Zieht euch warm an, es wird heiß!. Sven Plöger
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СКАЧАТЬ die uns gerade umgeben, von Moment zu Moment unterschiedlich ausfallen. Ein bekanntes Beispiel für kognitive Dissonanz ist der kettenrauchende Lungenfacharzt. Den dürfte es eigentlich nicht geben, denn er hat eine positive Einstellung zum Rauchen, obwohl er sehr genau um dessen Schädlichkeit weiß. Um die Dissonanz kleinzuhalten, wird er vielleicht selektiv auf Helmut Schmidt hinweisen, der trotz intensiven Rauchens sehr alt wurde. Möglicherweise wird er auch einige Studien als nicht so glaubwürdig abtun oder sie gleich komplett ignorieren, nur um am Ende mit nicht allzu schlechtem Gewissen zu rauchen – und seinen Patienten gleichzeitig intensiv davon abzuraten.

      Übertragen wir dieses Konzept auf die Klimaforschung. Wenn man ihren Ergebnissen zustimmt, stimmt man automatisch auch der Aussage zu, dass das ungebremste Wirtschaftswachstum mit der Folge der bisher ungezügelten Ausbeutung der Natur in gefährliche Zustände führt. Sir Nicholas Stern, britischer Ökonom und von 2000 bis 2003 Chefökonom der Weltbank, hat das 2007 klar formuliert: »Der Klimawandel ist das Ergebnis des größten Marktversagens, das die Welt je gesehen hat.« Genau dieses Wirtschaftswachstum hat uns, zusammen mit technologischem Fortschritt, aber auch erlaubt, seit Ende des Krieges einen beachtlichen Wohlstand zu erlangen. Dass wir heute so leben, wie wir leben, gefällt den meisten Menschen. Und jetzt: Schauen Sie auf beide Aussagen gleichzeitig. Spüren Sie es? Das ist die kognitive Dissonanz. Ich kann nicht das, was ich gut finde, gleichermaßen auch schlecht finden. Um einer Konsonanz, sprich einem inneren Gleichgewicht möglichst nahezukommen, kann ich nun entweder die Erkenntnisse der Klimaforschung als besonders bedeutend einstufen oder sie eben anzweifeln. In beiden Fällen gewinnt eine der widerstreitenden Kognitionen die Oberhand und der innere Spannungszustand wird schwächer.

      Bewertet man die Erkenntnisse der Klimaforschung als korrekt, führt das automatisch dazu, dass man seine Haltung zu Klimawandel und Umwelt und damit letztendlich auch sein Verhalten ändern muss. Weist man sie hingegen zurück – was umso einfacher ist, je weniger Ahnung man von den physikalischen Prozessen in der Atmosphäre hat – muss man beides nicht tun. Kurz: Je nach Gewichtung kommt unter dem Strich entweder eine konsequente und damit mühsame Verhaltensänderung heraus oder die Gelegenheit, alte Gewohnheiten unbeirrt fortzuführen. Letzteres – wir sind nun mal Gewohnheitstiere – fällt erkennbar leichter. Um die erste, anstrengendere Variante zu wählen, muss man also entweder wirklich inhaltlich überzeugt sein oder eine konkrete Bedrohung spüren.

      Der kognitive Wettbewerb zwischen Wissen und Wunsch legt das Fundament dafür, dass die wissenschaftliche und die öffentliche Diskussion völlig unterschiedlich verlaufen. Weil der Wunsch des »schönen Lebens« aber in der Kraft der Argumentation gegen den bedrohlichen Klimawandel – auch wenn es zweifellos sehr ehrlich wäre, diesen Wunsch auszudrücken – ganz schön schwach dasteht, versucht man der öffentlichen Diskussion einen »fachlichen Anstrich« und damit eine Gleichberechtigung zur akademischen Diskussion zu geben. Genau das ist die Stelle, an der die außerhalb der Wissenschaft typischerweise vorgetragenen »Kritikerargumente« ihren Weg in die »große weite Welt« finden und hier seit Jahren für Verunsicherung und teilweise Diskreditierung der Klimawissenschaft sorgen. Deshalb werden Beiträge dieser Art zur »Erweiterung unseres Horizonts« später im Buch aufgegriffen und jeweils hinsichtlich ihres physikalischen Inhaltes geprüft. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Klassiker: »Es gibt nur 0,04 Prozent CO2 in der Atmosphäre – wie soll das denn so einen Klimawandel verursachen?« Das klingt gut und verunsichert viele auf vermeintlicher Sachebene, weil 0,04 Prozent nach wenig klingt. Der einfache Denkfehler: »Wenig macht wenig!« Das Gegenteil vom berühmten Spruch »Viel hilft viel«. Und beides stimmt eben nicht. Doch dazu später mehr im Kapitel »Kritischen Äußerungen begegnen und daraus lernen«. An dieser Stelle sei dazu nur Kurt Tucholskys sehr kluger Satz zitiert: »Plausibilität ist der größte Feind der Wahrheit.«

      Dieser gefühlt fachliche Ansatz der Argumentation ist aus zwei Gründen sehr erfolgreich: Erstens, weil sich viele von uns eine Absolution für ihr nicht klimafreundliches Verhalten wünschen und hinter solchen Behauptungen Schutz suchen können, und zweitens, weil wir – Pisa lässt grüßen – zunehmend an kollektiver physikalischer Ignoranz leiden. »Physik« und »Phantasie« fangen zwar beide mit »Ph« an, enden aber doch völlig anders. Das scheint so manchem zu entgehen und darum klingt völliger Unsinn in vielen Ohren leider absolut vernünftig. Aber anstatt diesen Umstand zu betrauern, orientieren wir uns lieber an so einigen prominenten Vorbildern, die in diversen TV-Sendungen fröhlich lachend damit kokettieren, wie ahnungslos sie in allen naturwissenschaftlichen Belangen sind. Gernot Hassknecht aus der »heute-show«, als dessen großer Fan ich mich hier oute, würde mutmaßlich brüllen »Peinlich ist was anderes als lustig. Wenn ihr schon nichts wisst, haltet wenigstens die Klappe und lasst eure Kinder nicht glauben, Doofheit verdient einen Ritterschlag!« Und danach schaut er immer so freundlich …

      Kurzgefasst: Die Wissenschaftler stimmen fast ausnahmslos darin überein, dass der Mensch maßgeblich für den heutigen ­Klimawandel verantwortlich ist. Weil uns diese Erkenntnis aber nicht passt, da sie Handeln verlangt, sind wir empfänglich für Aussagen, die uns von der Verantwortung gegenüber der Umwelt und unseren Mitmenschen befreien. Dabei hilft uns eine Fähigkeit unseres Gehirns, die wir regelmäßig zum Bestehen unseres Alltags benötigen: Der Umgang mit kognitiver Dissonanz.

      So weit der akademische Teil, den inhaltlich zu erklären eines der Hauptziele dieses Buches ist. Um zunächst aber eine Übersicht über das große Ganze zu bekommen, gehen wir nun zum gesellschaftspolitischen Teil über. Hier ist nämlich die Frage zu beantworten, welche Schlüsse wir aus den erworbenen Erkenntnissen ziehen und wie wir diese zu Handlungsanweisungen verwerten. Dabei wird freilich vorausgesetzt, dass man die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch akzeptiert. Die Option, sich wegzuducken, das Thema unter fadenscheinigen Argumenten zu ignorieren und dummdreist, aber fröhlich weiterzumachen, bis wirklich alle fossilen Energieträger verbraucht sind, ist raus, weil sie nicht unserem Intellekt entspricht, auf den wir Menschen zu Recht gerne stolz sind. Für ein sinnvolles Handeln sind wieder zwei Pfade zu betrachten. Zum einen, wie wir weitere Treibhausgasemissionen vermeiden, und zum anderen, wie wir uns an den schon existierenden Klimawandel anpassen können – etwa durch bessere Warnsysteme gegen Unwetter, besseren Hochwasserschutz, aber auch bessere Wasserspeichersysteme, um großen Dürren zu begegnen, oder mehr Grün- und Wasserflächen in den Städten, um dort im Hochsommer für erträglichere Temperaturen zu sorgen.

      Die Gewichtung zwischen Vermeidung und Anpassung liegt irgendwo zwischen der Einsicht, dass wir eine weitere Erwärmung nicht vollständig verhindern können, und der Ahnung, dass wir ausschließlich auf Anpassung zu setzen nicht bezahlen können. Folgt man einer Vielzahl von Studien zu den Kosten von Klimaschutz und Klimaanpassung, führt jeder heute nicht sinnvoll in den Klimaschutz gesteckte Euro später zu Ausgaben zwischen 2 und 11 Euro. Selbst beim konservativen Wert von 2 Euro geht es also um eine Verdopplung des Kapitaleinsatzes. Ganz ehrlich: Ich kenne wenige Anlagemöglichkeiten mit solch einer quasi gesicherten Rendite.

      Momentan sind wir beim Umgang mit unserer Umwelt schlicht Opfer unserer eigenen Taten. Übersetzt sind wir also gerade fleißig dabei, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen. Das ist unklug – deswegen das zugehörige Sprichwort. Aber was tun, wenn man erst einmal klar erkannt hat, dass es dumm wäre, nichts zu tun, und das von einer eindeutigen Mehrheit der Menschen auf diesem Erdball auch nicht als sinnvolle Reaktion auf das Problem gesehen wird? Leider gibt es hierfür keine Bedienungsanleitung mit der Überschrift »Der Umgang mit dem Klimawandel und die Arbeitsschritte für die daraus folgende weltweite Transformation einer Gesellschaft von 7,7 Milliarden Menschen, in der ein kleiner Teil hoch technisiert ist und ein größerer unter ärmlichen Verhältnissen lebt«. Unsere Situation gleicht eher einem Sprung in ein Bällebad, wobei jeder kleine Ball eine Handlungsoption mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen darstellt – von der weltpolitischen Bühne, wo es sinnvoll ist, eine globale Energiewende voranzutreiben, bis hinunter zum kleinsten Alltäglichen, wo es sinnvoll ist, das Licht in Räumen auszuschalten, СКАЧАТЬ