Название: Zukunftsträume
Автор: Corinna Lindenmayr
Издательство: Автор
Жанр: Контркультура
isbn: 9783967526547
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Aber jetzt war alles anders. Auf einmal befand sie sich mitten drin. Dieses Mal gehörte sie zu den Angehörigen. Oder zumindest beinahe.
Hannah war ihre beste Freundin. Und Max war fast wie ihr eigener Bruder.
Seit die beiden vor knapp drei Jahren in ihr Leben getreten waren, hatte sich so vieles verändert. Sie hatte sich verändert. Ihre Familie war nie einfach gewesen. Ihr Vater verlor schon vor einigen Jahren seinen Job und verbrachte seine Zeit nun damit, sich selbst zu bemitleiden und von Kneipe zu Kneipe zu ziehen. Ihre Mutter schlug sich als Putzfrau durch um zumindest das Notwendigste bezahlen zu können. Da dies dennoch kaum reichte war ihr damals nichts anderes übrig geblieben als sich anstelle eines Studienplatzes für einen Job zu bewerben. Also war sie Kellnerin geworden. Paul Sander, ihr und Hannahs Chef, hatte sie eingestellt ohne viel nach ihren Referenzen zu fragen. Er war eine Seele von Mensch und eigentlich so ziemlich der netteste Mann in ihrem Leben. Zu dumm nur, dass ausgerechnet er beinahe 50 und schwul war.
Trotz allem gefiel ihr die Arbeit, sie war abwechslungsreich und auch wenn sie dadurch nie reich werden würde, verdiente sie zumindest soviel, um ihre Mutter zu unterstützen und einen kläglichen Betrag auf die Seite zu sparen.
Dann hatte er Hannah eingestellt. Bislang waren Paul und sie ein Team gewesen. Das Lokal war nicht besonders groß und sie hatten es einige Jahre ganz gut zu zweit hinbekommen. Wenn es einmal doch zu stressig wurde oder sie frei hatte, dann war einfach Jessy, die Putzfrau, eingesprungen. Es hatte super funktioniert. Zumindest für Julia. Sie war nie sonderlich gut mit Mädchen oder Frauen in ihrem Alter ausgekommen. Schon in der Schule wurde sie oft ausgegrenzt. Ihre familiären Verhältnisse waren für die meisten der Anlass dazu, sie zu hänseln und ihr das Leben zur Hölle zu machen. Daher hatte sie früh gelernt, nur mit sich selbst klar zu kommen.
Julia hatte jedoch schnell erkannt, dass Hannah anders war. Sie war freundlich und hilfsbereit aber fast noch zurückhaltender und skeptischer gegenüber Fremden als sie, was irgendwie seltsam war.
Mit der Zeit waren sie Freundinnen geworden. Julia erfuhr, dass Hannahs Eltern aufgrund eines Autounfalls nicht mehr lebten und sie für ihren Bruder alleine sorgen musste. Durch Hannah hatte sie gelernt, ihr Leben endlich in die Hand zu nehmen und für das zu kämpfen was sie wirklich wollte. Hannah war diejenige gewesen, die sie ermutigt hatte, ihren Traum von der Kosmetikschule nicht einfach aufzugeben. Das Geld würde sie schon irgendwie zusammenbekommen, sie musste nur daran glauben. Ihre Freundin hatte sie gelehrt, stark zu sein und niemals aufzugeben.
Aber wie viel Kraft hatte Hannah? Wie oft konnte sie dem Schicksal entgegentreten ohne zu zerbrechen? Das Leben war einfach nicht fair.
Frustriert lehnte Julia sich zurück. Dann ging die Tür eines der unzähligen Behandlungsräume auf und Hannah trat heraus. Ihr Gesicht wirkte blass und ihr Gang war noch etwas unsicher, aber ansonsten schien offenbar alles okay zu sein. Julia sprang eilig auf und lief auf sie zu. Direkt gefolgt von Tanja und Coco.
»Da bist du ja.« Sie drückte Hannah fest an sich. »Geht es dir gut?«
Die Angesprochene lächelte schwach. »Ja. Ja, mir geht es gut. Es war nur der Kreislauf.«
»Was um alles in der Welt ist denn nur passiert?« wollte Coco wissen. »Die sagen alle es hat eine Explosion gegeben?«
Hannahs Lächeln schwand. »Ja.«
»Ich verstehe das nicht. Die ganze Schule ist explodiert?« wiederholte Tanja noch immer fassungslos.
Hannah drehte den Kopf zur Seite und starrte ins Leere. »Es ist alles zerstört. Die Schule, der Eisplatz. Überall war nur Feuer und Schutt. Ich habe versucht Max zu finden. Dabei bin ich eingebrochen und habe wohl das Bewusstsein verloren.«
Hannah machte eine kurze Pause, dann sah sie mit Tränen in den Augen wieder ihre Freundinnen an. »Ich habe ihn nicht gefunden.« Die Erinnerungen holten sie ein. Ob sie es wollte oder nicht erschienen ihr wieder die enormen Flammen und die endlose Zerstörung. Und irgendwo dort draußen war Max. Alleine und hilflos.
Sie hatte ihn im Stich gelassen. Es war ihre Schuld. Sie war seine Schwester und nicht rechtzeitig da gewesen. Ihre Beine gaben nach und sie stützte sich auf eine der Stuhllehnen. Sie spürte, dass ihr jemand eine Hand auf die Schulter legte und sanft darüber streichelte. »Vielleicht war er gar nicht mehr da,« hörte sie Julia sagen. Sie sprach leise. Sanft. »Er könnte sich schon auf den Weg nach Hause gemacht haben.« Worte, die Hoffnung machen sollten. Ihr diese schlimmen Schuldgefühle und diese erbärmliche Angst nehmen sollten. Aber das konnten sie nicht. Max wartete immer. Weil er dazu erzogen worden war. »Hast du ihn schon angerufen?«
Hannah nickte schwach. »Mein Handy ist heute früh ins Wasser gefallen und funktioniert noch nicht. Aber ich habe vorhin vom Krankenhaus versucht ihn zu erreichen. Sein Handy ist aus.« Sie sah verzweifelt in die Runde. »Ich muss ihn finden. Er ist alles was ich noch habe.«
Sechs tröstende Arme umfingen sie. »Das werden wir. Versprochen.«
Die Frage war nur, ob lebend oder tot.
»Frau Bender?« Hannah drehte sich um. Eine Krankenschwester kam auf sie zu. Wie sehr sie diesen Namen hasste. »Ja.«
»Es tut mir leid wenn ich störe, aber wir haben gerade einen kleinen Jungen hereinbekommen und auf dem Rucksack den man bei ihm gefunden hat steht Max Bender. Ich dachte, er könnte vielleicht mit Ihnen verwandt sein.«
Max war nun schon mehr als drei Stunden im OP, was nie ein gutes Zeichen war.
Hannah wusste nicht, ob sie erleichtert sein oder vollkommen in Panik ausbrechen sollte. Sie hatten ihn gefunden. Er lebte, aber niemand hatte ihr sagen können, wie schlimm es um ihn stand. Und diese Ungewissheit machte sie verrückt.
Julia und Tanja saßen neben ihr. Coco lief ungeduldig den schmalen Gang auf und ab. Freundinnen, dachte Hannah. Auch wenn sie an Situationen nichts ändern konnten, so waren sie dennoch da und machten sie, zumindest meistens, etwas erträglicher. Niemand konnte die Zeit zurückdrehen oder etwas Geschehenes ungeschehen machen. Aber man konnte dafür sorgen, dass man nicht alleine war. Es hatte lange Zeit gedauert bis Hannah das begriffen hatte. So viele Jahre waren vergangen, in denen niemand anders als ihre Familie ihr Halt geben konnte. Und dann waren auch ihre Eltern plötzlich fort gewesen. Ihr Bruder war zu jung um das Ganze zu verstehen. Was ihr blieb, waren lediglich die Erinnerungen. Erinnerungen an ein gutes, wenn auch nicht perfektes Leben.
Aber mit der Zeit, verblassten auch diese und zurück blieb nichts, außer der kläglichen Hoffnung, irgendwann ihre Vergangenheit hinter sich lassen und ihr Leben wieder ordnen zu können.
Erneut spürte Hannah eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich danach um. »Es wird alles wieder gut.« hörte sie Julia sagen. Ihre Stimme klang immer noch zuversichtlich und aufmunternd. Es fühlte sich so leicht an daran zu glauben. Nur hatte sie vor Jahren aufgegeben, das zu tun. Glauben half niemand. Das zumindest war die bittere Erkenntnis, die sie in ihrem Leben lernen musste. Wie oft hatte sie das getan? Wie oft gebetet, dass alles gut werden würde? Sie hatte nie etwas Falsches oder Schlimmes getan. Aber was hatte es geholfen? Nichts. Denn sonst würde sie nicht hier stehen, ohne ihre Familie, ohne richtige Zukunft und der bitteren Angst auch noch ihren Bruder zu verlieren.
Das Schicksal machte was es wollte. Entweder man kam damit klar oder eben nicht.
»Frau Bender?« Als sie dieses Mal aufsah, blickte sie in das Gesicht eines jungen Arztes, dessen weißer Kittel einige Blutspritzer aufwies. Max Blut. Sie СКАЧАТЬ