Название: Begegnungen mit Bismarck
Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242683
isbn:
* * *
Um diese Zeit begann der politische Einfluß des Generals von Radowitz. Ich bin diesem merkwürdigen Manne nur einmal im Hause des Oberpräsidenten Flottwell begegnet, werde aber nie den Eindruck seines prachtvollen Kopfes vergessen. Eine breite hochgewölbte Stirn unter kurzem grauen Haar, sprechende dunkle Augen, sanft gebogene Nase, fest geschlossene Lippen, volltönende, weiche Stimme; eine imponierende und zugleich gewinnende Erscheinung.
Radowitz hatte in der Frankfurter Paulskirche auf der äußersten Rechten gesessen, war aber von den dort hoch auflodernden Flammen nationaler Einheitsbegeisterung durchglüht worden. Er brachte nach Berlin die Ueberzeugung zurück, daß „die Revolution zu schließen“ nur gelingen könne, wenn man den berechtigten Kern der Volkswünsche zur Entwicklung brächte durch Bildung eines Bundesstaates auf Grundlage der zu modifizierenden Frankfurter Reichsverfassung, mit Zustimmung der Fürsten; daß aber einfache Herstellung des seit 1815 bestandenen deutschen Staatenbundes „die Revolution verewigen“ würde.
Diese Anschauungen kamen dem leidenschaftlichen Wunsche des Königs entgegen, in Deutschland auf legalem Wege etwas Haltbares zustande zu bringen. Durch den Ministerpräsidenten Grafen Brandenburg wurde Radowitz zur Leitung der in der deutschen Verfassungsfrage mit den Regierungen angebahnten Verhandlungen berufen.
Bei dem Dresdener Aufstand (anfangs Mai) bewährten sich die sächsischen Truppen als zuverlässig, bedurften aber doch der Hilfe eines Berliner Regiments, um zu siegen. In Hannover wurden Unruhen befürchtet.
Unter solchen Zeitumständen kam am 26. Mai auf Grundlage des modifizierten Frankfurter Verfassungsentwurfs das sogenannte Dreikönigsbündnis zustande, welchem beizutreten den andern deutschen Staaten freigestellt wurde.
An demselben Tage übersandten jedoch Sachsen und Hannover ausführlich motivierte Erklärungen, welche den Rücktritt für den Fall vorbehielten, daß nicht alle deutschen Staaten sich dem Bündnisse anschließen würden. Die Fassung dieser Erklärungen ließ die Abneigung beider Staaten gegen dauernde Unterordnung unter Preußen deutlich erkennen. Die Schriftstücke wurden jedoch, wie es in einem amtlichen Berichte heißt, „im Vertrauen zu der Loyalität der Bundesgenossen entgegengenommen“ und bei den weiteren Verhandlungen nicht beachtet.
Den Grafen Brandenburg hatte Radowitz für seine Politik vollständig eingenommen; der Minister Manteuffel aber stand ihr ungläubig, General von Gerlach feindlich gegenüber. Dieser höchst ausgezeichnete Mann hatte sich auch in seiner Stellung als Generaladjutant des Königs eine seltene Geistesfrische und Charakterunabhängigkeit bewahrt. Er kannte die deutschen wie auch die im Osten benachbarten großen Höfe zu genau, um nicht ein trauriges Ende aller damaligen Verhandlungen über einen deutschen Bundesstaat voraussehen zu müssen.
Im Sommer brachen Aufstände aus in der bayerischen Pfalz und in Baden, wo die Truppen mehrfach zu den Aufständischen übergingen. Diese wurden überall von preußischen Regimentern geschlagen und zerstreut.
Bayern blieb jedoch wie auch Württemberg dem Dreikönigsbündnis fern.
Als im August der preußische Landtag wieder zusammentrat, machte die Staatsregierung eingehende Mitteilungen über die Ergebnisse ihrer Verhandlungen mit den deutschen Staaten.
Der ausführliche Bericht, welchen Radowitz (am 25. August) dem Abgeordnetenhause über seine Thätigkeit mündlich erstattete, machte einen großen Eindruck. Gelesen erschien diese Rede nur als ein formvollendetes Meisterstück; von Ohrenzeugen wurde mir aber erzählt, daß der wunderbare Mann durch die Töne seines Vortrags viele Abgeordnete bis zu Thränen gerührt hätte sowie daß die große Mehrheit der Versammlung seine Politik vollständig zu billigen schiene.
Dem Bündnisse beigetreten waren damals 18 Staaten; vorläufige Bereitwilligkeit zum Beitritt hatten 7 erklärt, während andere 7 noch im Schweigen verharrten.
Am 6. September eilte ich ins Abgeordnetenhaus, um Bismarck zu hören, über dessen Stellung zu Radowitz, dem notorischen Lieblinge des Königs, ich noch nicht im Klaren war.
Die Abgeordneten waren neu gewählt, nach dem Dreiklassenwahlgesetz. Die demokratische Partei hatte nicht mitgewählt und war daher nicht vertreten. Aber auch in diesem aus gemäßigten Elementen zusammengesetzten Hause war die große Mehrheit von dem leidenschaftlichen Wunsche erfüllt, den deutschen Bundesstaat verwirklicht zu sehen.
Die Sitzung begann mit einem durch den Abgeordneten von Beckerath vorgetragenen Kommissionsbericht, welcher die radowitzsche Politik vollständig billigte. Es sprachen dann zwei weniger bekannte Redner dafür und Reichensperger, welcher die Ausschließung Oesterreichs verabscheute, dagegen.
Endlich bestieg Bismarck die Rednerbühne, wie es damals in der Regel geschah, und stand also dem Ministertische nahe gegenüber, an welchem Brandenburg und Radowitz saßen.
Nach einleitenden Bemerkungen sagte er, man möge die Errungenschaften des preußischen Schwertes nicht weggeben, „um die Nimmersatten Anforderungen eines Phantoms zu befriedigen, welches unter dem fingierten Namen von Zeitgeist oder öffentlicher Meinung die Vernunft der Fürsten und Völker mit seinem Geschrei betäube, bis jeder sich vor dem Schatten des andern fürchte und alle vergäßen, daß unter der Löwenhaut des Gespenstes ein Wesen steckt von zwar lärmender, aber wenig furchtbarer Natur“.
Das Dreikönigsbündnis werde wegen der bekannten Vorbehalte Sachsens und Hannovers voraussichtlich von kurzer Dauer sein.
Die projektierte Bundesstaatsverfassung sei in den wichtigsten Bestimmungen unvereinbar mit der von der Staatsregierung als zu Recht bestehend anerkannten Verfassung des Deutschen Bundes.
Nach dem vorliegenden Entwurfe solle Preußen ‚seine sämtlichen Aktiva einwerfen in den Konkurs der übrigen deutschen Staaten‘; es solle verzichten auf Disposition über Heer und Finanzen zu Gunsten von abhängigen Reichsbehörden, abhängig von einem Parlament, in dessen Oberhaus von Rechts wegen, im Unterhause durch Einwirkung der Demokratie die preußischen Interessen in der Minorität sein würden.
Der Entwurf vernichte das spezifische Preußentum und damit den stärksten Pfeiler deutscher Macht.
Der königliche Kommissar (Radowitz) habe recht gehabt, als er sagte, der Entwurf sei von entgegengesetzten Seiten angegriffen worden. Der Entwurf gefalle niemandem, vielleicht mit Ausnahme derer, die an seiner Verfertigung Anteil gehabt hätten.
Nach Beleuchtung einiger preußischer Eigenschaften und Verdienste schloß Bismarck mit den Worten:
„Wir alle wollen, daß der preußische Adler seine Fittige von der Memel bis zum Donnersberge schützend und herrschend ausbreite, aber frei wollen wir ihn sehen, nicht gefesselt durch einen neuen Regensburger Reichstag und nicht gestutzt an den Flügeln von der gleichmachenden Heckenschere aus Frankfurt. …. Preußen sind wir und Preußen wollen wir bleiben; ich weiß, daß ich mit diesen Worten das Bekenntnis der preußischen Armee, das Bekenntnis der Mehrzahl meiner Landsleute ausspreche; und hoffe ich zu Gott, daß wir auch noch lange Preußen bleiben werden, wenn dieses Stück Papier vergessen sein wird wie ein dürres Herbstblatt.“
Nach dieser eindrucksvollen Rede erhob sich Radowitz, um ruhig zu erklären, die Regierung wolle, da es sich um ein Vertrauensvotum handele, in die Debatte nicht eingreifen, sondern die Würdigung vieler unbegründeter und ungerechter Angriffe dem Hause und dem Lande überlassen.
Am folgenden Tage wurden die Kommissionsbeschlüsse von einer großen Mehrheit СКАЧАТЬ