Indisches Drama. Hilde Link
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Название: Indisches Drama

Автор: Hilde Link

Издательство: Автор

Жанр: Культурология

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isbn: 9783496030379

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СКАЧАТЬ um drei klopfte ich vorsichtig an seine Bürotür, damit er nicht aus seinen Träumen aufschrecken musste, und rief erst leise, dann immer lauter seinen Namen, bis ein langgezogenes „jaaaaa, kommen Sie herein“ ertönte. Beim Betreten des Zimmers hatte sich Herr Huber schon in die Sitzhaltung hochgerappelt und tastete mit den Füßen nach seinen braunbeige- karierten Filzschlappen und mit den Händen nach seiner Brille. Der von seiner Frau selbst gestrickte Pullunder korrelierte farblich mit den Schuhen. Die Kekse hatte Herr Huber schon in einer hübschen Schale auf dem Tisch stehen, meist brachte ich noch Schokolade mit, der Teekocher wurde angeschmissen. Bald duftete es nach wunderbarem Darjeeling, den mein Lehrer in einer komplizierten Zeremonie zubereitet hatte. Teebeutel waren für ihn Barbarei. Es konnte losgehen. Ich lernte lesen und schreiben, die Tamil-Sprache hat über zweihundert Zeichen, für das Sprechen behalfen wir uns mit dem, was da stand. Herr Huber wurde nicht müde zu beteuern, dass er selbst Autodidakt sei. Er war dem, was wir im Unterricht durchnahmen, immer ein oder zwei Kapitel voraus. Bei Kapitel sechsunddreißig war dann Herr Huber mit seinem Latein, bzw. seinem Tamil, am Ende. Und ich somit automatisch auch.

      Es war Aaya, die mich in Verzweiflungszustände hineinmanövriert hat, um jetzt wieder auf meinen Schock zu sprechen zu kommen. Hatte ich denn nicht ein Jahr lang, jeden Tag, den der Herr werden ließ, nach dem Frühstück eine Stunde lang, sozusagen als Morgenmeditation, eifrig und geradezu mit Hingabe – ja, das muss man so sagen, mit Hingabe – mich dieser Sprache gewidmet? Und jetzt sagt Aaya was zu mir und ich stehe da und schaue dumm. Umgekehrt verstand Aaya außer „vanakkam“ von mir kein einziges Wort, und wenn ich es noch so schön aussprach. Es war zum Haare-Raufen. Mit sechsunddreißig Lektionen sollte man sich doch wohl wenigstens rudimentär verständigen können. Ich begriff, dass mit meinem Spracherwerb irgendwas fundamental schiefgelaufen war, und ich vertraute mich Konrad an. Er musste sich zusammenreißen, um nicht laut über meine Naivität zu lachen.

      „Gesprochenes Tamil und literarisches Tamil, Hilde, das sind zwei ganz verschiedene Dinge“, klärte er mich auf.

      Ach nee, das immerhin hatte ich auch schon kapiert. So lernte ich bei Herrn Huber, nur um ein Beispiel zu nennen, für die Zahl zwei „irantu“ zu sagen, denn so schreibt man das Wort. Aber man spricht „rende“. Schon ein kleiner Unterschied.

      Mir war klar, dass ich erst einmal anständig Tamil lernen musste. Konrad bot mir an, mein neuer Lehrer zu sein, und kam regelmäßig zum Unterricht ins Haus. Selbst als er später, zurück in Heidelberg, am Südasien-Institut lehrte, fuhr ich zwei Jahre lang, DFG-finanziert, jeden Mittwoch von München mit dem Zug nach Heidelberg in der Hoffnung, irgendwann einmal mit diesem Horror von Sprache auf einen grünen Zweig zu kommen. Zu meinem größten Bedauern ist dieser Zweig aber nie ganz grün geworden, schöne Blüten sind mir bis heute nicht vergönnt.

      Ich war froh, dass Konrad jeden Tag kam, um mir Tamil beizubringen. So gut es meine Begriffsstutzigkeit zuließ, lernte ich eifrig. Das gab meinem Leben vorerst einen beruflichen Sinn. Nichtsdestotrotz schlichen sich zaghaft Erinnerungen ein, weswegen ich eigentlich hergekommen war. Manuel ging es auch nicht viel anders. Weder er noch ich hatten irgendeine Ahnung, wo wir anfangen sollten.

      Wenigstens über die schulische Zukunft der Kinder brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Lena wäre in Deutschland in die erste Klasse gekommen. Wir trauten uns zu, ihr die Grundlagen von Lesen, Schreiben und Rechnen selbst vermitteln zu können. Eurythmie fiel allerdings erstmal flach. Immerhin, Wachsmalkreiden waren dabei. Lena hat ihre Schulzeit in Deutschland dann einfach mit der zweiten Klasse begonnen. Johanna war bei unserer Abreise schon in der vierten Klasse. Waldorflehrer im Allgemeinen sind engagiert, Johannas Lehrerin war es ganz besonders. Mit ihr hatten wir vereinbart, dass meine Mutter einmal im Monat in die Schule fährt, alle Arbeitsunterlagen abholt und uns diese nach Indien schickt. Jede Woche wurde einem anderen Kind die Aufgabe zugeteilt, für Johanna mitzuschreiben, und einmal im Monat schrieben alle zweiunddreißig Kinder in der Klasse einen Brief, in dem stand, was sie besonders bewegt hatte. Natürlich sollte auch Johanna über ihre Erlebnisse in Indien berichten. Ihre Briefe wurden in der Klasse vorgelesen. Das hat dann auch alles funktioniert, und so ist Johanna integriert geblieben. Bei ihrer Rückkehr war alles so, als wäre sie nie weg gewesen.

      Den Tagen des Glücks folgten Tage der Ratlosigkeit und der Verwirrung. Wir werkelten im Garten und im Haus herum. Mit einem unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit und Mühe, viele Stunden waren totgeschlagen, wurde in einer Ecke ein kleines Regal für den brokatgewandeten lockigen Rauschgold- Schutzengel mit den goldenen Flügeln befestigt, den meine Mutter Manuel mitgegeben hatte. Kaum war unser Hausaltar fertig, kniete Aaya schon davor und betete. In Pondicherry leben vierzig Prozent Christen. Aaya, die Germaine (sprich „Dschärman“, Betonung auf ä), die Deutsche, hieß, war eine von ihnen. Sie war fromm und gottesfürchtig. Wir zeigten Aaya, dass wir unter dem Deckchen, auf dem der Engel stand, Geld, Pass und Papiere, darunter auch die inzwischen ungültig gewordene Aufenthaltsgenehmigung, deponiert hatten. Nicht dass sie beim Putzen versehentlich das Versteck entdeckte. Mit einer pantomimischen Darbietung, meine neu erworbenen Sprachkenntnisse ließen noch nichts anderes zu, machte ich Aaya klar, dass sie und ihre Kinder und Enkelkinder für ewig in der Hölle schmoren würden, sollte etwas fehlen. Bereits im Paradies angekommene Vorfahren würde der Höchste Herr persönlich verstoßen, so wie er es damals mit Luzifer getan hatte, der dann, wie sie ja weiß, zum Teufel geworden ist. Das Depot war sicherer als jeder Tresor.

      Wie gut, dass wir die Kinder hatten. Sie waren der Grund, so redeten wir uns das ein, dass wir beruflich nichts zustande brachten. Gute Eltern kümmern sich. Manuel war vorerst der einzige Spielkamerad und baute mit ihnen im Garten Erdburgen, spielte Fangen, soweit es seine Puste zuließ, oder Verstecken. Ich tat etwas für die Bildung, erwarb das gesamte große Epos Mahabharata, da geht es um einen Erbfolgekrieg, und das Ramayana, eine Liebesgeschichte, als mehrbändige Kinderbücher mit grell-farbigen Abbildungen. Als Gute-Nacht-Geschichten las ich den Kindern in englischer Sprache einzelne Episoden vor und erklärte, was sie nicht verstanden hatten. Noch heute kennen sie die beiden Epen in- und auswendig. Johanna, die später Indologie, Ethnologie und Vergleichende Religionswissenschaften studierte, hatte noch in ihrer Studienzeit die bunten Bilder vor Augen. Allerdings hatten sich zwischen Manuel und mir Meinungsverschiedenheiten aufgetan. Er fand nämlich, dass das Mahabharata zu grausam ist für zarte Kinderseelchen. Vor allem die Geschichte von Hidimba, dem Dämon, der gerne Blut trank und Menschenfleisch verzehrte und der mit blutigen Fangzähnen abgebildet war, sollte ich unter keinen Umständen vorlesen, schon gleich gar nicht die entsprechende Abbildung zeigen. Das würde Albträume auslösen, an deren Folgen die Kinder für immer ein Trauma davontragen würden. Künstler sind sensibel. Ich hingegen war der Ansicht, das Mahabharata ist, wie es ist, und da kommt eben Hidimba drin vor, und man darf nicht eigenmächtig an jahrtausendealten indischen Traditionen herummurksen, indem man einfach das weglässt, was man aus ethnozentristischer Sicht für didaktisch unpassend hält. Ich würde schließlich auch nicht sagen, dass das Fangen-Spielen bei den Kindern einen Erschöpfungszustand hervorruft, der im Alter dann die Ursache für einen Herzinfarkt ist.

      Manuel und ich versuchten verzweifelt, in diesem Land beruflich irgendwie Fuß zu fassen. Zwar hatte Manuel begonnen, alle möglichen Künstler- Kollegen anzuschreiben, weil er vorhatte, ein internationales Symposion zu organisieren, auch zum Deutschen Generalkonsulat hatte er Kontakt wegen einer Finanzierung aufgenommen, aber bisher hatte noch niemand geantwortet. Kein Wunder, der Briefträger konnte nicht lesen und stellte, wenn überhaupt, nur zu, was schön und deutlich auf Tamil aufgemalt war. Ach, wären wir doch nie hierhergekommen. Ich fragte Aaya, ob sie mir helfen könne, wen zu finden, der etwas mit Straßentheater zu tun hat. Sie versprach, sich umzuhören.

      Um mich theoretisch auf meine Aufgabe vorzubereiten, ging ich in die École Française d’Extrème-Orient in der Rue Dumas. Das im französischen Kolonialstil gebaute Gebäude ist inzwischen Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Für einen Wissenschaftler ist diese Institution ein Traum. Kein Buch zu meinem Forschungsvorhaben, das nicht da war. Ich traute meinen Augen nicht, welche Raritäten sich vor mir auftaten. Als Erstes wies mir der Direktor, dem ich mich vorgestellt hatte, einen eigenen Arbeitsplatz zu. Auf einem riesigen Teakholztisch СКАЧАТЬ