Название: Begegnungen mit Bismarck
Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242683
isbn:
Mir gaben diese Tage ein unbegrenztes Vertrauen zu seiner Gewissenstreue. Die besondere Vorliebe des Königs für Radowitz und dessen Politik war bekannt. Trotzdem sah sich Bismarck durch sein politisches Gewissen genötigt, gegen den Mann des Tages schonungslose Angriffe zu richten.Den allen älteren Geschichtsfreunden sattsam bekannten Hauptinhalt der beiden Reden Bismarcks gegen die Entwürfe der Reichsverfassung und der Bundesstaats-Verfassung von 1849 habe ich hier wiedergegeben, um der minder kundigen Jugend das Geisteswunder vor Augen zu stellen, daß der entschiedenste Gegner der damaligen Einigungsbestrebungen im Laufe von kaum zwei Jahrzehnten sich zum Baumeister der Einheit Deutschlands entwickelt hat.
1849 sagte er gelegentlich: „Was scheren mich die Kleinstaaten; mein ganzes Streben geht nur auf Sicherung und Erhöhung der preußischen Macht“; 1866 und 1867 aber hörte ich von demselben Manne mehrmals die Worte: „Mein höchster Ehrgeiz ist, die Deutschen zu einer Nation zu machen.“
Im Winter 1849/60 erfüllte er seine Pflichten als Führer der äußersten Rechten, indem er zu jeder im Landtage erscheinenden Gesetzesvorlage öffentlich Stellung nahm. So hielt er eingehende Reden über einzelne Bestimmungen der damals zu revidierenden oktroyierten Verfassung, über die Verhältnisse des Handwerks, über Ablösung der Reallasten, Renten und Waldservituten, über die Civilehe, die Einkommensteuer, die Grundsteuerbefreiungen und den Militäretat.
Mich interessierte am meisten seine gelegentliche Ausführung, daß das in andern Ländern geltende unbeschränkte Budgetrecht und das daraus zu folgernde Steuerverweigerungsrecht des Unterhauses für Preußen nicht passe, daß vielmehr zur Wahrung der Stellung des Königs notwendig sei, in der Verfassung die Bestimmung aufrechtzuerhalten, wonach bestehende Steuern bis zu ihrer gesetzlichen Aufhebung fortzuerheben sind.
Bismarck vermochte zwar mit seiner Ansicht damals nicht durchzudringen, da die Majorität des Hauses an der englisch-französischen Doktrin festhielt; der von ihr gestrichene Satz aber wurde später wiederhergestellt (Art. 109). Derselbe hat bekanntlich in den sechziger Jahren möglich gemacht, die Armeereorganisation des Königs aufrechtzuerhalten.
* * *
Frau von Bismarck kam im Oktober nach Berlin und gestattete, daß ich ihr wöchentlich eine Klavierstunde gab. Ihre Studien wurden jedoch durch ein glückliches Familienereignis unterbrochen. Im Dezember 1849 erblickte ein Erbe das Licht der Welt, der jetzige Fürst Herbert. Frau von Puttkamer war von Reinfeld zur Wochenpflege nach Berlin gekommen und blieb dann bis zum Frühjahr dort.
Eines Abends sprach sie im Familienkreise davon, daß man ihr erzählt habe, ihr Schwiegersohn tanze in jeder Gesellschaft alle Tänze „wie ein Fähnrich“.
„Das ist meiner Gesundheit sehr zuträglich,“ sagte Bismarck, „da es mir jetzt bei Tage an Bewegung fehlt.“
Frau von Puttkamer erwähnte scherzhaft, sie werde oft gefragt, ob er nicht ihre Tochter in die Gesellschaft einführen wolle.
„Ich glaube,“ erwiderte er, „daß Johanna viel lieber abends zu Hause bei den Kindern bleibt. Im Gedränge unbekannter Leute würde sie sich nicht wohlfühlen. Um aber bekannt zu werden und sich nicht zu langweilen, müßte sie alles mitmachen und fast jeden Abend ausgehen. Dazu würden ungefähr 15 verschiedene Ballkleider gehören, wenn es nicht mitunter heißen soll: ‚Ach, die trägt heute wieder ihr Blaues.‘ Die Sache wäre also ziemlich umständlich.“
„Fällt mir gar nicht ein,“ sagte Frau von Bismarck, „die Leute sind bloß neugierig, einmal die Frau des berühmten Mannes zu sehen. Aber, wer mich kennenlernen will, kann ja zu mir kommen.“
* * *
Im März trat das Erfurter Parlament zusammen.
Bismarcks dortiges Auftreten gegen Radowitz war wieder ebenso entschieden als erfolglos. Sachsen und Hannover waren vom Bündnis zurückgetreten; von den beiden Hessen wurde das Gleiche erwartet. Dennoch bewilligte eine große, aus gemäßigt Liberalen bestehende Majorität den ganzen Verfassungsentwurf (jetzt nicht mehr Reichsverfassung, sondern Unionsverfassung genannt) in einer Abstimmung und vollendete sodann in wenigen Wochen die vom König gewünschte Revision einzelner Bestimmungen.
In den folgenden Monaten, Mai bis November, erlitten wir schmerzliche Demütigungen.
Zur Ausführung der in Erfurt beschlossenen Unionsverfassung konnte man sich nicht entschließen; aber ebenso wenig zu deren Aufhebung nach Manteuffels Antrage. Oesterreich berief den alten Bundestag nach Frankfurt und begann zu rüsten, wie auch Bayern und Württemberg.
Auf Drängen des Kaisers Nikolaus wurde mit Dänemark Friede geschlossen unter Preisgebung der Elbherzogtümer.
In Kurhessen traten wir für Herstellung des vom Ministerium Hassenpflug beseitigten Rechtszustandes ein und ließen im Norden des Landes Truppen einrücken, während zum Schutze der bestehenden Regierung bayerische Regimenter von Süden herankamen.
Die von Radowitz wiederholt verlangten Rüstungen unterblieben und er trat ins Privatleben zurück.
Bald darauf wurde zwar infolge von Nachrichten aus Oesterreich die ganze Armee mobilgemacht; in Olmütz aber (28. November) verzichtete Manteuffel, Schwarzenberg gegenüber, sowohl auf den Schutz von Kurhessen als auf die Unionsverfassung.
Die dort in Aussicht genommenen Dresdener Konferenzen führten, wie zu erwarten gewesen, zur Herstellung des Bundestages in Frankfurt.
Man hat Radowitz mitunter verdächtigt, das Endziel seiner Politik sei gewesen, das schlecht gerüstete Preußen von Oesterreichs damals weit überlegenen Streitkräften überwinden zu lassen, um den Machtbereich der katholischen Kirche zu erweitern. Er war aber doch nur ein Träger der Politik des Königs, des Prinzen von Preußen und eines Teiles der Staatsminister. Die große Mehrheit der Abgeordneten ersehnte die Unionsverfassung, und Vincke würde ebendahin gesteuert haben, wenn der König ihn zur Leitung der bezüglichen Verhandlungen berufen hätte.
Ich würde jene Verdächtigung unerwähnt lassen, wenn nicht Fürst Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ (Band I S. 64) eine solche Möglichkeit, allerdings nur hypothetisch, angedeutet hätte.
Was diesen Zweifel an Radowitz’ Patriotismus veranlaßt hat, ist mir nicht bekannt geworden; dagegen kann ich bekunden, daß Bismarck in Petersburg, im März 1862, über dessen Bestrebungen mit Anerkennung geurteilt hat. Bei einem kleinen Diner sagte er, in Gegenwart des Gesandtschaftspersonals und einiger Gäste, daß, wenn er im Jahre 1849 die jetzt, seit 13 Jahren, gewonnene politische Erfahrung gehabt hätte, er Radowitz unterstützt haben würde. Denn ein Parlament wäre geeignet, die Sonderbestrebungen der kleinen Fürsten einzuschränken. Allerdings hätte die unerläßliche Voraussetzung dieser Politik der Nachweis eines befriedigenden Zustandes unserer Armee sein müssen. Die Annahme, daß Oesterreich sich ohne Kampf aus Deutschland würde verdrängen lassen, sei ein unbegreiflicher Irrtum gewesen, welchen indes auch Personen leitender Kreise sowie die große Mehrzahl der Abgeordneten geteilt hätten.
Bismarck war demnach schon im Frühjahr 1862 mit dem Zukunftsbilde des deutschen Reichstages vertraut.
Anfangs Dezember 1850 erhielt ich die Nachricht von der Olmützer Verständigung in einem Dorfe an der sächsischen Grenze, wohin ich mit einem Landwehr-Kavallerie-Regiment marschiert war. Das Regiment erschien mir trotz besten Willens der Leute keineswegs kriegstüchtig, und СКАЧАТЬ