Jesus war kein Europäer. Kenneth E. Bailey
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Название: Jesus war kein Europäer

Автор: Kenneth E. Bailey

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783417228694

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СКАЧАТЬ woraufhin Jesus ihn heilt. Barmherzigsein heißt im Kern, auf menschliche Nöte mit Mitgefühl und Taten zu reagieren. Doch es geht noch darüber hinaus.

      Barmherzig zu sein und Barmherzigkeit zu erlangen, steht in engem Zusammenhang damit, zu vergeben und Vergebung zu empfangen. Doch auch hier stehen wir wieder vor einem Juwel von einem Paradox. Jeder Versuch, einen Juwel so zu bearbeiten, dass er sein Licht nur noch in eine Richtung reflektiert, hieße, ihn zu zerstören. Auf ganz ähnliche Art und Weise hat das Paradox des Gebens und Empfangens von Barmherzigkeit bzw. Vergebung mit drei Fragen zu tun.

      1. Vergeben wir anderen, so wie Gott uns vergibt?

      2. Vergeben wir anderen zuerst, damit Gott uns dann vergibt?

      3. Vergibt Gott uns und wir sind dann dadurch fähig, anderen zu vergeben?

      Alle drei Aspekte finden sich im Neuen Testament in den folgenden Texten.

      1. Im Vaterunser in Matthäus 6,9-13 (LUT) bitten wir, dass Gott uns unsere Schuld vergibt (unsere Übertretungen und Sünden), „wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“. Es klingt, als würden diese beiden Formen von Vergebung parallel geschehen.

      2. Im Vaterunser in Lukas 11,4 (LUT) heißt es hingegen: „Vergib uns unsere Sünden, denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird“ (Hervorhebung von mir). Diese Lesart des Vaterunsers besagt, dass wir zuerst anderen vergeben müssen, bevor wir mit der Bitte um Vergebung zu Gott kommen können.

      3. Schließlich haben wir noch das Gleichnis vom unversöhnlichen Diener (Mt 18,23-35), dem zuerst von seinem Herrn vergeben wurde, der sich dann aber weigerte, einem anderen Diener zu vergeben. Für sein Versagen wurde er verurteilt, und in 1. Johannes 4,19 lesen wir, weshalb: „Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“

      Welche dieser drei Formen von Vergebung erklärt die vorliegende Seligpreisung am besten? Oder sollten wir alle drei auswählen? In der ständig wechselnden Herausforderung, in der Nachfolge treu zu sein, leuchten geheimnisvollerweise alle drei ein. Sie passen logisch nicht zusammen, aber wer hätte behauptet, dass Barmherzigkeit und Vergebung logisch sind? Alle drei sind wichtig für den Glauben und das Leben als Christ.

      Barmherzig zu sein oder zu vergeben, ist äußerst schwierig für Menschen, denen tiefes Unrecht zugefügt wurde. Doch die Alternative wäre die Selbstzerstörung durch Groll oder Rache. Solcher Groll wird oft von einer Generation an die nächste weitergegeben und wirkt sich zerstörerisch im Leben Einzelner und ganzer Gesellschaften aus. Die von Jesus glücklich Gepriesenen entfliehen diesem selbstzerstörerischen Teufelskreis, weil sie barmherzig sind. Doch das ist noch nicht alles.

      Diese Seligpreisung behauptet, dass die Barmherzigen „Barmherzigkeit erlangen“ werden. Von wem werden sie Barmherzigkeit erlangen? Auch hier verwendet Jesus ein „göttliches Passiv“: Die Barmherzigen werden Gottes Barmherzigkeit erlangen. Die Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen mag Mangelware sein, doch Gottes Barmherzigkeit wird sie niemals im Stich lassen.

      Glückselig, die reinen Herzens sind,

      denn sie werden Gott schauen.

      Der Schwerpunkt, den Jesus hier setzt, ist in seiner Welt bemerkenswert. In den Psalmen ist tatsächlich davon die Rede, dass wir innerliche Reinheit brauchen – ein reines Herz. In Psalm 24,3-4 heißt es:

      Wer darf hinaufsteigen auf den Berg des HERRN

      und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?

      Der unschuldige Hände und ein reines Herz hat […]

      Äußerliche Reinheit (reine Hände) reicht nicht aus; sie muss von innerlicher Reinheit (reines Herz) begleitet sein. Wie hier zu sehen ist, konnte Jesus in der Tradition auf beide Aspekte von Reinheit zurückgreifen. Die sich entwickelnde rabbinische Tradition maß allerdings dem ersteren einen deutlich höheren Stellenwert bei. In der Mischna gibt es einen ganzen Abschnitt zu diesem Thema, der mit „Toharot“ (Reinheiten) überschrieben ist. Er erstreckt sich über circa zweihundert Seiten und umfasst zwölf Traktate.84 Hier kommt auch der große Rabbi Hillel zu Wort, der eine Generation vor Jesus lebte. Diese ausführliche Diskussion über Reinheit war offenbar im ersten Jahrhundert immer noch im Gange. Es gibt Abhandlungen über Gefäße, Zelte, Tauchbecken und Hände, aber nicht über Herzen. Es werden drei Stufen von Unreinheit erörtert, und Hände sind immer auf der zweiten und dritten Stufe. In diesem Fall übt Jesus keine Kritik an den sich entwickelnden Gesetzen zur zeremoniellen Reinheit, sondern trifft die mutige Entscheidung, sein gesamtes Augenmerk auf die Reinheit des Herzens zu legen. Was jedoch ist mit dem Herzen gemeint?

      Søren Kierkegaard, der große dänische Philosoph und Theologe des 19. Jahrhunderts, ist bekannt für seine Aussage: „Die Reinheit des Herzens ist, Eines zu wollen.“ Er erkannte, dass hinter dem menschlichen Verhalten oft eine Vielzahl an Beweggründen liegt. Die „reinen Herzens“ sind, bekommen, was sie sehen. Sie haben nur einen Beweggrund für ihr Handeln und verfolgen keine Hintergedanken.

      Doch was genau ist das „Herz“ in der biblischen Literatur? Die moderne westliche Kultur begrenzt das Wort Herz auf die Gefühle. Doch im hebräischen Denken umfasste das Herz das gesamte Innenleben eines Menschen. Gefühle, Verstand und Wille gehörten alle zum „Herzen“.85 Die glücklich Gepriesenen zeichnen sich durch Reinheit in allen drei Aspekten ihrer inneren Welt aus. Diese Reinheit öffnet den Weg zu einer Transparenz, die als Herzensreinheit bezeichnet werden kann.

      Doch wie kommt es, dass sie „Gott schauen“ werden? Dieser Ausdruck hat etwas mit der Kenntnis Gottes oder einer inneren Sicht von Gott zu tun und nicht mit körperlichem Sehen. In Johannes 1,18 heißt es: „Niemand hat Gott jemals gesehen.“ Doch Gott zu kennen und eine Vorstellung von ihm zu haben, ist ein Vorrecht, das den Engeln vorbehalten ist – und denen, die ein reines Herz haben.

      Glückselig die Friedensstifter,

      denn sie werden Söhne Gottes heißen.

      Friede wird oft auf die Abwesenheit von Krieg oder das Ende von Gewalt reduziert. Waffenstillstände und Kapitulationen sind als Vorboten des Friedens von großer Bedeutung. Doch Friede in der Bibel schließt auch die besten, liebevollsten Beziehungen zwischen Menschen sowie innerhalb von Familien, Gemeinschaften und Nationen ein. Zum Frieden gehört auch Gesundheit. Der Friede, von dem hier die Rede ist, ist in erster Linie der Friede Gottes, der alles Genannte umfasst und „allen Verstand übersteigt“ (Phil 4,7). Der Ausdruck Friedensstifter kommt in der ganzen Bibel nur an dieser Stelle vor. In den semitischen Sprachen muss dieses einzigartige Wort in zwei Teile zerlegt werden. Es ist nicht gleichzusetzen mit den „ Friedfertigen“ oder den „Pazifisten“.

      Angesichts des breiten Spektrums, den Frieden stiften umfasst, lässt sich leicht einsehen, warum Jesus solche Menschen „Söhne/Kinder Gottes“ nannte.

      Glückselig die um Gerechtigkeit willen Verfolgten,

      denn ihrer ist das Reich der Himmel.

      Menschen können Widerstand oder Ablehnung erfahren, weil sie faul oder nicht vertrauenswürdig sind. Manche verlieren ihre Arbeitsstelle, weil sie nicht mit anderen auskommen oder eine Einstellung haben, die den Firmenzielen nicht zuträglich ist. Manchmal versuchen solche Menschen, sich als „um der Gerechtigkeit willen Verfolgte“ zu sehen.

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