Ende offen. Peter Strauß
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Название: Ende offen

Автор: Peter Strauß

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783347020290

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СКАЧАТЬ sein konnte, wurde durch das Nachwachsen des Zerstörten wieder behoben. Weiterhin hat den damaligen Menschen (zumindest vor der Erfindung der ersten Waffen) die Möglichkeit gefehlt, andere Arten auszurotten.

       Wir sind Rudeltiere

      Von unserer Abstammung her haben wir wie Schimpansen und Bonobos, unsere engsten Verwandten, über Jahrhunderttausende in Gruppen von zwanzig bis einhundertfünfzig Individuen zusammengelebt.34 Dem Anthropologen Robin Dunbar fiel auf, dass die Größe des Neocortex’ (der Großhirnrinde) verschiedener Tierarten mit ihrer Lebensweise zusammenhing: Je größer die Gruppe, desto größer der Neocortex.35 Es scheint, als sei die Größe der Großhirnrinde dafür erforderlich, dass Menschen in solchen Gruppen leben könnten. Die Dunbar-Zahl (einhundertfünfzig) ist die maximale Zahl von Personen, mit denen wir in einer Gruppe sinnvoll zusammenleben könnten, d. h. von denen wir uns Namen und ihre Beziehungen untereinander merken können.36 Offenbar war eine solche maximale Gruppengröße optimal für die Arterhaltung, und die dafür nötigen Eigenschaften stecken noch tief in uns.

      Jeder steinzeitliche Clan hatte sein eigenes Revier und überschritt dessen Grenzen nur in Ausnahmefällen. „Ein Faktum muss in diesem Zusammenhang besonders betont werden: die soziale Funktion des Territoriums im Leben der betreffenden Völker. Jede Gruppe wandert in einem bestimmten Gebiet. Ihr Weg wird in erster Linie durch die ökonomischen Erfordernisse des Sammelns und die Zufälle der Jagd diktiert, in zweiter Linie durch die Lage der Wasserstellen. […] Die Grenzen des Gebiets einer Gruppe werden strikt beachtet. Wenn sie zufällig oder absichtlich von einer anderen Gruppe verletzt werden, verteidigt die zugehörige Gruppe die Grenzen erbittert. […] Der Boden mit allem, was darauf wächst, gehört allen gemeinsam. Die Menschen kooperieren nach strengen Regeln bei der Jagd und teilen das erlegte Wild miteinander. Es gibt keine Reichen und keine Armen. Zwischen den Untergruppen eines Volkes ist Austausch an der Tagesordnung. Über die Grenzen des Territoriums hinweg kommt es zu freundschaftlichen Besuchen, werden Geschäfte abgewickelt und Ehen geschlossen.“37

      Heutzutage leben wir in einer Massengesellschaft, begegnen täglich vielen fremden Menschen und treten mit einigen von ihnen in Kontakt. Trotzdem fühlen wir uns immer noch in Verbünden von der damaligen Größe am wohlsten. Schulklassen, Abteilungen in Firmen, viele Vereinsgruppen und andere Zusammenschlüsse haben eine Größe von zwanzig bis fünfzig Personen. Dies ist eine Zahl von Personen, zu denen man ein mehr oder weniger persönliches, freundschaftliches Verhältnis haben kann. Darüber und darunter wird es schwierig. Hat man über längere Zeit nur Kontakt zu wenigen Personen, so entsteht schnell Streit und Lagerkoller. Hat man auf Facebook achthundert Freunde, so wird man kaum von allen die Namen kennen.

      Kontaktfreudigere Menschen hatten in den Städten in den letzten Jahrtausenden sicher größere Überlebenschancen als andere. Trotzdem gilt immer noch, dass jeder von uns gerne einen festen Freundeskreis hat und die Evolution noch nicht dorthin fortgeschritten ist, dass wir jedem Fremden genauso offen begegnen können wie guten Freunden. In diesem Sinne glaube ich, dass Menschen sich am wohlsten fühlen, wenn sie in einer Gruppe leben, die das Leben in einem Sozialverbund wie vor Entstehung der Zivilisation ermöglicht.

      Unsere Mechanismen zur Entscheidungsfindung funktionieren gut in Gruppen von zwanzig bis fünfzig Personen. In größeren Gesellschaften kommen sehr leicht für Einzelne oder Teilgruppen schädliche Entscheidungen zustande, und Ignoranz und Ausnutzung nehmen zu, weshalb wir zur Regelung des Zusammenlebens zunächst Hierarchien und später demokratische Staatssysteme eingeführt haben.

       Nutzen der Gemeinschaft

      Heute ist es möglich, ohne allzu viele Sozialkontakte zu existieren. Steinzeitmenschen dagegen waren auf das Zusammenleben angewiesen. Eine Trennung von der Gruppe war mit größeren Risiken für den Einzelnen verbunden als heute. Damals hätte ein Verlassen der Gruppe in vielen Fällen den Tod bedeutet. Daher hatte die Gruppe bzw. das Rudel eine deutlich größere Bedeutung, und der Einzelne oder die Paarbeziehung waren wesentlich unbedeutender.38 Individualismus war noch nicht erfunden, die Gemeinschaft hatte Priorität. Das Zusammenleben in der Gruppe war von emotionalen Bindungen geprägt.39 Die „Gesellschaft“ wurde durch die sozialen Bindungen zusammengehalten und nicht durch ein Regelwerk wie heute. Der damalige Mensch gehorchte den Regeln des gemeinen Rechts der Gemeinschaft blinder noch als der moderne Mensch den Regeln des geschriebenen Rechts.40 Die Gemeinschaft war alles, der Einzelne war unbedeutend. Vorsteinzeitliche Clans hatten keine Anführer und fällten ihre Entscheidungen einstimmig.41 Aus den Clanverbänden gingen nach der Sesshaftwerdung die Dorfgemeinschaften hervor und blieben über lange Zeit das Hauptmodell der Gesellschaft.42

      In den damaligen Clans gab es komplizierte Systeme, nach denen die Nahrung verteilt wurde, sodass alle versorgt waren. Die Alten, die sich nicht selbst versorgen konnten, wurden von den jüngeren Stammesmitgliedern miternährt, und sie bewahrten das Wissen und die Erfahrung der Gemeinschaft.43 In der Gruppe waren alle Altersklassen vertreten. Erfahrungen konnten leichter weitergegeben werden und gingen seltener verloren als heute. Dieser Austausch fehlt heute, wenn wir unsere alten Menschen im Altersheim unterbringen und sie dort unter sich bleiben.

      Die Tradition der gegenseitigen Hilfe wurde in manchen Bereichen bis heute bewahrt: In der Landwirtschaft ist Nachbarschaftshilfe weitaus verbreiteter als in neueren Wirtschaftsbereichen.44 Auch Konrad Lorenz bestätigt die Bedeutung der Gemeinschaft für die steinzeitlichen Menschen. Er sagt, dass die Notwendigkeit, die Gemeinschaft nach außen zu verteidigen, den Zusammenhalt so gefördert habe, dass die Menschen die „zehn Gebote des Mosaischen Gesetzes“ von selbst eingehalten hätten. Sie hätten ihre Aggressionen nach außen abreagiert.45

      Manche werden jetzt einwenden: Der Mensch war und ist egoistisch. Ja, das ist richtig, aber der Egoismus und das Bedürfnis nach Gemeinschaft stehen bei uns in einem Gleichgewicht. Wir sind keine Einzelgänger wie beispielsweise Eisbären oder Hamster, sondern können langfristig und überwiegend nur in Gruppen, in Kommunikation, in Zugehörigkeit und Verbindung mit anderen leben. Die Zusammenarbeit ist unsere Stärke und sie hatte damals Vorrang vor dem Wettbewerb.46 Handel, also die Idee von Leistung und Gegenleistung existierte in der Steinzeit nicht, und Freigiebigkeit war der Grundsatz des Gruppenlebens.47

      Peter Kropotkin beschreibt zahllose Beispiele, wie Tiere durch Zusammenarbeit ihre Arterhaltung verbessern, und kommt zu dem Ergebnis, dass Zusammenarbeit ein stärkeres und häufiger auftretendes Prinzip der Natur ist als Konkurrenz. Kampf und Wettbewerb sind in der Tierwelt zwar vertreten, werden aber nur selten ausgelebt, zum Beispiel bei Revierkämpfen, bei Hierarchiekämpfen in einer Herde oder bei Kämpfen der Männchen um die Weibchen während der Paarungszeit. Da jeder Kampf Energie verbraucht und Risiken beinhaltet, ist es für die Arterhaltung von Vorteil, die Zahl der Kämpfe zu minimieren.

      Auch Altruismus hatte früher einen anderen Stellenwert als heute. Vermutlich gab es wesentlich mehr altruistisches Handeln, denn zur Zeit des Clan-Lebens hatte man überwiegend mit Bekannten, Freunden und Verwandten aus der eigenen Gruppe zu tun, zu denen man eine mehr oder weniger enge Bindung hatte. Begegnungen mit fremden Menschen waren die Ausnahme.

      Mütter trugen ihre Kinder, bis sie laufen und zumindest teilweise selbst nach Nahrung suchen konnten. Kinder wurden viel länger gestillt als heute.48 Kinder brauchten in solchen Gruppen weniger „Erziehung“. Die Eltern mussten sich nicht wie heutzutage ständig um sie kümmern, und dies vor allem nicht achtzehn Jahre lang. Die Kinder konnten sich in der Gruppe mit anderen Kindern beschäftigen und sich innerhalb der Gruppe frei bewegen, ohne dass die Aufsicht eines Elternteils benötigt wurde. Dadurch sozialisierten sie sich überwiegend gegenseitig, und es war weniger bedeutend als heute, ob die Eltern noch ein Paar waren oder sich trennten.49 Die Last der Aufsicht durch die Eltern war geringer, weil es im Rudel keine Gefahren gab und es ausreichend war, wenn sich einer oder wenige Erwachsene um alle Kinder des Rudels kümmerten. Weiterhin sind Kinder schon mit ungefähr СКАЧАТЬ