Название: Zukunftsträume
Автор: Corinna Lindenmayr
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783967526547
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Der Mann zog sich seine Handschuhe aus und schob sie in eine Seitentasche seines Umhangs, dann streckte er ihr die Hand entgegen. »Mein Name ist Dr. Christian Kallert. Ich habe ihren Bruder operiert.« Er sah von ihr zu den drei anderen Frauen die sich sofort zu Hannah gesellt hatten und ihn nun ebenfalls unverwandt und besorgt anstarrten.
Zitternd ergriff Hannah seine Hand und schüttelte sie. »Was ist mit ihm? Geht es ihm gut? Kann ich zu ihm?«
Julia trat dicht neben Hannah und musterte den Mann. Er hatte dunkelblondes, festes Haar, tiefblaue Augen und ein ziemlich attraktives Gesicht, wenn gleich es auch gerade nicht sonderlich erfreut wirkte.
»Ich schlage vor, wir besprechen das am besten in meinem Büro.« sagte dieser dann und ließ Julia und die anderen nicht aus den Augen. »Schließlich handelt es sich hierbei um eine Familienangelegenheit.«
Julia zog verächtlich eine Augenbraue noch oben. »Wirklich?« fragte sie dann ungehalten. »Sie wollen uns jetzt ernsthaft damit kommen?«
Dr. Kallert warf ihr einen kaum zu deutenden Blick zu, dann drehte er sich in Hannahs Richtung. »Wenn Sie mir bitte folgen würden?« Die Aufforderung galt eindeutig nur ihr. Diese nickte. Mit einem letzten Blick zu ihren Freundinnen folgte sie dem Mann, der das Schicksal ihres Bruders in seinen Händen hielt. Okay, das klang jetzt vielleicht etwas dramatisch, aber im Augenblick kam ihr das eben so vor.
»Wir warten hier.« rief Julia ihr noch zu, nicht ohne dem Arzt nochmals einen vernichtenden Blick zu zuwerfen. »Idiot.«
»Aber ein verdammt heißer.«
»Wie bitte?«
Coco ließ sich wieder auf den harten Metallstuhl nieder. »Ich sage ja nur die Wahrheit.«
»Also bitte.« Julia verschränkte die Arme vor der Brust. »Das einzige was an dem heiß sein mag, ist der Stock den er im Arsch hat.«
»Solange er ein guter Arzt ist und er Max gesund macht, sollte euch das doch schnurzpiepegal sein.« Tanja lehnte an der Wand und starrte Julia und Coco an. »Das ist schließlich das einzige was jetzt zählt.«
»Du hast recht.« antwortete Julia. »Hier geht es einzig und allein um Max.«
»Setzen Sie sich.« Die Worte hallten durch das kleine Büro, das lediglich aus einem Schreibtisch, zwei Stühlen und einem winzigen Wandschrank bestand. Das einzige was die kahle weiße Wand überdeckte, war ein, aus verschiedenen ineinander gemischten Farben bestehendes Bild.
Der Schreibtisch war bis auf eine einzige Akte sorgfältig aufgeräumt. Drei einzelne Kugelschreiber steckten in einer kleinen kegelartigen Form, daneben ein Lineal und ein Bleistift, dessen Mine perfekt gespitzt war.
Alles an diesem Arzt wirkte peinlich genau organisiert.
»Was ist jetzt mit meinem Bruder?« fragte Hannah, während sie auf dem Stuhl gegenüber Dr. Kallert Platz nahm. Sein Blick war neutral, stellte sie fest. Was jetzt weder gut noch schlecht war.
Er setzte sich eine Brille auf, dann räusperte er sich bevor er sprach:« Ihr Bruder hat ein paar ziemlich komplizierte Brüche erlitten. Diese werden ihn einige Zeit in Anspruch nehmen, aber ich denke sie werden ansonsten gut verheilen. Zudem hat er eine Lungenquetschung erlitten und viel Blut verloren. Wir konnten ihn stabilisieren und die Operation hat er soweit ganz gut überstanden.«
Da waren sie. Endlich. Die Worte, auf die sie die letzten Stunden so sehnsüchtig gewartet hatte. Erleichterung überkam sie und sie spürte wie ihre Anspannung ein wenig nachließ. Brüche und Wunden konnten heilen. Ihr Bruder würde wieder gesund werden. Sicher, es würde einige Zeit dauern aber er war nicht in Lebensgefahr. Ihr kleiner Bruder würde leben.
Doch dann kam er, jener Satz, der so gar nicht nach Leben klang. »Leider liegt er derzeit noch im Koma.«
»Im Koma?« Tanja, Coco und Julia starrten Hannah ungläubig und geschockt an.
»Ja. Ich verstehe das nicht. Er hat Knochenbrüche und viel Blut verloren. Aber warum liegt er deswegen im Koma?« noch immer hatte Hannah das ganze Ausmaß dieses einen kleinen Wortes noch nicht wirklich realisiert. Sie stand neben ihren Freundinnen vor der Tür zu Max Zimmer auf der Intensivstation und beobachtete ihn durch die dicke Glaswand.
»Er wirkt so blass. Ich hätte bei ihm sein sollen.«
»Wenn du dort gewesen wärst, würdest du jetzt wahrscheinlich neben ihm liegen.« stellte Julia sanft fest. »Du warst nicht dort, weil du nicht dort sein solltest.«
Sie mochte Recht haben, dennoch fühlte sich Hannah als hätte sie ihn im Stich gelassen. All die Jahre hatte sie versucht ihn von allem fern zu halten was ihr altes Leben betraf, hatte ihm erklärt, dass ihre Eltern in einem fremden Land waren um armen Kindern zu helfen und sicher bald zurückkämen. Sie würde ihm die Wahrheit sagen müssen. Aber noch nicht jetzt. Nicht, wenn ihr das Schicksal schon wieder auf so brutale Art und Weise ins Leben pfuschte. Und jetzt lag er hier. Hilflos und verletzt in einem viel zu großen Krankenhausbett mit unzähligen Kabeln und Schläuchen, die aus seinem jungen, zierlichen Körper ragten und sie hatte nichts davon verhindern können. Manchmal war das Leben echt ungerecht.
»Frau Bender?« die Tür der Intensivstation wurde geöffnet und Dr. Kallert trat ein. Einmal nur, ein einziges beschissenes Mal wollte sie ihren richtigen Namen hören.
Widerwillig drehte sie sich um. Sie wollte ihm nicht schon wieder unter die Augen treten. Es war nicht fair, dass wusste sie, aber er war nun einmal derjenige, der ihr eröffnete hatte, dass ihr Bruder vielleicht nie wieder aufwachen würde. Nun, so hatte er es zwar nicht ausgedrückt, aber wie oft waren Komapatienten denn schon aufgewacht? Niemand konnte sagen, ob ihr Bruder die Augen wieder aufschlagen würde oder ob er, gesetzt den Fall er käme wieder zu sich, ganz der Alte sein würde.
Flüchtig dachte sie an Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und so einen Kram. Himmel, ihr Bruder war kaum 11 Jahre alt. An so etwas sollte man in diesem Alter noch nicht denken müssen.
»… Formulare ausfüllen.« holten sie die Worte des Arztes aus ihren Gedanken zurück.
»Was?«
»Sie müssten uns noch einige Formulare ausfüllen.« wiederholte Dr. Kallert steif. Sein Blick wirkte genauso sachlich wie eben. Aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er, obwohl er immer noch mit ihr sprach, nicht sie, sondern Julia ansah. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein.
Auch erinnerte sie sich daran, bereits in der Zeit in der sich Max im OP befunden hatte, sämtlichen Papierkram erledigt zu haben.
Tja, offensichtlich nicht alles.
»Ich komme.« Dann wandte sie sich an ihre Freundinnen. »Geht nach Hause. Es ist schon spät. Ich komme hier alleine klar.« Drei zweifelnde Augenpaare sahen sie an. »Ehrlich. Es ist okay. Wir können im Augenblick ohnehin nichts tun. Ich melde mich morgen bei euch.« erwiderte Hannah. »Versprochen.« Dann verließ sie mit Dr. Kallert den Raum. So sehr sie ihre Freundinnen auch liebte, brauchte sie jetzt einfach etwas Zeit. Zeit um erst einmal selbst mit all dem zurecht zu kommen, was geschehen war.
»Das wird sie nicht tun.« Coco verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sah die beiden anderen an. »Das hat sie noch nie getan.«
»Das stimmt. Sie wird wieder versuchen alles alleine durchzustehen.« gab Tanja ihrer Freundin СКАЧАТЬ