Jesus war kein Europäer. Kenneth E. Bailey
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Название: Jesus war kein Europäer

Автор: Kenneth E. Bailey

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783417228694

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СКАЧАТЬ Briefen, Zeitschriften, Zeitungen, Werbespots, Radiosendungen, Spam-Mails, Katalogen, Flyern, Anrufen, SMS- oder Fax-Nachrichten und unzähligen E-Mails bombardiert. Man kann nicht mehr in einer Arztpraxis sitzen, ohne dass einem ungebeten Tausende Worte in die Ohren dringen. Vor Kurzem saß ich in der Abflughalle eines internationalen Flughafens und wurde mit Worten überschwemmt. Gleichzeitig konnte ich deutlich sieben Telefongespräche über Handys, zwei Fernseher, eine Lautsprecherdurchsage und drei Abflugansagen hören. Es war der Vorhof der Hölle.

      Wir sind von Worten überflutet, und dadurch sind Worte billig geworden. Selten nur hören wir Worte, die wie Perlen sind, sorgfältig ausgewählt und kunstvoll zu einem goldenen Faden aufgereiht, der den Namen Satz verdient. Jesus lädt den Leser ein, eine Welt zu betreten, in der es wenige Worte gibt, die jedoch voller Kraft sind. In solch einer Welt muss jedes Wort mit der Sorgfalt untersucht werden, die es verdient. So ist es nur angemessen, in aller Kürze über den Gebetsstil und die Gebetssprache nachzudenken, wie die Jünger sie kannten.

      Juden wussten, wie man betet, und die frommen – wie Daniel (Dan 6,11) – beteten dreimal täglich: bei Sonnenaufgang, um drei Uhr nachmittags und schließlich bei Sonnenuntergang. Diese Praxis war wahrscheinlich schon lange vor Jesu Zeit weit verbreitet. Doch nirgendwo in den Evangelien schreibt Jesus besondere Zeiten für das tägliche Gebet vor. Das Fehlen von Gebetszeiten ist die erste Veränderung, die an der von Jesus empfohlenen Art zu beten auffällt.

      Formal begann das tägliche jüdische Gebet mit 5. Mose 6,4-5, das mit den Worten eröffnet: „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig“ (EÜ). Dann folgte eine Reihe von achtzehn Segenssprüchen (daher auch der Name „Achtzehngebet“), denen später noch ein neunzehnter hinzugefügt wurde, die Amida (Stehen) genannt wurden, weil sie stehend vorgetragen wurden. Häufig bezeichnet man diese Segenssprüche auch einfach als Tefilla (Gebet). Als Jesus auf dieser Erde lebte, war es in irgendeiner Form in Gebrauch. Noch heute wird es in Synagogengottesdiensten gebetet.89

      Zwischen diesen Segenssprüchen und dem Vaterunser gibt es wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Beispielsweise erscheint eine Bitte um das tägliche Brot etwa an der gleichen Stelle in der Mitte der Tefilla und des Vaterunsers. Einige einleitende Formulierungen sind ebenfalls ähnlich. Beide Gebete sprechen von den Bedürfnissen der Gegenwart und beide erwähnen das kommende Reich Gottes. In beiden tauchen zum Teil die gleichen Reime und Rhythmen auf. Die Doxologien überschneiden sich. Und schließlich sind beide sowohl für das Gebet des Einzelnen als auch der Gemeinschaft gedacht. Unterschiede werden im weiteren Verlauf betrachtet werden.

      Die erste Bitte im Vaterunser leuchtet auf wie der erste Blitz eines Sommergewitters.

      Unser Vater, der ist im Himmel,

      lass geheiligt werden deinen Namen. [eigene Übersetzung]

      Die oben angedeutete Wortstellung erhält den Satzfluss der semitischen Sprache, wie sie im griechischen Grundtext nachempfunden ist und so auch in die drei syrischen Versionen des Evangeliums übersetzt wurde.

      Die Tefilla ist in hebräischer Sprache verfasst. Heute herrscht in Fachkreisen der Konsens, dass das ursprüngliche Vaterunser mit dem aramäischen Wort abba begann. Daher können wir davon ausgehen, dass Jesus seine Jünger lehrte, in der Alltagssprache Aramäisch zu beten anstatt im klassischen Hebräisch der geschriebenen Texte.90 Der aramäischsprachige Jude des ersten Jahrhunderts war es gewohnt, seine Gebete auf Hebräisch zu rezitieren, nicht auf Aramäisch. In ähnlicher Weise rezitieren muslimische Gläubige ihre traditionellen Gebete immer im klassischen Arabisch des siebten Jahrhunderts. Im Islam müssen alle Gebete auf Arabisch, der Sprache der koranischen Offenbarung, gesprochen werden, da sie sonst nicht gültig sind und nicht von Gott angenommen werden. Solch eine Vorschrift besteht im Christentum nicht. Diese Tatsache ist von enormer Bedeutung.

      Der Gebrauch von Aramäisch als Gottesdienstsprache stellte für die Zeit Jesu einen riesigen Umbruch dar. Es bedeutete, dass es für Jesus keine heilige Sprache als „Sprache Gottes“ gab. In der christlichen Welt gibt es alle möglichen Witze über Menschen, die meinen, eine bestimmte Sprache sei die göttliche Sprache. Meine armenischen Freunde erzählen mir, dass Gott einen sehr gelehrten armenischen Mönch als Privatsekretär hat. Dieser Mönch kennt alle Sprachen der Welt, und wenn Gebete von irgendwo auf der Welt zu Gottes Thron aufsteigen, übersetzt dieser kluge Mönch sie sofort ins klassische Armenisch, damit Gott sie verstehen kann! Noch vor einer Generation gab es viele englischsprachige Christen, die sich sehr sicher waren, dass Gott das Englisch der 1611 erstmalig herausgegebenen King-James-Bibel spricht. Meine fromme britische Mutter gestand mir einmal, wie geschockt sie als Teenager war, als sie herausfand, dass der Apostel Paulus kein Englisch sprach!

      Jesus lebte in einer Welt, in der die öffentliche Lesung der Heiligen Schrift nur auf Hebräisch geschah, und Gebete in dieser Sprache gesprochen werden mussten. Als Jesus den riesigen Schritt machte, Aramäisch als Sprache für Gebet und Gottesdienst gutzuheißen, ermöglichte er dadurch, dass das Neue Testament auf Griechisch (nicht Hebräisch) aufgeschrieben und dann in andere Sprachen übersetzt wurde.

      Wenn es also keine heilige Sprache gibt, dann gibt es demzufolge auch keine heilige Kultur. All dies ist eine natürliche Fortführung der Menschwerdung Jesu. Wenn das Wort vom Göttlichen ins Menschliche übersetzt und Fleisch wird, steht die Tür offen dafür, dass das Wort auch in andere Kulturen und Sprachen übersetzt wird. Diese These wurde von Lamin Sanneh in seinem wegweisenden Buch Translating the Message hervorragend untersucht.91 Hierin liegt der Grund, dass heute einer weltweiten Gemeinde von mehr als zwei Milliarden Menschen die Bibel in ihrer eigenen Sprache zur Verfügung steht. Damit ist es Gläubigen möglich, in ihrer Herzenssprache in die Gegenwart Gottes zu treten. Wir sind so an dieses Erbe gewöhnt, dass wir kaum seinen Ursprung wahrnehmen, als Jesus sich für Aramäisch als Sprache des Vaterunsers entschied. Jesus erklärte seine Botschaft für übersetzbar, als er dieses Gebet mit dem großen Wort abba begann, dessen Bedeutung wir nun näher ansehen wollen.

      Die Segenssprüche der Tefilla beginnen unterschiedlich. Einige werden mit den Worten „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ oder „Gott unserer Väter“ eingeleitet. An anderer Stelle in der Tefilla wird Gott mit anderen Wendungen angesprochen: „heiliger Gott“, „starker Gott“, „Erbauer Jerusalems“, „Ewiger, der Israel erlöst“, „unser Vater“ oder „gnädiger und barmherziger König“. Aus den zahlreichen Titeln wählte Jesus „unser Vater“, das in der Tefilla zweimal als das hebräische abinu erscheint.92 Gott als den „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ anzusprechen, bedeutet, das Gebet eines bestimmten Volkes mit einer bestimmten Geschichte zu sprechen. Natürlich sind die Christen in diese große Familie aufgenommen, und damit haben diese Titel auch eine tiefe Bedeutung für alle Christen. Indem Jesus seine Jünger lehrte, abba zu beten, bekräftigte er gleichzeitig die Vision einer Glaubensfamilie, die über ethnische Verbundenheit mit Abraham hinausging. Jeder Mensch in jedem Stamm oder Volk hat einen Vater. Wenn Gott „unser Vater“ ist, können ihn alle Menschen gleichermaßen ansprechen. Bei dem Wort abba gibt es keine ethnischen oder historischen „Insider“ und „Outsider“.

      Neben der Feststellung über die integrierende Wirkung dieses Wortes ist es auch nötig, das Wort selbst näher zu betrachten. Was meinte Jesus, wenn er Gott abba nannte, und wie wurde dieses Wort zu seiner Zeit gebraucht? Das aramäische Wort abba (Vater) wurde von aramäischsprachigen Personen verwendet, wenn sie mit ihrem irdischen Vater sprachen. Es war auch eine Anrede für angesehene, hochrangige Personen. Ein Schüler konnte mit diesem Wort einen Lehrer ansprechen oder ein Kind seinen Vater.

      Abba erscheint im Neuen СКАЧАТЬ