Название: Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis
Автор: Meinhard-Wilhelm Schulz
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783745212631
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Eine heiße Woge durchbrauste mich. Ich konnte die Blicke von diesem weiblichen Adonis nicht mehr losreißen. Ich war hingerissen. Mein Freund schmunzelte wissend und schwieg. Er kannte seinen weibstollen Pappenheimer.
Erneut meldete sich melodisch die Glocke. Kurz darauf brachte der Butler unseren zweiten und letzten Gast zu seinem Sessel. Es war, wie ich nun freilich erwartet hatte, Maria Augusta, die schöne Mutter des toten Raimondo.
Sie trug ein federleichtes, tief dekolletiertes bodenlanges Kleid, das ihre weibliche Figur umschmeichelte. Es war aus dunkelgrauer, fast schwarzer Seide gefertigt und in der Taille mit einer silbernen Kordel gegürtet. Das Gewand lief in feine Ärmel aus, welche unmittelbar am Handgelenk endeten. Ihre Füße steckten in filigran geflochtenen Sandalen, so herrlich, wie sie nur Italiens Schuhmacher zustande bringen.
Maria Augusta war dezent geschminkt und verströmte den sanften Duft der Rosen. Eine Halskette aus Bernstein sowie silberne Armreifen und schlichte Ringe aus Silber an den Fingern beider Hände ergänzten das Geschmackvolle und Gepflegte ihrer damenhaften Erscheinung.
Auch Signora Tiepolo blieb auf der Kante sitzen und warf zu Stein erstarrt verächtliche, ja, hasserfüllte Blicke auf die knabenhafte Erscheinung gegenüber, der sie sichtlich die unpassende Aufmachung verübelte. Der Gegensatz dieser fast gleichaltrigen Frauen konnte nicht größer sein.
Volpe begrüßte die beiden einander in wildem Hass zugetanen Personen mit einem netten »buona sera, signore«und hieß sie, es sich bequem zu machen, denn schon schleppte Giovanni das prall gefüllte erste Tablett herein, um die Speisen auf den Tisch zu bringen. Es wurde das Feinste vom Feinsten serviert, dazu der beste Wein samt lauwarmem Wasser zum Verdünnen, und Volpe hieß seine Gäste, munter zuzulangen.
Das taten sie denn auch, und mir ward jetzt mit jähem Schreck bewusst, welch gespenstisches Essen mein Freund hier veranstaltete, nämlich das Leichenmahl für Raimondo, der sich in der letzten Nacht das Leben genommen hatte, gegeben zugleich für Mutter und Ehefrau des Verblichenen.
Beide hatten, der alten italienischen Sitte gehorchend, den gesamten Tag über kaum etwas gegessen oder getrunken. Umso gieriger griffen sie nun zu und leerten die Becher, einen nach dem anderen. Alle Anspannung, alle Hemmungen schienen gefallen, und es dauerte nicht lange, bis der Geist des Weines seine Wirkung tat, Zungen und Seelen zu lösen. Bekanntlich wird nirgendwo so viel gelacht wie auf der Leichenfeier. Volpe nahm nun, als er den Augenblick für gekommen hielt, das Wort und sagte:
»Liebe Maria Augusta, liebe Cornelia, ich habe euch hierher zu einem privaten Abendessen geladen, um des Toten auf eine angemessene Weise zu gedenken, sowie diese heikle Angelegenheit mit euch zu besprechen. Sollte das Ergebnis zu meiner Zufriedenheit ausfallen, werde ich die Sache auf sich beruhen lassen. Wenn ihr aber nicht mit mir zusammenarbeitet, muss ich leider den Tenente di Fusco einschalten und ihm berichten, was ich weiß. Kommen wir zur Sache!
Jemand hat sich, ohne bereits um den Selbstmord des Raimondo wissen zu können, darum bemüht, ihn aus dem Gefängnis zu befreien, indem er vergangen Nacht eine fette Hure erdolchte. Sie hieß übrigens Amanda und war ein Dreckstück; dennoch: Mord bleibt Mord, obwohl das eine sinnlose Tat war.«
Cornelias Lippen verzogen sich bei diesen Worten zu einem flüchtigen Lächeln. Mit leisem Triumph sah sie zur Schwiegermutter hinüber. Volpe bemerkte dies und unterbrach seinen Vortrag für kurze Zeit. Ablenkend sagte er dann, unwillkürlich ins vertrauliche ‚Du‘ übergehend:
»Liebe Contessa Cornelia, ich kenne einige Leute von deiner Sippe der Malatesta aus Rimini, weil man mich dort vor ein paar Jahren konsultierte. Aber niemand von ihnen hatte so auffällig schöne Lippen. Deine sind fast herzförmig und breiter, als man das sonst gewohnt ist. Darf ich fragen, ob du einen Afrikaner unter deinen Vorfahren hast?«
»Ja, ja«, sagte sie, heftig errötend, »einer meiner vier Urgroßväter heiratete ein halbafrikanisches Mädchen. Er soll ganz verrückt auf die Hübsche gewesen sein. Meine Lippen, auf die ich stolz bin, könnten Erbe dieser kinderreichen Ehe sein.«
»Danke, vielen Dank«, sagte Volpe, »etwas Ähnliches hatte ich mir gedacht; nun zurück zum Thema:
Der, äh, Mörder wollte ganz Venedig glauben machen, dass der inhaftierte Graf unschuldig sei, das steht fest. Eine solche Tat konnte aber nur jemand begehen, der den wahren Mörder abgöttisch liebte, nicht wahr? Oder war es nur, um einer gewissen Person, die den Conte ebenfalls über die Maßen liebte, zu zeigen, wer hier der bevorzugte Herr des eigentlichen Mörders wäre?«
Maria und Cornelia erstarrten bei diesen Worten und sahen einander, die Fäuste geballt, über den Tisch hinweg hasserfüllt an. Volpe blickte von einer zur anderen und schien fürs Erste mit der Wirkung seiner Rede zufrieden zu sein. Nach kurzer Pause sagte er dann:
»Graf Raimondo war einmal ein Kind wie jedes andere, denke ich, zumindest äußerlich, und der Sohn eines Fleischers. Nicht wahr, Maria, du hast dich geschämt, auch vor deinem Sohn geschämt, Gattin eines Metzgermeisters zu sein?«
Sie gab keine Antwort und stierte zu Boden. Auch ohne die erforderliche Antwort war sonnenklar, dass Volpe recht hatte. Er fuhr gnadenlos fort:
»Weil du es nicht ertragen konntest, hast du deinem Mann eines Tages das Leben genommen, es ihm nehmen müssen und hast ihn vergiftet. Willst du das leugnen?«
»Nein, jetzt nicht mehr. Das ist inzwischen gleichgültig und unbedeutend«, keuchte Maria, »denn ich wollte nicht, dass mein kleiner Prinz in einer stinkenden Metzgerei aufwächst. Der Gedanke war mir unerträglich.«
»Woher hattest du das Gift?«
»Aus der Drogerie; Insektenvernichtungsmittel.«
»Gut! Du warst also eine von diesen Müttern, die aus ihrem Sohn, wie man so sagt, etwas Besseres machen wollen. Deinen Sohn als den eines Metzgers am Hackklotz stehen zu sehen, muss für dich entsetzlich gewesen sein. Im Album, das ich einsehen durfte, waren jede Menge Bilder von dir und Raimondo, aber keines von deinem Mann. Das sagt schon alles. Du hast dich seiner geschämt und deinen Sohn dazu gebracht, den Vater ebenso leidenschaftlich zu verabscheuen wie dich zu lieben, das ist die Wahrheit. Gib es zu!«
Wieder schwieg Maria Augusta verbissen.
»Warum sich aber der Sohn, den du umhegtest wie ein zartes Pflänzchen, das ständiger Pflege bedarf, nicht gegen dich aufgelehnt hat, wie das andere junge Männer an seiner Stelle getan hätten, ist leicht zu erklären: Er ist, äh, war ein elender Schwächling und Feigling, dazu ein Schwuler, nicht wahr?«
Maria warf Volpe einen Blick zu, der töten sollte.
»Ja, das war bequem. Was immer ihm zustoßen mochte, die Mama war ja da. So konnte sich Raimondo so gut wie alles erlauben, aber das hatte seinen Preis: hündische Ergebenheit und Unterwürfigkeit gegenüber der Mutter! Es war ihm nicht und nie vergönnt, ein Mann zu werden.
Und um dies endgültig zu verhindern, liebe Maria, hast du ihn als Neunzehnjährigen verheiratet. Die erwählte Frau entsprach, wie es schien, deinen Vorstellungen: eine alternde Jungfer, weit über zehn Jahre älter als dein Sohn, halb Mann, halb Frau; eine Androgyne. Mit dieser dachte du nach Belieben schalten und walten zu könne. Du hast gestern gelogen, als du sagtest, Raimondo und dir sei es völlig unbekannt gewesen, dass Cornelia den Oberkörper eines Mannes besaß. Gib es doch endlich zu! Sag‘ endlich, woher du wusstest, wie sie ohne Hemd und СКАЧАТЬ