Jesus war kein Europäer. Kenneth E. Bailey
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Название: Jesus war kein Europäer

Автор: Kenneth E. Bailey

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783417228694

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СКАЧАТЬ komme ich nicht im Zorn.

      Hosea 11,9b (LUT)

      In den vorausgehenden Versen stellt Hosea Gott als zärtlichen, liebevollen Vater eines rebellischen Kindes vor. Der Vater (Gott) hat das Recht, zornig zu sein und zu strafen, doch stattdessen entscheidet er sich für Liebe. Jesus übernahm von Hosea dieses Verständnis des Wesens seines göttlichen Vaters, und es ist durchaus vorstellbar, dass er auf Hosea 11 zurückgriff, das Bild von Gott als Vater erweiterte und dazu das bekannte Gleichnis erzählte. Jesus beschrieb Gott nicht als Kaiser, der absolute Macht über seinen Besitz ausübt (manche Väter und Mütter verhalten sich so ihren Kindern gegenüber). Vielmehr nannte Jesus Gott „Vater“ und definierte diesen Begriff durch das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Darin sehen wir das einzig zulässige Verständnis „unseres Vaters“, und jede andere Definition bedeutet eine Ablehnung der Lehre Jesu und Verrat an seiner Person. Die Warnung des Islam gilt; doch wenn die Gemeinschaft der Gläubigen sich an die Definitionen hält, die Jesus selbst ausgesprochen hat, wird sie nicht der Gefahr der „Bilderverehrung“ erliegen, die bei Metaphern für Gott besteht.

      Auch unter einem zweiten Blickwinkel wird das Wort abba (Vater) oft kritisiert, weil es angeblich das „orientalische Patriarchat“ mit seiner Unterdrückung der Frau widerspiegelt. Es würde den Rahmen sprengen, hier das Für und Wider der verschiedenen Strukturen von Gesellschaft und Familie im Nahen Osten zu beschreiben und zu diskutieren. Nach welchem Muster diese auch immer aufgebaut waren: Jesus spiegelt sie in seinem Gleichnis vom verlorenen Sohn nicht wider. Die westliche Kirche geht oft von folgenden Annahmen aus:

      1. Im orientalischen Patriarchat werden Frauen schlecht behandelt.

      2. Jesus nannte Gott „Vater“ und untermauerte damit die Gültigkeit dieses Patriarchats und seines Umgangs mit Frauen.

      3. Daher ist es nicht länger hinnehmbar, Gott „Vater“ zu nennen.

      Ibrahim Sa‘id, ein ägyptischer protestantischer Theologe des zwanzigsten Jahrhunderts, legte mit seinem Kommentar zum Lukasevangelium eine sorgfältige Arbeit vor. In seinen Gedanken zum Gleichnis vom verlorenen Sohn schreibt er:

      Der Hirte, der nach seinem Schaf sucht, und die Frau, die ihre Münze sucht, unternehmen nichts Außergewöhnliches; jeder andere würde an ihrer Stelle das Gleiche tun. Doch wie der Vater in der dritten Geschichte handelt, ist einzigartig, wunderbar, göttlich und bis dahin ohne menschliches Vorbild.99

      Und Henri Nouwen schrieb über den Vater in diesem Gleichnis:

      … alle Grenzen patriarchalischen Verhaltens sind durchbrochen. Dies ist nicht das Bild eines bemerkenswerten Vaters. Es ist das Porträt Gottes, dessen Güte, Liebe, Vergebung, Fürsorge und Mitgefühl keine Grenzen haben. Jesus stellt Gottes Großzügigkeit mit allen Bildern dar, die seine Kultur ihm bietet, und verändert diese Bilder dabei fortwährend.100

      Jesus entscheidet sich in diesem Gleichnis und in dem Gebet, das er seine Jünger lehrt, bewusst für das Bild des Vaters. Es ist kein patriarchalisches Bild. Sofern die menschliche Sprache die Geheimnisse des Wesens eines liebenden Gottes überhaupt durchdringen kann, übertrifft dieses Gleichnis alle anderen mir bekannten Versuche. Es zeichnet das einzige Bild, welches das Wort abba im Vaterunser angemessen illustriert.

      Schließlich sei noch angefügt, dass es in dem Gebet „unser Vater“ heißt, nicht „mein Vater“. In den Psalmen taucht häufig die Formulierung „mein Gott“ auf, und die persönliche Beziehung zwischen dem biblischen Gott und dem einzelnen Gläubigen darf natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Doch wie wir noch sehen werden, betont das Vaterunser eine Familie Gottes, die einen Vater hat; dieses Gebet sieht alle Nachfolger Jesu als Glieder dieser Familie. Was lässt sich nun über die angeblich männliche Schlagseite der Anrede „Vater“ sagen?

      Die Bibel beschreibt Gott in männlichen und weiblichen Bildern. Einerseits erhält er den Titel „Vater“, ein männliches Bild. Gleichzeitig wird den Gläubigen gesagt, sie seien „aus Gott geboren“ (1Jo 3,9). Das Bild des Gebärens ist ein weibliches Bild. Beide Bilder werden in 5. Mose 32,18 zusammengeführt: „Den Felsen, der dich gezeugt, täuschtest du und vergaßest den Gott, der dich geboren.“

      Wenn wir die biblischen Bilder ablehnen, in denen Gott als Vater gezeigt wird (weil es ein ausschließlich männliches Bild ist), müssen wir auch weibliche Bilder wie die „neue Geburt“ ablehnen (weil sie ausschließlich weiblich sind). Ich stehe auf „Mutter Erde“ und esse die Früchte von „Mutter Natur“ und diene der „Mutter Kirche“, der „Braut Christi“. Ich als Mann möchte nicht, dass diese Bilder verändert werden. Jesus beschrieb sich selbst als „Henne“, die „ihre Küken versammelt unter ihre Flügel“ und als Frau, die ihre verlorene Münze wiederfindet. Paulus verwendet das Bild der menschlichen Geburt, wenn er schreibt „Meine Kinder, um die ich abermals Geburtswehen erleide, bis Christus in euch Gestalt gewonnen hat“ (Gal 4,19).

      Außerdem ist der Teufel im Neuen Testament immer männlich, und wir stächen in ein ganz neues Wespennest, wenn wir versuchten, unsere Dämonologie in „gerechte Sprache“ zu übertragen. Wir können uns freuen, dass in der Bibel sowohl männliche als auch weibliche Bilder verwendet werden, um Gott zu beschreiben, der Geist ist und damit weder männlich noch weiblich. Doch Gottes Bild enthält sowohl das Männliche als auch das Weibliche, da Mann und Frau nach Gottes Bild erschaffen sind (1Mo 1,27). Wenn wir das eine oder das andere durch neutrale Begriffe ersetzen, schmälern wir damit den Reichtum der biblischen Vergleiche und Metaphern oder laufen Gefahr, sie ganz abzuschaffen.

      Das Vaterunser unterstreicht, wie wichtig die Gemeinschaft ist, in der die Anrede „Vater“ verwendet wird. Wenn der Gläubige den Ausdruck „unser Vater“ verwendet, muss er auch seine Banknachbarn in der Kirche sowie Brüder und Schwestern in allen Ländern der Erde in den Blick nehmen. Nur in der Einheit der Familie Gottes wird Gott rechtmäßig mit „Vater“ angesprochen. Das bringt uns zum zweiten Teil dieser Formulierung.

      Erstaunlicherweise ist das wunderbare Wort abba hier mit einem krassen Gegensatz verbunden. Dieser „liebende Vater“ ist im Himmel. Das moderne Leben führt dazu, dass Mitglieder einer Familie oft räumlich sehr weit voneinander entfernt leben. Doch in traditionellen Gemeinschaften im Nahen Osten ist dies nicht der Fall. Mutter und Vater wohnen bis zu ihrem Lebensende in nächster Nähe ihrer Kinder. Kurz gesagt: Der Vater ist in der Nähe und wohnt normalerweise im gleichen Haus. Im Gegensatz dazu ist der Abba des christlichen Gebetes gleichzeitig nah und doch so fern; er ist im Himmel. Die Gemeinschaft der Gläubigen gehört zur erschaffenen Welt. Abba ist der Schöpfer. Christen sind Diener und abba ist der Herr. Sterbliche werden geboren und sterben, während abba der Ewige ist. Abba, der liebende Vater, ist zum Greifen nah, und doch wohnt er in Ehrfurcht gebietender Majestät im Himmel, in all seiner Herrlichkeit.

      Amida, wie die Tefilla auch genannt wird, bedeutet „stehend“, und aus Respekt vor Gott beteten die Gläubigen die Segenssprüche im Stehen. Die älteste Sammlung der Aussprüche der Rabbiner berichtet: „Die ersten Frommen warteten eine Stunde und beteten [dann erst], um ihr Herz auf Gott zu richten“ (Mischna Berakoth 5,1). Das Treten in Gottes Ehrfurcht gebietende Gegenwart geschah nicht lässig oder leichtfertig.

      In jüngerer Vergangenheit hatte ich zweimal das außerordentliche Vorrecht, Ihre Majestät Königin Elizabeth II. persönlich zu begrüßen, einmal in der anglikanischen Kathedrale auf Zypern und einmal in ihrer Privatresidenz in Windsor Castle in London. Ganz erwartungsgemäß waren alle Beteiligten tadellos gekleidet, angemessen aufmerksam, konzentriert und vorbereitet auf das, was und wie sie es zu СКАЧАТЬ