Название: Zukunftsträume
Автор: Corinna Lindenmayr
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783967526547
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Gedankenversunken warf Hannah die aufgekehrten Scherben in den Müll. Sie musste aufhören, ständig daran zu denken.
Sie hatte nette Leute kennengelernt, einen tollen Chef und endlich Freundinnen mit denen sie über lauter unnütze Dinge reden konnte. Natürlich war Kellnerin nicht ihr Traumberuf, aber es machte Spaß und sie beklagte sich nie. Irgendwann würde sie ihr Studium fortsetzen oder neu anfangen können und Erzieherin werden. Aber das war nicht wichtig. Im Augenblick zählte nur ihr Bruder und seine Chance auf eine zumindest halbwegs normale Zukunft. Und wenn das bedeutete, dass sie ihr Leben lang als Kellnerin arbeiten musste, nun, dann war das eben so. Sie hatte schon vor Jahren aufgegeben, sich zu fragen, was gewesen wäre, wenn ihre Eltern nicht in diesem Zeugenschutzprogramm gelebt hätten. Denn diese Möglichkeit gab es nicht. Sich Gedanken über Dinge zu machen, die ohnehin nie eintreffen konnten, wäre sinnlos und würden nicht das Geringste ändern.
Das Leben hatte ihr übel mitgespielt, aber sie hatte es geschafft daraus zu entkommen. Und auch, wenn die Vergangenheit immer ihr Schatten bleiben würde, so konnte sie zumindest sagen, dass die Sonne jetzt nicht mehr dauernd so schien, dass man ihn sehen konnte.
Der Zeiger der uralten Micky-Maus-Uhr oberhalb der Eingangstüre des »Sanders« wanderte auf Punkt drei Uhr und es erklangen drei leise Gongschläge. »Verdammt, ich komme zu spät!« stellte Hannah mehr zu sich selbst als zu jemand Bestimmten fest und trug eilig noch eine Portion Hähnchennuggets an einen der Tische. Die Stunden waren viel zu schnell vergangen. Aufgrund der immer wechselnden und günstigen Mittagsangebote war es meist ziemlich voll und da sie jeweils nur eine Bedienung hatten, blieb alles auch an dieser hängen. In diesem Fall also an ihr. Sie bemerkte zwei ihrer Freundinnen, Tanja und Coco, die ebenfalls an einer der Ecknischen saßen und sie zu sich winkten. Sie freute sich wirklich sie zu sehen aber ehrlich gesagt, hatte sie jetzt überhaupt keine Zeit. Eigentlich sollte sie nämlich bereits auf dem Weg zur Straßenbahn sein.
»Manchmal wünsche ich mir echt, dass mal etwas Aufregendes passiert. Mein Leben ist komplett langweilig.« klagte Coco, nahm den Strohhalm ihres Latte Macchiato in die Hand, drehte ihn ein paar Mal im Kreis, dann lies sie ihn wieder los und stützte den Kopf in ihre Hände. »Echt, ich meine es ernst. Jeden Tag sitze ich im Büro und studiere Zahlen und Bilanzen, soll das etwa alles gewesen sein?« beschwerte sie sich gerade als Hannah zu ihnen an den Tisch trat.
»Als ob es bei mir spannender wäre.« Tanja sah Coco an und wandte sich dann an Hannah. »Mal ehrlich, Mädels. Wir brauchen dringend mal etwas Abwechslung.«
Hannah warf einen erneuten Blick auf die Uhr. »Also mein Leben ist völlig in Ordnung.« Verkündete sie dann, öffnete ihren Pferdeschwanz und schüttelte sich das lange dunkelbraune Haar, so dass es sich in feinen Locken über ihren Rücken ergoss. »Blödsinn. Hast du es nicht auch langsam satt, jeden Tag hier zu schuften? Wenn ich mich wenigstens mal wieder verlieben oder zumindest einen tollen Kerl kennenlernen würde. Bei mir ist seit Jason tote Hose und das ist jetzt schon über acht Monate her.« jammerte Coco.
»Stimmt. Der Sex fehlt mir auch.« seufzte Tanja und sah wehmütig in die Runde. »Aber ich habe so das Gefühl, dass daraus wieder einmal nichts wird.«
Hannah sagte nichts. Was sollte sie auch sagen? Ihr Leben hatte weiß Gott genug Action für sie alle drei gehabt.
Wieder wanderte ihr Blick zu dem strahlenden Micky an der Wand. Wo zum Teufel blieb Julia? Ihre Schicht hatte um drei Uhr begonnen, jetzt war es bereits fünf nach drei.
Normalerweise war ihre Freundin ein sehr pünktlicher Mensch, aber ausgerechnet heute, schien das wohl nicht zuzutreffen. Aber was lief heute auch schon normal?
Gerade als sie Paul, ihrem Chef, erklären wollte, dass er ab jetzt dann eben ohne Bedienung auskommen musste, stolperte Julia herein.
»Es tut mir so Leid,« keuchte sie. »Die Straßenbahn hatte Verspätung!«
Noch bevor sie überhaupt richtig die Tür hinter sich schließen konnte, drückte Hannah ihr bereits den Geldbeutel und den Notizblock in die Hand. »Hier. Ich muss dringend los und Max abholen. Sein Eishockeytraining ist zu Ende. Die beiden hinteren Tische sind noch nicht abkassiert. Der Herr da vorne wartet noch auf zwei Schinken-Käse-Sandwiches und die Dame am Tresen bekommt einen Makkaroni-Auflauf zum mitnehmen.«
»Meinst du nicht er ist langsam alt genug alleine nach Hause zu fahren?« stöhnte Julia und band sich den Geldbeutel, den Hannah ihr gereicht hatte um die Hüfte. Diese übertriebene Fürsorge verstand sie nicht. Max war ein kluger Junge. Er war durchaus in der Lage etwas eigenständiger zu sein. Hannah jedoch wollte das aber partout nicht einsehen. Was das anging, war sie irgendwie ziemlich paranoid.
»Ich möchte nicht das ihm etwas passiert.« erwiderte Hannah, wohl wissend, dass sie für ihre Freundinnen wie eine Übermutter wirkte. Aber wie sollte sie das auch jemand anderes erklären? Sie konnte ja nicht einfach sagen, dass sie sich Sorgen darüber machte, dass Max von irgendwelchen Leuten entführt wurde, weil sie eigentlich in einem Zeugenschutzprogramm lebten oder gelebt hatten. Vielleicht war ihre Angst auch übertrieben, aber sie konnte und wollte kein Risiko eingehen. Nicht seit ihre Eltern verschwunden waren. Schließlich konnte mit Max das Gleiche passieren und dann wäre sie ganz allein. Etwas, woran sie lieber nicht denken sollte. »Wir sehen uns morgen.« Flüchtig winkte Hannah noch einmal in Julias Richtung, welche ihr nur kopfschüttelnd hinterher sah, warf ihren anderen beiden Freundinnen noch ein schnelles »Tschüss« zu, dann lief sie endlich los.
Sie kam zu spät, aber Max würde warten. Von klein an hatte man ihm beigebracht, nirgends alleine hin zu gehen und immer dort zu bleiben wo er war, egal was geschah. Max war ein braves Kind. Er wusste das und würde sich daran halten.
Es war ein wunderschöner Spätsommertag im September, doch so trügerisch strahlend dieser Tag auch wirkte, er blieb nicht so. Es war wieder einer jener Tage, die alles veränderten …
2. Kapitel
Julia starrte ihrer Freundin hinterher, die mit einem Mal so schnell verschwunden war, als befände sie sich auf der Flucht. Manchmal war Hannah echt seltsam. Sicher, sie war für ihren Bruder verantwortlich. Aber die Fürsorge ihrer Freundin ging bei Weitem über das normale Pflichtbewusstsein hinaus. Hannah kümmerte sich nicht nur um ihren Bruder, sie beschützte ihn in beinahe jeder Situation seines Lebens.
Es war ja nicht so, als könnte ein nunmehr fast elfjähriger Junge keine drei Haltestationen mit der Straßenbahn fahren. Das hatte sie schon getan, da war sie noch nicht einmal in der Schule gewesen.
Hannah ging einfach ständig davon aus, dass ihrem Bruder irgendetwas zustoßen konnte. Aber Dinge passierten nun mal. Man konnte nicht alles in einem Leben verhindern.
Hannah und Max hatten ihre Eltern verloren. Das war schlimm und unter diesen Umständen war es sicherlich auch nicht ganz unverständlich, dass Hannah sich Sorgen machte. Nur änderte das nichts. Das Schicksal hatte seine eigenen Pläne und egal wie sehr man versuchte, dagegen anzukämpfen, würde man nicht gewinnen.
Julia wusste nicht, wie es war, seine Eltern für immer zu verlieren. Die Menschen, die einem Halt und Stabilität geben sollten. Ein zu Hause. Den Grundstein für ein schönes und solides Leben. Ihre waren zwar weiß Gott auch kein Paradebeispiel dafür, aber zumindest waren sie da.
Hannah hatte früh lernen müssen Verantwortung zu tragen und sie bewunderte СКАЧАТЬ