejenigen, die sie herausgerissen haben aus allem Vertrauten, aus allem, was ihnen lieb war? Weg von Oma und Opa, den Legosteinen, dem Halma- Spiel und den Schlagern der Fünfzigerjahre; weg von ihren Freundinnen und Freunden; weg von ihrem Zimmer in unserer engen Bude mit dem fleckigen, einst gelben Flauschteppich, auf dem schon viele Saftgläser und Kakaobecher umgekippt sind; weg von Johannas Super-Lehrerin und der geliebten Schule, in der die Böden so gemütlich nach Bienenwachs und die Toilettenanlagen nach nichtionischen Tensiden auf pflanzlicher Basis, Duftnote Zitrus, rochen; weg von Lenas Kindergarten, in dem schon in aller Früh die zarten Klänge der Kantele ertönten, wo sie Brot backen und Apfelmus kochen durfte. Von Fix und Foxi ganz zu schweigen, den beiden Wüstenrennmäusen mit den vom vielen Streicheln fettigen Fellchen, die sich selbständig ihr Nestchen in meinem linken Skistiefel gebaut hatten. – Alles weg von einem Tag auf den anderen, alles verloren. Und mitten hinein in diese Tragödie, da sollen wir auch noch die Kinder zum Lernen antreiben? Wir ruderten zurück, ließen die Kinder spielen und konzentrierten uns auf unsere Arbeit.
Ein Spinnennetz: Jeder Knoten eine Aufführung
Meine Erfahrung in Murukambakkam lehrte mich, dass ich einen Dolmetscher brauchte, der bereit war, mit mir auf die Dörfer zu fahren. Konrad, ohne den ich in diesem Land gar nicht lebensfähig gewesen wäre, kannte einen geeigneten Menschen СКАЧАТЬ