Название: Indisches Drama
Автор: Hilde Link
Издательство: Автор
Жанр: Культурология
isbn: 9783496030379
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Endlich! Shivan war, wie vereinbart, um zehn Uhr vormittags da, eilte mit einem kurzen Gruß auf die Veranda, und dann kam gleich die Überraschung: Der Taxifahrer stammte aus einem Dorf, ganz in der Nähe von Pondicherry, und dort wohnten Schauspieler. Meine Freude war verhalten, nach dem, was ich in Murukambakkam erlebt hatte. Für die große Reise hatte ich Wasser, Obst und Nüsse eingepackt und einen bunten Punjabi Dress angezogen, das ist eine Hose mit einem Kleid darüber und einem Schal. Von Saris hatte ich vorerst genug. Man lernt dazu.
Shivan war mit einer uralten, zerbeulten Schrottkarre gekommen, einem Hindustan Ambassador. Diese Autos werden in Indien nach der Vorlage des Morris Oxford Series III in Lizenz gebaut.
Es ist tatsächlich als eine unwiderlegbare Wahrheit festzuhalten, dass es auf diesem gesamten Globus nichts Unappetitlicheres gibt als ein indisches Taxi. Ich stieg ein und nahm auf der Rückbank Platz. Vorne saßen schon der Fahrer, Ganeshan, und ein junger Mann, dessen Aufgabe darin bestand, an Kreuzungen auszusteigen und regelnd in den chaotischen Verkehr einzugreifen. Abgestandener Schweißgeruch schlug mir entgegen. Die Rückbank war feucht. Dank des Drucks meines Körpergewichtes konnte sich der angestaute Uringeruch, der auf diesen Augenblick schon gewartet hatte, entfalten wie der freigelassene Flaschengeist. Der mit dunklem blumengemustertem Samt bezogene Sitz ließ nicht sofort erkennen, dass wohl schon so mancher Fahrgast, so vermutete ich mit meinem westlichen kulturellen Hintergrund, sich im Angesicht des Todes wähnend, sich vor Schreck in die Hose gemacht hatte. Im ersten Impuls wollte ich aufspringen und laut protestierend rufen, dass ich keinen Meter in diesem Gefährt zurücklegen werde. Aber da war Shivan schon eingestiegen, und der Geruch intensivierte sich. Soll doch er was sagen, schließlich hatte er das Taxi organisiert. Und außerdem wollte ich nicht gleich zum Auftakt unserer Zusammenarbeit die überkandidelte Zicke geben. Shivan sagte dem Fahrer, er könne losfahren. Vorsichtig fragte ich: „Riechst du das?“ Shivan bejahte und gab mir gleich die erste Lektion in indischer Kulturkunde:
„Wenn die indische Frau auf Reisen geht, dann trinkt sie vorher nichts, damit sie nicht den Fahrer bitten muss, mitten auf der Strecke anzuhalten. Das ist unanständig. Es geht einfach nicht, dass eine Frau sich in die Büsche schlägt. Lokale gibt es so gut wie keine am Straßenrand, und wenn, dann haben sie keine Toilette. Jetzt kommt es bei langen Reisen aber dennoch vor, dass auch eine indische Frau irgendwann mal muss. Und dann, naja...“
Schon wieder was gelernt.
„Was meinst du wohl“, ergänzte Shivan, „warum hier alles mit dickem Samtstoff bezogen ist.“
Ich verriet nicht, dass ich ganz ohne Arg dachte, das würde der indische Fahrgast vielleicht schön finden.
Wir fuhren also los, und ich bestand mit Nachdruck darauf, dass alle Fenster offenblieben. In der Nähe der ersten Kreuzung bückte sich Ganeshan, um die Handbremse mit einem Ruck anzuziehen. Instinktiv, eine Vollbremsung erwartend, hielt ich mich an der Rückenlehne des Vordersitzes fest, da, wo der Samt abgewetzt war. Aber nichts passierte. Das heißt, doch, der Wagen verlangsamte sich etwas, bis er schließlich genau an der Kreuzung ausrollte. Die Zehen von Ganeshans linkem Fuß, er fuhr ohne Schuhe, wie alle Taxifahrer, umklammerten das Kupplungspedal, während er dieses drückte, der rechte Fuß stand ruhig auf der Fußmatte.
„Shivan, das Auto hat keine Bremsen!“, rief ich erschrocken. Mein Mitreisender beruhigte mich:
„Keine Sorge, Ganeshan hat viel Erfahrung mit diesem Auto, er weiß genau, was er tut.“
„Und die Beulen?“, warf ich ein.
„Kleine Karambolagen, nichts weiter, das siehst du doch. Und außerdem: schau da.“
Shivan zeigte auf eine kleine Figur auf dem Armaturenbrett: Maria auf der Mondsichel. Sie stand direkt neben dem beigefarbenen Plastik-Elefantengott Ganesh. Eine Hibiskusblüte klemmte unter einem seiner vier Arme und welkte erwürgt vor sich hin. Eines der Blütenblätter verdeckte halb das Gesicht des Propheten, dessen Abbild zu den Füßen des Gottes klebte. Etwas abseits der Götterwelt gab eine orangefarbene Duft-Chemikalie, die in einem geriffelten Flakon vor sich hin schaukelte, mit ihrem beißenden Dampf ihr Bestes. Ich hielt den Schal vor Nase und Mund. Als Shivan mich irritiert anschaute, entfernte ich mein Schutzschild kurz, nickte lächelnd und sagte so überzeugend wie möglich: „Der Fahrtwind.“ Von der Landschaft bekam ich rein gar nichts mit. Vornübergebeugt, die Fingernägel in die Rücklehne des Vordersitzes gekrallt, beobachtete ich angestrengt die Straße mit all ihren Ochsenkarren, Hunden, Kühen, Enten, Hühnern, Fahrrädern, Menschen, Lastwagen und den anderen Ambassadors. Meine Mitreisenden nervte ich mit angstvollen „Careful!!! Careful!!!“ - Zwischenrufen. Immer dann, wenn ich die Situation als ganz besonders gefährlich einstufte, schickte ich nach „Careful!!!“ ein Stoßgebet zum Himmel. Eine Klosterschule geht nicht spurlos an einem vorüber, und Mater Ancilla, eine Nonne des Ordens der „Englischen Fräulein“, in München-Nymphenburg, und treue Magd des Herrn, meine Lateinlehrerin, hat immer gesagt, Stoßgebete sind die allerwirksamsten Gebete überhaupt, da kann nicht mal ein kompletter Rosenkranz mithalten, und im Krieg seien viele Soldaten wegen ihrer Stoßgebete gerettet worden. In der Gewissheit, dass meine Gebete, von wem auch immer, erhört werden, lehnte ich mich irgendwann zurück und schloss die Augen. Fahrgast sein in einem indischen Taxi ist anstrengend. Auf Kopfhöhe der hohen Rückenlehnen hinten zeugte eine glänzende Fettschicht davon, dass schon viele Menschen mit Kokosnussöl-gepflegten Haaren mitgefahren waren. Die Läuse der früheren Fahrgäste machten es sich auf meinem Kopf gemütlich (als ich dann zu Hause war auch auf den Köpfen der Kinder). Ganeshan steuerte das Gefährt mit großer Sicherheit und Weitblick durch die Landschaft; anstatt zu bremsen, wich er aus.
Das Dorf, in dem wir Schauspieler zu finden hofften, war natürlich nicht „ganz in der Nähe“, sondern nach mehrstündiger Fahrt immer noch nicht in Sicht. Nach einer halben Stunde Hauptstraße bogen wir ab und fuhren auf endlosen einspurigen Wegen dahin. Die Hitze und der Gestank im Auto waren wegen der langsamen Fahrt und des damit verbundenen Mangels an frischer Luft eine ausgesprochen unglückselige Verbindung eingegangen. Hielt ich den Schal vor Mund und Nase, wurde mir wegen Sauerstoffmangels schwindelig. Atmete ich ganz normal, wurde mir ebenfalls schwindelig. In kurzen Abständen ließ ich anhalten. Sollten die doch denken, was sie wollten, schließlich war ich keine indische Frau. Abseits des Autos setzte ich mich auf die heiße Erde, sobald Schlangen, Skorpione und sonstiges Getier Reißaus genommen hatten, und genoss für ein paar Minuten die grandiosen Aussichten auf das weite, flache Tamil-Land mit seiner roten Erde. Ich nahm mir vor, einen Bildband herauszugeben mit dem Titel: „Die schönsten Pinkelplätze Südindiens.“
Irgendwann am Nachmittag waren wir in der Nähe von Kanchipuram, mitten in der Pampa. Shivan machte den Vorschlag, wir sollten einkehren. Geschickt steuerte Ganeshan das Gefährt in die Nähe eines Tempels, wo unter einem Palmblatt-Verschlag Bananenblätter mit einem scharfen Reisgericht für ausgehungerte Pilgerreisende dargeboten wurden. In meiner Kultur isst man nicht mit den Fingern, und so stellte ich mich wegen mangelnder Übung dementsprechend dämlich an. Aber immerhin war es mir gelungen, den einen oder anderen Happen des Spinat-artigen Gemüsereises außer auf meinen Punjabi Dress und den Tisch auch in den Mund zu befördern. Die Speise war höllenscharf, was mir egal war, Hauptsache überhaupt was zu essen. Endlich hatte ich alles brav aufgegessen, meine Mutter wäre stolz auf mich gewesen, СКАЧАТЬ